Freitag, 19. April 2024

Archiv

Europäische Raumfahrt
Wörner: Stärkere Zusammenarbeit zwischen EU und ESA notwendig

Am 30. Juni endet für Jan Wörner offiziell die Amtszeit als Generaldirektor der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. Als größte Herausforderung für die Zukunft der ESA bezeichnet er im DLF-Interview die weitere Kommerzialisierung und Privatisierung der Raumfahrt sowie die verstärkte Interaktion der ESA mit der EU.

Jan Wörner im Gespräch mit Ralf Krauter | 10.02.2021
08.05.2019, Berlin: Jan Wörner, Generaldirektor der ESA, spricht während der Digitalkonferenz "re:publica". Foto: Soeren Stache/dpa | Verwendung weltweit
ESA-Chef Johann-Dietrich Wörner macht seinen Posten bereits Ende Februar für den Nachfolger Josef Aschbacher frei (dpa)
Dass bei seinem vorzeitigen Abschied als Generaldirektor der Europäischen Raumfahrtagentur nicht alles ganz rund lief, verraten schon die Einträge auf Jan Wörners offiziellem ESA-Blog. Am 17.12. 2020 hatte er noch geschrieben:
"Ich bin noch bis Juni 2021 im Amt und habe noch viel vor." Anfang Januar teilte er dann mit, den Staffelstab doch schon Ende Februar an Josef Aschbacher, den derzeitigen ESA-Direktor für Erdbeobachtung, zu übergeben. Wer oder was hat ihn umgestimmt?
Jan Wörner: Es war eine ganz ruhige und logische Überlegung. Tatsache ist, dass das Verfahren der ESA vorsah, dass im Dezember der Nachfolger berufen wird und er dann am 1. Juli das Amt antritt. Das sind sechs Monate, da kann man einiges noch fertigstellen, man kann auf der anderen Seite für den neuen Kollegen die Möglichkeit geben, sich einzuarbeiten, oder auch den bisherigen Arbeitsplatz langsam zu verlassen. In diesem Fall ist es ein Direktor der ESA, der berufen wurde, also ein interner Kandidat, der sofort aktiv sein kann und schon aktiv ist. Insofern war das dann auch irgendwie eine Überlegung, sollte man das jetzt wirklich sechs Monate parallel machen, oder ist es dann nicht sinnvoller, das früher zu übergeben, und nach reiflicher Überlegung habe ich mich zu Letzterem entschieden.

Die Marslandung ist nur teilweise geglückt

Ralf Krauter: Versuchen wir uns mal an so einer Art Bilanz Ihrer Zeit als ESA-Generaldirektor: Sie haben das Amt ja 2015 angetreten im Juli, und Sie haben kurz danach in einem Interview – ich glaube hier im Deutschlandfunk auch – gesagt, wir brauchen Raumfahrtmissionen, die Entdeckergeist demonstrieren und fördern. Ein Paradebeispiel dafür sollte die ESA-Mission ExoMars sein, die erst 2018, dann 2020 abheben und eigentlich jetzt gerade im März einen Rover auf dem Mars hätte absetzen sollen. Wie sehr schmerzt Sie das, dass diese Marslandung der ESA wegen Problemen bei den Fallschirmen und der Software erneut verschoben werden musste von 2020 auf 2022?
Wörner: ExoMars besteht ja aus mehreren Bestandteilen. Ein wesentlicher Bestandteil ist 2016 gestartet. Das ist eine Mission, die den Mars immer noch umkreist und die zwei Funktionen hat, nämlich einmal die Marsatmosphäre zu untersuchen und zum anderen aber auch, für den Rover, den wir dann hinschicken wollen, als Relaisstation zu funktionieren. Dieser Teil hat funktioniert, es gab dann auch 2016 den Versuch einer Probelandung – und ich sage ausdrücklich Versuch, Test, ich könnte jetzt im Detail erklären, warum es so schwierig ist, auf dem Mars zu landen. Jedenfalls hat das bis auf den allerletzten Schritt gut funktioniert. Der Computer hat leider das Triebwerk ganz kurz vor der Landung abgestellt, das war nicht erfreulich, aber wir haben alle Daten und wissen deshalb auch, wie wir es zu machen haben.
Das Foto zeigt den ESA-Chef Johann-Dietrich Wörner bei einer Pressekonferenz im Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt im Dezember 2018.
ESA-Chef Johann-Dietrich Wörner (dpa / picture alliance / Geisler-Fotopress / Jens Krick)
Der zweite Teil der Mission sollte 2018 starten, das hat aus Zeitgründen nicht geklappt, ist auf 2020 verschoben worden, und dann gab es mehrere Punkte: Wir hätten 2020 fliegen können, aber es hätte doch ein größeres, auch technisches Risiko gegeben. Und da wir hier Steuergelder ausgeben, haben wir gesagt, dann bleiben wir lieber noch zwei Jahre zu Hause, der Mars geht nicht verloren, und wir können die Mission dadurch sicherer machen. Also es war eine Abwägung Risiko oder lieber sicher, und wir haben uns für die sichere Variante entschieden.

Ein Mond-Dorf für die Völkerverständigung

Krauter: Schauen wir auf eine andere Vision, mit der Sie sogar schon kurz vor Ihrer offiziellen Amtsübernahme für Schlagzeilen gesorgt haben: Sie sagten, lass uns ein Dorf auf dem Mond bauen, ein Moon Village, als logischen Nachfolger der internationalen Raumstation. Wie viel näher sind wir diesem Ziel seit 2015 gekommen?
Wörner: Ja, das ist ganz einfach: Das Ziel ist erreicht. Das hat mich durchaus verblüfft, aber positiv verblüfft. Diese Idee Moon Village, die ist entstanden, als ich noch beim DLR war und überlegt habe, was machen wir eigentlich, wenn die internationale Raumstation irgendwann mal nicht mehr fliegen kann, und das waren zwei Punkte, kurz zusammengefasst, die mir wichtig waren: Wir werden weiterhin Versuche in der Schwerelosigkeit machen müssen, das ist einfach zu wichtig für Medizin, für Materialforschung und andere Sachen, aber diese geopolitische Wirkung der internationalen Raumstation, die internationale Zusammenarbeit, die müssen wir auch aufrechterhalten, und dafür bietet sich einfach der Mond an. Daraus ist entstanden ein etwas komplizierter Ausdruck, "multi-partner open concept", also viele Partner, offenes Konzept.
Dann hat ein Kollege von Ihnen dazu gesagt, das kann man schlecht erklären, finden Sie einen besseren Begriff, und daraus ist Moon Village oder Monddorf geworden. Es ist aber genau dasselbe, nämlich ein Konzept, um weltweit die verschiedenen Akteure von Ost und West zusammenzubringen und auf dem Mond nicht neue Zäune aufzubauen und Fahnen zu hissen, sondern eben die Zusammenarbeit stärken. Das ist tatsächlich, was jetzt passiert – zum Teil mit den Amerikanern, mit Artemis, dem Lunar Gateway, wo viele Partner dabei sind, aber wir arbeiten ja auch ganz konkret zusammen mit den Russen und auch mit den Chinesen. Die blicken alle zum Mond, und da wird wirklich jetzt auf einer Basis der Abstimmung zwischen den verschiedenen Ländern zusammengearbeitet. Also das Moon Village ist Realität, es ist da, dieses Konzept ist da.

Stärkere Zusammenarbeit zwischen der EU und der ESA

Krauter: Was sind aktuell, also auch mit Blick auf Ihren Nachfolger, die großen Herausforderungen, vor denen Europas Raumfahrt jetzt steht?
Wörner: Die größte Herausforderung für die ESA als solches ist die Interaktion mit der Europäischen Union. Wir sind ja nicht Teil der Europäischen Union, wir sind eine zwischenstaatliche Einrichtung, die auf einem völkerrechtlichen Vertrag basiert, nämlich der Konvention. Seit 2008/2009 gibt es den Lissabon-Vertrag der Mitgliedsländer der EU, die nicht identisch sind mit den Mitgliedsländern der ESA, und die haben festgelegt für die EU, dass sie auch in der Raumfahrt stärker aktiv werden wollen. Da ist die EU nun sehr aktiv geworden in den letzten Jahren. Das ist nicht nur das Satellitennavigationssystem Galileo und die Erdbeobachtung Copernicus, sondern auch andere Programme, und hier wird es ganz zentral darauf ankommen, dass man wirklich die technischen Fähigkeiten und vertragsgemäßen Fähigkeiten der ESA nutzt, um damit Europa in der Raumfahrt insgesamt vorwärtszubringen. Das heißt, hier wird es darauf ankommen, eine politische Balance herzustellen, die die ESA absichert und die die europäische Raumfahrt voranbringt, und ich glaube, das wird die größte Aufgabe meines Nachfolgers werden.

Balance zwischen kommerziellen und öffentlichen Aktivitäten finden

Krauter: Jetzt haben wir über die Herausforderungen auf politischer Ebene primär gesprochen, welche langfristigen strategischen Ziele bei der Raumfahrt sollte die ESA mit Macht verfolgen?
Wörner: Aus meiner Sicht ist insbesondere die Kommerzialisierung das zentrale Thema. Wenn wir die verschiedenen Themen angucken, die die ESA behandelt, das sind ja vier große Blöcke: Das ist Exploration und Wissenschaft im Weltraum, das ist das Thema Sicherheit im Weltraum und aus dem Weltraum, es ist das Thema der Anwendung, Erdbeobachtung, Navigation, Telekommunikation, und es sind die Bereiche, die die Raumfahrt unterstützen, wie die Trägerraketen und Technologien. Ich glaube, alle vier Bereiche sind gleichermaßen wichtig. Wenn wir aber darauf schauen, was wird denn in der Kommerzialisierung passieren, dann sehen wir, dass einige dieser Bereiche mehr und mehr kommerziell werden können und sollten. Da muss die ESA sich genau positionieren, ich hatte in diesem Bereich schon einiges versucht anzufangen. Klar ist, Exploration, Wissenschaft und alles, was mit Sicherheit zusammenhängt, das wird weiterhin auch öffentliche Aufgabe sein, aber bei den anderen Gebieten muss man dann sehen, wie man da zwischen den kommerziellen Aktivitäten, der Wirtschaft, und den öffentlichen Aktivitäten zum Beispiel der ESA oder auch der Mitgliedsländer wirklich eine Lösung findet, die Europas Raumfahrt nach vorne bringt.
Krauter: Sie waren auch jemand, der sich immer wieder dafür ausgesprochen hat, offen zu sein bei der Wahl der Partner, die zum Beispiel europäische Astronauten auch ins All befördern können. Die Kooperation mit Russland läuft weiter, mit den Amerikanern sowieso, aber auch die Chinesen wurden in den Blick genommen. Ist das weiterhin ein guter Ratschlag, offen zu bleiben in alle Richtungen, aus Ihrer Sicht?
Wörner: Mein Ratschlag ist, die Raumfahrt für das zu benutzen, was sie wie keine andere Aktivität kann, nämlich Brücken zu bilden zwischen Ost und West, Brücken über politische Schwierigkeiten hinweg. Wir wissen, dass wir 2014 den Beginn der Krim-Krise beobachten konnten, und gleichzeitig ist damals Alexander Gerst ins All geflogen. Das war für mich so ein ganz wichtiger Punkt, wo ich gemerkt hab, Raumfahrt kann mehr als nur Raumfahrt, Raumfahrt kann eben international zusammenbringen. Deshalb hoffe ich, dass auch die ESA weiterhin offen bleibt für Kooperationen in alle Richtungen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.