Aus den Feuilletons

Messias der Berge

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Reinhold Messner wurde spätestens durch seine Erstbesteigung des Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff im Jahr 1978 weltberühmt. © picture alliance / dpa
Von Arno Orzessek · 16.09.2014
In einem semi-religiösen Artikel huldigt die "Welt" der Bergsteigerlegende zum 70. Geburtstag: Reinhold Messner ist Pop, weil er das Überleben in der Wildnis in die Massenmedien übersetzt habe.
Zunächst ein Service für alle Eltern ...
Denn die wollen sicher wissen, wie die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG jene bisweilen existenzielle Frage beantwortet, die sie selbst in einer Überschrift aufwirft:
"Sollte man mit Kindern ins Museum gehen – oder lieber nicht?"
Museumsglück für Kinder
FAZ-Autorin Julia Voss empfiehlt: Unbedingt reingehen! Gibt allerdings zu bedenken:
"Über Kinder, die ins Museum gehen, kann man so wenig pauschal sprechen, wie über Erwachsene. Einem Baby mag es im Museum gefallen, weil die Mutter gute Laune hat. Ein zweijähriges Kind freut sich vielleicht am meisten über die bunte Eintrittskarte in der Hand. Ein Vierjähriger entdeckt beglückt einen Hasen auf dem Gemälde – oder Einschusslöcher. Mit sechs Jahren bastelt das (...) Kind begeistert in der Museumswerkstatt, während die Eltern alleine die Kunst ansehen."
Julia Voss klingt insgesamt so enthusiastisch und froh-jungmütterlich, dass wir ihr gern noch einmal das Wort reichen – und zwar für den längsten Satz in den aktuellen Feuilletons:
"Wenn aus den Kindern, die heute ins Museum gehen, einmal Erwachsene würden, die wissen, dass es in jeder Stadt einen Ort gibt, der keine Shoppingmall, kein Coffeeshop oder Schwimmbad ist; der einen auf andere Ideen bringen kann, die Welt groß macht, wenn sie droht, klein zu werden; der einem zeigt, wie andere die Welt gesehen haben, die Geschichte, die Gesellschaft, die Kunst oder die Religion; wenn sie dann Lust hätten, sich an diesem Ort mit Freunden zu treffen oder auch alleine dort zu sein – dann wäre das schon ganz schön viel."
Wahrheit und Literatur
Noch hin- und weggerissener als Julia Voss übers Museum äußert sich im Berliner TAGESSPIEGEL die griechische Schriftstellerin Amanda Michalopoulou über
"Die himmlischen Gefilde der Literatur".
Unter der entrückten Parole "Lesen ist Religion" schwärmt Michalopoulou:
"In der Literatur gibt es eine Koexistenz von sich offenbarender Wahrheit und Vernunft, da der Schriftsteller offenbart und offenbart wird. Ein komplexes Glaubenssystem, in dem der Schöpfergott selbst der leidenschaftlichste Gläubige seiner Schöpfung ist. Er beweihräuchert den Text, meditiert schweigend davor oder geht – wie die amerikanische Autorin Mary Carr – sogar so weit zu beten, bevor er schreibt. Der Schriftsteller kehrt Schillers 'Ode an die Freude' um. Statt zu fragen: 'Ahnest du den Schöpfer, Welt' fragt er: 'Ahnest du, Schöpfer, deine Welt?'"
Wie von Götterfunken entzündet – Amanda Michalopoulou im TAGESSPIEGEL.
Jubiläumsschlemmen mit Messner
Ebenfalls ordentlich entflammt und semi-religiös der Artikel:
"Wenn der Messias der Berge ruft"
in der Tageszeitung DIE WELT.
Reinhold Messner wird an diesem Mittwoch 70 Jahre alt – und hat deshalb vorab einige Journalisten auf dem Südtiroler Schloss Sigmundskron empfangen, darunter den WELT-Autor Marc Reichwein:
"Ich sitze Messner zur Rechten und komme mir ein bisschen vor wie der Jünger Johannes auf dem Abendmahl-Gemälde von Leonardo da Vinci. Einen Judas, der die ganze Tafelrunde hinterher verraten wird, haben wir voraussichtlich nicht am Tisch. Dafür schlemmen wir einfach viel zu gut. fladenbrotartiges Fettgebäck, Lamm, Truthahn, Reis. Eine klebrige Nachspeise. Pakistanische Küche zu Südtiroler Weinen."
Wieviel auch immer Reichwein weggesüffelt hat – zu einem klaren Urteil kommt der WELT-Autor dennoch:
"Messner ist Pop, weil er das Überleben in der Wildnis in den Erfahrungsraum der Massenmedien übersetzt hat. Höhenabenteuer und Bergkatastrophen stiften längst ein eigenes Nachrichtengenre. Messner hat das mit seinen Zeitungsserien, Büchern und Diashows ins Rollen gebracht – zu einer Zeit, da es noch keinen Liveticker gab. Worüber er, der mit der digitalen Welt nichts anfangen kann, im Nachhinein froh ist. 'Die Expeditionskameraden [meint Messner], die heute live ihre Kanäle beschicken, kommen nach Hause, und es interessiert keinen Menschen mehr, was sie gemacht haben. Alles schon vorbei.'" –
Falls Sie sich nun fragen, liebe Hörer, wie lange diese Presseschau noch dauert, dann seien Sie versichert: Sie haben die letzten Worte bereits gehört.
Sie lauteten: "Alles schon vorbei".