Richterbund: In Deutschland fehlen 4000 Juristen

Moderation: Marcus Pindur · 25.07.2008
Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, hat Personalmangel in der Justiz für die Zunahme von sogenannten Deals in Wirtschaftsprozessen verantwortlich gemacht. Neben mehr Personal sei eine gesetzliche Regelung nötig, die den Absprachen Grenzen setze, forderte Frank.
Christoph Frank: Guten Morgen.

Marcus Pindur: Im Fall Holzer, im Liechtenstein-Prozess, im Hartz-Prozess haben wir es gesehen. Liegt es inzwischen im Trend bei diesen Wirtschaftsprozessen, sogenannte Deals abzuschließen?

Frank: Wirtschaftsprozesse sind in der Tat in besonderer Weise darauf angelegt, nach Absprachen beendet zu werden. Das muss man feststellen.

Pindur: Warum ist das denn so?

Frank: Die Verfahren sind kompliziert, sie haben immer einen sehr umfangreichen Prozessstoff, es sind ganze Firmengeschichten nachzuvollziehen, wirtschaftliche Entscheidungen sind strafrechtlich zu bewerten. Wir haben es mit einer Internationalisierung der Taten und der Täter zu tun. Wir müssen die Erkenntnisse, die wir im Strafprozess verwerten wollen, im Wege der Rechtshilfe gewinnen. Das alles erfordert einen ungeheuren Aufwand an Personal, an Zeit. Und genau diesen Aufwand können wir nicht leisten, weil uns die Ressourcen weggebrochen sind und zunehmend wegbrechen.

Pindur: Was heißt das, Ihnen brechen die Ressourcen weg? Ich nehme an, die Arbeitsbelastung ist in den letzten Jahren kräftig gestiegen.

Frank: Die Arbeitsbelastung steigt und gleichzeitig gibt es weniger Richter und Staatsanwälte in Deutschland. Es fehlen schlicht 4000 Richter und Staatsanwälte in Deutschland, die sich auch gerade mit diesem sehr komplizierten Verfahren befassen könnten, wenn die Politik das wollte. Dann müsste sie die Stellen schaffen und Kolleginnen und Kollegen einstellen.

Pindur: Und die Arbeitsbelastung, sage ich mal, eines durchschnittlichen Staatsanwalts, der sich mit Wirtschaftsprozessen befasst, wie sieht das aus? Wie kann man sich das vorstellen, wie viele Fälle sind das im Jahr?

Frank: Ich kann Ihnen als Beispiel nennen, dass die Bearbeitung eines großen Wirtschaftsverfahrens bei einer Staatsanwaltschaft mit durchschnittlich etwa 40 Stunden angesetzt wird. 40 Stunden, die nun, das dürfte nachvollziehbar sein, ganz sicher nicht ausreichen, die auch die Hauptverhandlung umfassen. Da wird ein Vielfaches aufgewendet werden müssen, um ein Verfahren fachgerecht zu bearbeiten. Und daraus entsteht auch dieser Druck zu den Deals.

Pindur: Da sind wir wieder am Ausgangspunkt zurück. Je komplizierter das Vergehen, um so eher hat also ein Beklagter ja auch Verhandlungsmasse. Da stellt sich die Frage, werden Wirtschaftskriminelle bei solchen Deals bevorzugt gegenüber anderen Straftätern, oder anders gefragt, wird dadurch Gerechtigkeit verhandelbar?

Frank: Gerechtigkeit darf nicht verhandelbar werden. Die Öffentlichkeit nimmt insbesondere Wirtschaftsstrafsachen als Objekt von Absprachen wahr. Es gibt Kommunikation zwischen Verfahrensbeteiligten in allen Verfahren. Von den Problemen der Ausstattung, der Justiz profitieren, und das möchte ich wirklich in Anführungszeichen setzen, tatsächlich alle Beschuldigte.

Aber wir müssen auch sehen, dass von Wirtschaftsverfahren besonders wichtige Signale an die Öffentlichkeit gehen und die Strafjustiz dort zeigen kann und auch zeigen muss, ob ein Staat in der Lage ist, dem Strafverfolgungsanspruch nachzukommen und auch dem Schutz der Bürger zu dienen.

Pindur: Wenn wir mal über den deutschen Tellerrand hinausschauen, wird das in anderen demokratischen rechtsstaatlichen Systemen ähnlich gehandhabt wie in Deutschland, oder sind wir da eher eine Ausnahme?

Frank: Wir haben in Deutschland das Legalitätsprinzip. Das heißt, die deutsche Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, Straftaten zu verfolgen. Und daraus leitet sich dann auch ein sehr strikter Gerechtigkeitsanspruch ab. Andere Systeme haben Opportunitätsgrundsätze. Das heißt, sie entscheiden von vornherein, welche Taten sie verfolgen wollen und welche nicht. Sie steuern also in einem wesentlich früheren Bereich. Ich halte unser System für richtig, weil nur unser System, das im Übrigen zunehmend in Europa übernommen wird, eine Gerechtigkeit für alle sichert.

Pindur: Schon seit rot-grünen Regierungszeiten sollen Deals gesetzlich geregelt werden. Das ist aber immer noch nicht passiert. Halten Sie da eine klare Regelung für notwendig, oder funktioniert das auch so?

Frank: Es gibt die Praxis, die Sie beschrieben haben. Es gibt aber auch Auswüchse dieser Praxis und deshalb halten wir eine gesetzliche Regelung für richtig, die die Grenzen von Absprachen aufzeigt, Grenzen, die darin liegen, dass eine Verständigung nur möglich sein darf, wenn ein Geständnis vorliegt, das dem Gericht die gesicherte Überzeugung von einer Straftat vermittelt hat. Dass die Disposition des Schuldspruchs ausgeschlossen ist, das halte ich für besonders wichtig, die gesetzlichen Regelungen der Transparenz eines Verfahrens gewährleistet sind.

Wir haben öffentliche Hauptverhandlungen und deshalb müssen Ergebnisse, die auf Absprachen beruhen, auch der Öffentlichkeit vermittelt werden. Die Öffentlichkeit muss nachvollziehen können, wie ein Gericht zu einer Überzeugung und zu einem Strafmaß gekommen ist. Dort, wo diese transparenten Prozesse stattfinden, ist unsere Erfahrung, werden die Urteile auch dann akzeptiert, wenn Absprachen vorausgegangen sind.

Pindur: Vielen Dank, Christoph Frank, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes und selber Oberstaatsanwalt in Freiburg.

Frank: Ich bedanke mich.