Richard Powers: „Die Wurzeln des Lebens“

Im Bann des Waldes

Ein Waldstück mit abgeholzten Bäumen.
Das Abholzen von Wäldern spielt in Powers' Werk eine zentrale Rolle. © Imago
Von Johannes Kaiser · 27.10.2018
Sechs Naturschützer verbünden sich, um gemeinsam uralte Wälder zu retten. Ihr Einsatz hat jedoch Folgen für ihr ganzes Leben. „Die Wurzeln des Lebens“ ist ein aufregender Roman, der uns mit unserer Verantwortung für die Natur konfrontiert.
Nach Genetik, Neurologie, Informatik aber auch Musik und Fotografie hat sich der US-amerikanische Autor Richard Powers jetzt der Bäume und ihrer unendlichen Vielfalt, ihrer Kommunikation untereinander, ihren Überlebens- und Abwehrstrategien angenommen. Im ersten Teil des Romans, mit "Wurzeln" überschrieben, erzählt Powers die Geschichten von neun Menschen, die anfangs nichts voneinander wissen. Es sind Familiengeschichten im Zeitraffer über mehrere Generationen hinweg. In allen geht es auch um Bäume, die gepflanzt, verehrt, erforscht werden. Doch noch stehen die Figuren im Vordergrund: Etwa ein durch den Sturz von einem Baum querschnittsgelähmter, junger Computerentwickler, der ein extrem erfolgreiches IT-Spiel erfindet.

Rettet den Wald!

Im zweiten Teil des Romans, "Stamm", stoßen sechs der Protagonisten aufeinander, obwohl ihre Berufe, ihre Interessen, ihre ethnische Herkunft das nicht erwarten lassen. Der Wald, die Bäume und deren Geheimnisse, schlagen sie alle in den Bann, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Motiven. Es verflechten sich esoterische Ideen mit harter Wissenschaft, Naturbegeisterung und Schwärmerei mit Selbsterkenntnis.
Die drei Männer und drei Frauen engagieren sich in Naturschutzgruppen, versuchen, den Kahlschlag uralter Wälder zu verhindern. Sie besetzen Bäume, errichten Barrikaden, zerstören Forstmaschinerie. Doch das lassen sich weder die privaten Waldbesitzer, große Holzkonzerne, noch die Staatsgewalt gefallen. Das Kapitel endet in einer Katastrophe mit einer Toten.

Spannende Cliffhanger

Im letzten Teil des Romans, "Krone", verfolgt Richard Powers den weiteren Werdegang seiner Baumschützer, die nach der Katastrophe jeder für sich ein neues Leben beginnen. Um in der Analogie zu bleiben: Haben sie im zweiten Teil des Romans gemeinsam den Stamm gebildet, so streben sie jetzt wie Äste in der Baumkrone auseinander. Das führt zumindest für zwei von ihnen zur persönlichen Kapitulation.
Während er im ersten Kapitel die Lebensläufe seiner Figuren kurz und knapp skizziert, malt Powers im zweiten Kapitel die Schönheit der Wälder wort- und bildreich aus und lässt uns tief in das Gefühlsleben all seiner Protagonisten schauen. Deren nebeneinanderher laufenden Geschichten enden stets mit einer Art Cliffhanger, sodass die Spannung wie in einer TV-Serie nie nachlässt.

Forschung in Poesie verwandelt

Richard Powers greift in "Die Wurzeln des Lebens" reale Ereignisse auf. In den USA gab es tatsächlich in den Neunzigerjahren Baumbesetzungen, große Demonstrationen, gewaltsame Aktionen gegen Holzfirmen – letztendlich blieben sie wie im Buch erfolglos.
Powers ist erneut das Kunststück gelungen, Forschungsergebnisse in aufregende und faszinierende Literatur zu verwandeln. Und er stellt dabei die grundsätzliche Fragen nach unserer Verantwortung für die Natur, nach Solidarität, Opferbereitschaft, Freundschaft und Empathie. "Wurzeln des Lebens" ist ein poetischer Roman, der berührt, fasziniert, erschreckt und staunen macht.

Richard Powers: "Die Wurzeln des Lebens"
Aus dem Amerikanischen Manfred Allié, Gabriele Kempf-Allié
Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2018
618 Seiten, 26 Euro

Mehr zum Thema