Riechen, schauen, stille werden

Von Heike Ularich · 01.11.2008
Gartenkultur ist auch ein Stück Menschheitskultur. Man denke nur an die hängenden Gärten der Semirames, die als eines der antiken Weltwunder gelten. Vor 2000 Jahren brauchte der Mensch die kultivierte Natur zum Überleben. Zur Zeit Pückler oder Lennés diente Gartenkunst dem Nachdenken in der Natur. In unseren Tagen findet Gartenkunst meist in Großanlagen wie der BUGA oder den "Gärten der Welt" Aufmerksamkeit. Und dann gibt es noch die Bibelgärten, zum Beispiel den der St.Sixtus-Gemeinde in Werlte.
Strickerschmidt: "Es kommen viele hierher, auch aus den anderen Religionsgemeinschaften. Hier sind noch die Baptisten, die Pfingstler, neuapostolische Kirche, evangelische Kirche, die nutzen alle den Garten. Sie kommen mit ihren Kindergruppen mit der Bibel untern Arm und gehen durch den Garten."

Nach Werlte kommen sie, in den St.Sixtus-Bibelgarten. Zwischen Osnabrück und Bremen liegt Werlte. Rote Backsteinhäuser säumen die Straßen des kleinen Ortes, im Ortskern erhebt sich trutzig die katholische Kirche St. Sixtus aus dem 19. Jahrhundert. Ein norddeutsches Städtchen, 12.000 Autos passieren täglich die Durchgangsstraße, am Ortsrand gibt es ein Gewerbegebiet und bis zur nächsten Ortschaft reichen Getreidefelder und Pferdewiesen.

Strickerschmidt: "Das ist eine neue Art der Verkündigung, denke ich. Es ist lebhafter, es ist so nah."

Maria Strickerschmidt leitet seit 15 Jahren den Bibelkreis in Werlte. Sie hatte die Idee, auf einem brachliegenden Grundstück am Gemeindehaus der St. Sixtus-Kirche einen Bibelgarten anzulegen.

Strickerschmidt: "So unter freiem Himmel mit anderen Glaubensgemeinschaften zusammen zu sein, damit zu sprechen, sich damit zu unterhalten, das ist doch etwas Schönes. Das würde man in der Kirche nicht können."

Die Gemeinde stand dem Bibelgarten-Projekt erst skeptisch gegenüber. Mit Überzeugungskraft, Durchhaltevermögen und Ideenreichtum gelang es Strickerschmidt schließlich, zusammen mit dem Landschaftsarchitekten Uwe Gernemann, das Projekt umzusetzen. 2003 wurde der Garten eröffnet, rechtzeitig zum Jahr der Bibel, ausgerufen von den christlichen Kirchen in Deutschland. Im Garten wachsen heute Mariendisteln, Maulbeerbäume und Schilf – geerntet werden Granatäpfel, Datteln und Gerste.

Strickerschmidt: "Wir haben viel Symbolik in dem Garten: Wege, Steine, Wasser, alles erzählt aus der Bibel, die ganze Einteilung des Garten ist biblisch. So beginnt man beim Schöpfungsgarten, damit beginnt es ja auch in der Bibel, mit der menschlichen Existenz. Die ersten Menschen hielten sich nicht an das Gebot Gottes und sie mussten den Garten verlassen, kamen in die Wüste. Das ist der zweite Gartenteil. Wüste, ein Ort der Einsamkeit, der Entbehrung, aber auch der Begegnung mit Gott."

Während der Sommermonate von Mai bis Oktober führt Maria Strickerschmidt bis zu 150 Gruppen durch den Garten. Aber es kommen auch die Werlter selbst, die den Garten zwischendurch zur floralen Kontemplation nutzen. Ideenreichtum war von Anfang an gefragt. Pflanzen, Steine, Sitzbänke und der kleine Teich kosten Geld. Die Besucher können Sämereien und Trockenfrüchte aus dem Garten erwerben. Durch Eintrittsgelder und solche Souvenirs trägt sich der Garten heute selbst. Die empfindlichen, mediterranen Pflanzen dürfen in Autohäusern überwintern. 40 ehrenamtliche Helfer kultivieren 80 der insgesamt 110 in der Bibel vorkommenden Pflanzen. Und diese Pflanzen erzählen Geschichten, biblische Geschichten, und damit kann der Garten für die Besucher zu einem Paradiesgarten werden, zu einem in sich selbst ruhenden Ort der Andacht.

Strickerschmidt: "Und wenn sie durch die Natur gehen, und sehen einen Ginsterstrauch und erinnern sich, das Eliah untern Ginsterstrauch lag und nicht mehr konnte und sterben wollte, und gesagt hat: 'Gott, nimm mein Leben. Ich kann nicht mehr. Und ein Engel kam und ihn angerührt hat.' Und das es im Leben doch auch so ist, das wir immer wieder Engeln begegnen, die uns Mut machen, den Weg weiter zu gehen."

"Gott" und "Natur" sind für viele Menschen wesensverwandte Begriffe. Die Andacht bei Sonnenaufgang und der Wallfahrtswanderweg bei Wind und Wetter gehören seit alters her zum Christentum. Im 14. und 15. Jahrhundert erfreute sich das Motiv der Madonna im Paradiesgärtlein großer Beliebtheit bei kirchlichen Auftraggebern.

Kemperdick: "Es handelt sich offenbar um einen Garten, dicht bestanden mit allerlei Kräutern mit Pflanzen, Blümchen Erdbeeren und so weiter, darin eine u-förmige Mauer, die ebenfalls bepflanzt ist, das ist die Rasenbank. Und Maria sitzt mit ihrem nackten Kind unmittelbar davor auf der Wiese. Hinter der Rasenbank sieht man ein Brokattuch mit Fabeltieren. Es handelt sich um einen Seidenbrokat etwas ausgesprochen Kostbares, was den königlichen Rang Mariens als Gottesmutter und Königin des Himmels betont."

Stefan Kemperdick, Kustos für altniederländische Malerei in der Gemäldegalerie Berlin über die "Madonna auf der Rasenbank" um 1420.

Kemperdick: "Das kommt natürlich aus dem profanen Bereich: das Paradiesgärtlein ist eigentlich der höfische Garten, in dem sich die Edelleute ergehen. In dem die schönen Frauen ja auch in der Minnedichtung bekanntlich gerne einmal sitzen, mit schönen Blumen. Es ist der locus amönus, der liebliche Ort."

Strickerschmidt: "Also, Garten heißt ja ein besonderer Lebensraum, so ist es in der Bibel ja auch dargestellt: Gott hat einen Lebensraum geschaffen mitten im Chaos der Welt. Und ich seh' das manchmal auch hier so, hier haben wir den Parkplatz da dran, die Bank, die Gaststätte die laute Straße, 12.000 Fahrzeuge fahren da drüber hinweg. Und wir haben hier mitten im Ort diese Oase. Die Bibel liegt aus, schöne Texte liegen dort und man hat einen schönen Aufenthaltsort hier im Garten."