Rheinland-Pfalz

Frau gegen Frau

Von links: Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und die CDU-Oppositionsführerin im Mainzer Landtag, Julia Klöckner.
Malu Dreyer (SPD) und Julia Klöckner (CDU) © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Von Anke Petermann · 15.10.2015
Es ist Damenwahl − eine Premiere. Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende, Julia Klöckner, läuft sich in Rheinland-Pfalz warm für das erste Frauenduell in der Geschichte der Bundesländer. Sie fordert Malu Dreyer heraus, die Ministerpräsidentin von der SPD.
Vierzehn Grad und Nieselregen. Urlauber freuen sich, vom Hunsrück-Airport Hahn in die Sonne zu fliegen.
"Morgen! Schön, dass ich hier sein kann."
Malu Dreyer freut sich, dass die Katastrophenhelfer vom Deutschen Roten Kreuz mit Unterstützung der örtlichen Kommunalpolitiker so zügig eine neue Zeltstadt unweit vom Flughafen hochgezogen haben. 2013 avancierte die damalige Sozialministerin überraschend zur Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, von Kurt Beck zu seiner Nachfolgerin ernannt. Im frisch aufgebauten Flüchtlingscamp am Hahn begrüßt jetzt Harald Rosenbaum, christdemokratischer Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kirchberg, die Chefin der rot-grünen Koalition – mit nur leicht vorwurfsvollem Unterton.
- "Wir sind ja ein bisschen gebrieft. Aber das ging jetzt alles sehr flott und viel und schnell. Stündlich was Neues. Aber wir müssen’s ja irgendwie hinkriegen."
- "Ja, ja. Das geht leider nicht anders. Das ist echt total nett von Ihnen. Hallo, Morgen allerseits."
Plätze für 600 Menschen in wetterfesten Großzelten zu schaffen, fast ohne Vorwarnzeit, war die Herausforderung. Die Ministerpräsidentin bedauert den mangelnden Vorlauf. Die ehemalige Bürgermeisterin und spätere Mainzer Sozialdezernentin kann gut nachvollziehen, wie stark die steigenden Flüchtlingszahlen Kommunalpolitiker belasten. Deren Engagement lobt sie mit freundlicher Verbindlichkeit. Und das der Helfer. Die haben sogar schon ein Kinderspielzelt aufgebaut. Malu Dreyer hört ihnen aufmerksam zu. Und den Flüchtlingen auch. Empathie gilt als Markenzeichen der Gewerkschafterin, die erst mit Mitte dreißig Genossin wurde. Dreyer lässt sich durchs Camp führen. Männer stehen in T-Shirts vor der Kleiderausgabe und frösteln. Im beheizbaren Zeltstadt-Provisorium zu leben, für ein paar Wochen kein Problem, findet Dmytro Korzh. Der Ukrainer hat keine andere Wahl.
"Wir sind weggegangen, weil mich das Militär zwingen wollte, in den Krieg zu gehen. Aber ich bin ein religiöser Mann, ich bin Christ. Das interessiert in der Ukraine nicht, deshalb bin ich geflohen. In meiner Heimat habe ich gearbeitet, seit ich 19 bin - die ganze Zeit. Ich bin Elektriker, meine Frau ist Sozialarbeiterin, mein Bruder Mechaniker. Meine ganze Familie arbeitet und arbeitet. Als man mich einzog, wurde ich gefeuert. Das Militär kann einen einfach vom Job abziehen. Da habe ich die Flucht vorbereitet."
Die Korzhs, eine Familie mit Englischkenntnissen und beruflichen Qualifikationen. Jetzt haben Menschen wie sie die Chance, ihre Kompetenzen im Einzelgespräch einem Fachberater vorzutragen, unterstreicht die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin beim Besuch im Camp. Die Bundesagentur für Arbeit erfasst die beruflichen Kompetenzen von Flüchtlingen gemeinsam mit dem Landesarbeitsministerium und dem Integrationsressort. Ein mögliches Sprungbrett in Beschäftigung. Dreyer, unter ihrem Ziehvater Kurt Beck zuständig für Arbeit und Soziales, ist schnelle Vermittlung wichtig.
Die Taschengeldfrage? - Ein heißes Thema
"Wir haben jetzt in den Erstaufnahme-Einrichtungen ein System entwickelt, wo wir schon das "Profiling' vornehmen, dass Flüchtlinge dann schon mit einem Profil in die Kommunen gehen: Was haben sie für eine Ausbildung, was können sie, was möchten sie machen, so dass dort auch ganz schnell daran gearbeitet werden kann, über die Jobcenter, sie schnell in Ausbildung und Arbeit zu integrieren."
Dreyers Fazit an diesem kühlen Sommertag in der Hunsrücker Zeltstadt: wer hier ausharrt, tut das nicht, weil ihn das Taschengeld hergelockt hat.
"In unseren Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen die Flüchtlinge ja bis zu drei Monate bleiben können, werden sowieso nur Sachleistungen gewährt und ein kleines Taschengeld. Aus meiner Sicht ist dieses Thema ein Randthema. Wir brauchen eigentlich unsere Kraft, um die Verfahren zu beschleunigen und möglichst schnell dafür zu sorgen, dass die Menschen, die nicht bleiben können, auch zurückgeführt werden können und andere sehr schnell integriert werden. Das Taschengeld spielt dabei keine Rolle. Und wenn man sich mal vor Augen führt, dass wir wöchentlich auszahlen und dass es in der Woche um vierzig Euro geht, dann weiß man auch, dass deswegen die Leute nicht hierherkommen."
Doch ab November soll der Aufenthalt in den Erstaufnahmen auf sechs Monate verlängert werden, damit Menschen ohne Bleibeperspektive gar nicht mehr auf die Kommunen verteilt werden. Und die Taschengeldfrage ist ausdiskutiert: die Große Koalition hat dem Vorschlag von Bundesinnenminister de Maizière zugestimmt, in den Erstaufnahmen verstärkt auf Sachleistungen, also Essen und Kleidung, zu setzen. Insbesondere Ausreisepflichtigen und Flüchtlingen, die einem anderen europäischen Staat zugewiesen waren, soll das Bargeld gekürzt werden. Ministerpräsidentin Dreyer, studierte Juristin, will die erneute Verschärfung des Asylrechts im Bundesrat mit durchwinken, unter anderem weil sie die zusätzlichen Milliarden Bundeshilfe für Länder und Kommunen als Teil des Gesetzespakets begrüßt.
"Verfassungswidrig" poltert Siegfried Pick an einem der letzten lauen Septemberabende. Der hagere Ausländerpfarrer von Bad Kreuznach kommt aus einem ökumenischen Gottesdienst von Protestanten, Katholiken und Orthodoxen im Mainzer Dom, an dem auch die Ministerpräsidentin teilnahm.
"Eine Absenkung der Leistungen, das hat das Bundesverfassungsgericht klar gerügt, das geht nicht."
Doch Malu Dreyer hört Picks Schimpfen nicht. Anders als der Pfarrer, der zu Fuß vom Dom zur Staatskanzlei geht, hat die Ministerpräsidentin die Staatskarosse bestiegen. Sie muss vor ihren Gästen da sein – gemeinsam mit Bundespräsident Joachim Gauck eröffnet sie die Interkulturelle Woche. "Das Herz ist weit, aber die Aufnahmekapazitäten sind begrenzt", wird Gauck dort zur Asylpolitik sagen und damit der Bundeskanzlerin indirekt widersprechen. Daniel Köbler, Fraktionschef der Grünen und Dreyers Koalitionspartner, hat das Pech, neben dem Koordinator des Arbeitskreises Asyl Rheinland-Pfalz zu laufen und dessen Unmut abzubekommen. "Ihr wollt doch wohl nicht zustimmen", bearbeitet Pick den Grünen mit Blick auf die Abstimmung im Bundesrat. Und formuliert staatstragend ins Mikrofon:
"Wir appellieren an die Grünen in Rheinland-Pfalz, dass sie da nicht mitmachen, dass sie sagen, Willkommenskultur bedeutet, dass Menschenrecht und Menschenwürde unteilbar sind. Eine Absenkung der Leistungen, das hat das Bundesverfassungsgericht klar gerügt, das geht nicht, und da können auch die Grünen nicht mitmachen. Willkommenskultur muss sein, Entscheidungen müssen auch sein, und eine Rückführung in Würde muss möglich sein."
Grünen-Fraktionschef Köbler windet sich und murmelt, dass zum Asylpaket doch Mittel für die Kommunen gehörten, die diese unbedingt bräuchten. Die Grünen in Rheinland-Pfalz hatten das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten stets abgelehnt: untauglich, um Asylverfahren zu beschleunigen, befanden sie. Doch die Partei agiert arbeitsteilig. Der Asylrechtsverschärfung nicht zuzustimmen, das können sich die Rheinland-Pfälzer nur deshalb leisten, weil ihre Parteifreunde in Hessen und Baden-Württemberg das Paket mittragen. Das Problem: Köblers Fraktion rückt in dieser Frage vom Koalitionspartner SPD ab und macht damit das Mainzer Bündnis zur Zielscheibe oppositioneller Attacken. Julia Klöckner nutzt das gern aus. Konfus und gespalten agiere Rot-Grün in der Flüchtlingspolitik, ätzt die angriffslustige CDU-Frontfrau, Dreyer habe den Koalitionspartner nicht im Griff.
"Wir haben den Eindruck, dass die rot-grüne Landesregierung mit sich selber ringt, da sind ja Ideologien, die nicht zur Realität passen."
Auch Klöckner, die sich selbst gern als Pragmatikerin beschreibt, besucht in diesen Wochen Flüchtlingsunterkünfte. Gleich am Eingang vom Camp am Flughafen Hahn trifft die lebhaft-extrovertierte Oppositionschefin auf eine syrische Familie mit ihrem kleinen Sohn im Buggy.
- "You’re a teacher?"
- "Yes."
- "Wow!"
- "Englischlehrerin!" sagt die Endzwanzigerin aus Damaskus und nickt. Die junge Mutter trägt Kopftuch. Ihr Mann sei Kontroll-Ingenieur.
- "Oh, we need people with these skills at the airport!"
"Leute mit solchen Kompetenzen können wir am Flughafen gebrauchen", sagt Klöckner. Die Mainzer Oppositionschefin kommt gerade vom Besuch einer Flugzeugwartungsfirma am Hahn. Die Herren Geschäftsführer klagten über Personalmangel und dürftige Unterstützung durch die rot-grüne Landesregierung. Sie lobten Klöckner, nachdem die schon weg war, als energiegeladen und zupackend. Jetzt lobt und ermutigt die CDU-Politikerin das syrische Ehepaar, das in der Heimat den gesamten Besitz verkaufte, um den Schlepper zu zahlen.
"You have really good possibilities to stay here and make a future in Germany!"
Einen Rat auf den Weg
"Sie haben gute Perspektiven, hier zu bleiben und es zu schaffen. Aber dafür ist es wichtig, die deutsche Sprache zu lernen", gibt Klöckner dem Ehepaar auf den Weg. Ein Gespräch mit motivierten, integrationswilligen, sehr dankbaren Neuankömmlingen. Kaum abwarten können sie, aus der abgelegenen Erstaufnahmeeinrichtung in eine Gemeinde zu kommen und ihr Können in einer neuen Nachbarschaft unter Beweis zu stellen. Die Begegnung mit der syrischen Familie habe sie sehr berührt, sagt die Christdemokratin später. Doch zum Leitmotiv dieser asyl- und integrationspolitisch geprägten Wahlkampf-Phase erhebt die knapp gescheiterte Beck-Herausforderin und hoffnungsfrohe Dreyer-Konkurrentin ein anderes Zusammentreffen. Dasjenige mit einem Imam in Idar-Oberstein, der sie nicht mit Handschlag begrüßen will.
"Wenn Männer sich weigern, Frauen die Hand deshalb zu geben, weil sie das Geschlecht Frau sind, weil Frauen weniger wert sind als Männer, dann können wir das nicht akzeptieren. Das zieht sich ja weiter, dass man Frauen nicht als Chefinnen, als Lehrerinnen respektiert oder Frauen als Maklerinnen ablehnt, weil man mit Frauen keine Geschäfte machen will. Und das zeigt: wer ein solches Denken hat, dass Integration nicht gelingen wird. Und deshalb können wir das nicht einfach hinnehmen als Einzelfall. Wir merken, dass das strukturell – auch an den vielen Beispielen, die wir bekommen - in einigen Familien sich wirklich festgesetzt hat."
Viele Frauen meldeten sich mittlerweile bei ihr, um von ähnlichen Vorfällen zu berichten, betont Klöckner. Grundwerte in Gefahr, die Errungenschaft weiblicher Gleichberechtigung stehe mit steigenden Flüchtlingszahlen auf dem Spiel, suggeriert die Frontfrau der Konservativen. Neuerdings entscheidet sich die 42-Jährige eher für Outfits in dezentem Beige und Rosé. Die stark farbigen Hosenanzüge sind passee. Doch ihre Botschaften formuliert die CDU-Spitzenkandidatin deutlich. Schrill wirken sie auf linke Kritiker. Als "Shitstorm auf Pumps" hat SPD-Landeschef Roger Lewentz sie mal gegeißelt. Klöckners Erzählung vom Frauen verachtenden Vorbeter findet jedenfalls reißenden Absatz, wird über die Bildzeitung, über TV- und Hörfunkkanäle der Republik weitergetragen.
"Bei Frau Klöckner habe ich immer den Eindruck, sie sucht sehnsüchtig nach Provokationen mit Muslimen", merkt SPD-Parteichef Gabriel auf dem Mainzer Perspektivkongress vor 800 Genossen an, "damit sie daraus Politik in Rheinland-Pfalz machen kann. Was für ein Wahnsinn!"
"Du kannst so etwas ja nicht so deutlich sagen", kommentiert Gabriel seine Klöckner-Kritik an Malu Dreyer gewandt. Die sitzt in der ersten Reihe und quittiert lächelnd die rhetorische Hilfestellung des SPD-Chefs - Assistenz für eine Genossin, die ihrem zurückhaltenden, eher präsidialen Stil auch im Wahlkampf treu bleibt. Und genau dafür von Sozialdemokraten bundesweit geschätzt wird. Und für Vieles mehr:
"Ja, sie hat in Rheinland-Pfalz als Ministerin eine sehr gute Gesundheitspolitik gemacht. Das ist wirklich über die Landesgrenzen hinaus – ich bin kein Rheinland-Pfälzer – über die Landesgrenzen hinaus sehr beachtet worden, beispielsweise die zukunftsweisende Altenpolitik, die hier gemacht wird, mit den Stützpunkten",
Die ruhige Hand als Markenzeichen
Also Pflegestützpunkte als wohnortnahe Anlaufstellen, die Pflegebedürftigen und Angehörigen weiterhelfen.
- "Sie war für uns immer eine Vorreiterin oder sie ist es immer noch."
- "Ihre Natürlichkeit, ihre Intelligenz, ihre Einfachheit, und trotzdem: so eine supertolle Powerfrau."
- "Für mich persönlich spielt sie eine große Rolle, weil ich sie für eine großartige Politikerin halte, die sich auch tatsächlich der digitalen Themen erstaunlich stärker annimmt als andere SPD-Politiker, und ich hege da ein bisschen die Hoffnung, dass wir mit der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz jemanden haben, die auch mit Durchschlagskraft diese Themen auch besetzen kann."
Die ruhige Hand – Dreyers Markenzeichen. Das einzig Schrille, das sie sich auf dem SPD-Perspektivkongress erlaubt, ist der signalrote Hosenanzug, den sie trägt. Dass ihr ein Imam den Handschlag verweigert, hätte natürlich auch der Ministerpräsidentin widerfahren können. Nur hätte die Geschichte dann wohl nicht deutschlandweit Eingang in die Medien gefunden.
"Selbstverständlich ist es immer schade, wenn ich Mitglieder von Religionsgemeinschaften treffe, die Frauen aus unterschiedlichsten Gründen nicht die Hand geben. Aber ich glaube, wir haben hier ein gutes Klima in unserem Land. Und wir können im interreligiösen Dialog auch darüber sprechen. Und wir können auch Respekt haben, wenn manche Sitten und Vorgaben in manchen Religionen auch andere sind. Respekt zu haben vor der Religion, das ist das eine. Dass wir trotzdem auch Wege finden müssen, dass es gut miteinander funktioniert, das ist das andere. Und insofern wäre das für mich niemals ein Anlass gewesen, eine so große Geschichte daraus machen."
Am liebsten würde Dreyer gar nicht mehr über die Sache reden.
"Denn das interreligiöse Miteinander in Rheinland-Pfalz funktioniert sehr, sehr gut, und kein Bürger muss die Angst haben, dass die Rechte, die wir nach dem Grundgesetz haben, missbraucht werden von Flüchtlingen, die hier ankommen, einen anderen Glauben haben. Wir haben überhaupt kein Indiz dafür."
Noch ist das vielstimmige Echo auf die Imam-Geschichte nicht verklungen, da legt CDU-Frau Klöckner nach. Diesmal mit einer griffigen Forderung: nach einer schriftlichen deutschen "Hausordnung" für Flüchtlinge.
"Das wollen wir, dass es in jeder Erstaufnahmeeinrichtung in jeder Sprache den Menschen aufs Kopfkissen gelegt wird, dass klar ist, welche Sitten, welche Regeln, welche Werte in Deutschland gelten, weil ja auch verschiedene Weltbilder aufeinander treffen."
Die Sozialdemokraten wollen das Grundgesetz in vielen Sprachen austeilen lassen. "Zu abstrakt", mäkelt die studierte Theologin und frühere Journalistin Klöckner. Ohne allerdings zu präzisieren, wie ihre Mischung aus Benimmregeln und Wertekatalog aussehen soll. Denn och wird auch die Hausordnung fürs Kopfkissen medial zum Renner. Julia Klöckner dominiert damit Talkshows aller Sender, ob sie nun selbst anwesend ist oder nicht. So etwas schafft die Herausforderer-Riege in Landtagswahlkämpfen nicht allzu häufig. Der hessische Christdemokrat Roland Koch fällt einem ein, der zwei Wahlkämpfe mit Ausländer-Motiven bestritt. Die Klöcknerschen Leitmotive wirken wie stark verfeinerte Kopien Kochscher Slogans. Ein Burka-Verbot wollte er als Ministerpräsident, sie verlangt es als Oppositionschefin. Zuckerbrot und Peitsche war bei der Integration Kochs Haltung, davon schwingt in Klöckners Forderung nach einem "Integrationspflichtgesetz" auch etwas mit.
"Das heißt: Geben und Nehmen. Wenn der Staat auf der einen Seite Sprachkurse anbietet, soll das nicht nur ein Angebot zur Güte sein, sondern auch Verpflichtung für die andere Seite. Und wir möchten eine Integrationsvereinbarung schließen, ähnlich wie eine Eingliederungs-vereinbarung, die mit Langzeitarbeitslosen geschlossen wird. Das heißt, der Staat gibt Unterstützung, umgekehrt muss der Hilfe-Empfänger oder der Unterstützungs-Empfänger sich auch bereit erklären, einiges zu erfüllen. Und wenn das nicht geschieht, kann es zum Beispiel zu Leistungskürzungen kommen."
Manche sehen Klöckner in Seehofers Boot gegen die Kanzlerin anrudern. Mit der Ablehnung von 24-Stunden-Kitas, einem Bekenntnis zur Familie und zum deutschen Wein liefert die Winzertochter der Basis jedenfalls das gewünschte konservative Profil. Die vormalige Deutsche Weinkönigin stammt aus dem Winzerort Guldental bei Bad Kreuznach. Dort bauen ihre Anhänger auf sie.
- "Ja, also, da erwarten wir eigentlich schon viel. Erstens, weil sie eine gute Beziehung zur Bevölkerung hat, sehr engagiert ist, große Durchsetzungskraft hat. Also, was mir an der Frau Klöckner sehr gut gefällt: dass sie oftmals kein Blatt vor den Mund nimmt. Das wird manchmal kritisiert an ihr, sie wäre zu tough. Aber ich finde das sehr ehrlich und sehr korrekt. Also, ich hatte die Frau Klöckner als Kind in einer Tanzgruppe und hab‘ sie damals schon immer bewundert - als Frontmädchen damals und jetzt Frontfrau. Und ich denke, das kann sie auch im Land umsetzen."
- "Natürlich, dass sie die Wahl gewinnt, dass sie neue Ministerpräsidentin wird und neuen Schwung in den ganzen Laden reinbringt. Und vor allen Dingen, dass Sachen wie das mit dem Nürburgring nicht mehr passieren, ja, das sind richtig große Verschwendungen von Steuergeldern – sie soll aufräumen!"
- "Das ist jemand, den man wählen kann und wählen muss. Erstens Mal ihre Ausstrahlung. Dann auf jeden Fall ihr freies Sprechen, was mir besonders gut gefällt, weil die meisten Frauen das nicht können. Und dann auch die Werte, die sie darstellt. Das ist das, was ich mir wünsche, wieder in der Politik zu haben."
In dem beschaulichen Weinbau-Ort lernte das Mädchen Julia Tanzen und in der Winzerkappelle das Querflöte Spielen. Hier füllt sich die Schulturnhalle bis auf den letzten Platz, wenn sie redet. Mag Ministerpräsidentin Dreyer als bodenständig gelten - Guldental will das Signal für den Machtwechsel senden: eine geerdete CDU-Kandidatin geht mit dem Rückhalt ihrer Heimat in ein aussichtreiches Rennen – das erste Frauenduell in der Geschichte der Bundesländer. Derzeit vor allem ausgefochten auf dem Feld der Integrationspolitik.
Maximale Distanz zwischen den konkurrierenden Damen
Als Migrant einbezogen werden und sich einbeziehen lassen - anders als Julia Klöckner hängt Malu Dreyer das Thema niedrig, macht daraus - wie Angela Merkel - kein Problem. Die Sozialdemokratin hält es mit einem Wahlkampfmotto des verstorbenen Genossen Johannes Rau: "Versöhnen statt spalten". Dass Flüchtlinge und Religionsgemeinschaften auch etwas geben und leisten müssten – kaum der Rede wert:
"Das ist für mich selbstverständlich. Aber das ist eigentlich auch gelebte Praxis in Rheinland-Pfalz."
Integration - die eine fordert sie lautstark, die andere lenkt beiläufig den Blick darauf, wie sie vielfach längst gelingt. Maximale Distanz zwischen den konkurrierenden Damen auf diesem Politikfeld. Doch die Herausforderin von der CDU und die Amtsinhaberin von der SPD haben auch Gemeinsamkeiten: bei katholisch, aufgewachsen in Weinbauregionen, Klöckner an der Nahe, Dreyer im pfälzischen Neustadt an der Weinstraße. Die frühere Landessozialministerin und die vormalige Staatssekretärin im Bundesverbraucherressort - beide, wie die Süddeutsche Zeitung mal schrieb, "Trümmerfrauen", die ihre Affären gebeutelten Parteien aus dem Staub zogen. Die ihre Gefolgsleute mit Energie, sanftem Lächeln und knallharten Entscheidungen wieder auf gemeinsame Ziele einschworen. Beide legen sie jetzt im Wahlkampf Autobiografien vor, unter Mitwirkung anderer Autoren. "Zutrauen"* nennt Klöckner ihr Interviewbuch. "Die Zukunft ist meine Freundin"* heißt Dreyers Titel etwas blumiger. Über den Verlauf der Multiplen Sklerose, an der sie vor mehr als zwanzig Jahren erkrankte, schreibt die 54jährige Regierungschefin:
"Heute geht es mir besser als vor zehn Jahren. Die Ärzte wundern sich. Ich freue mich. Und ich habe begriffen, wie Unabhängigkeit funktioniert. Denn erst, als ich es geschafft habe, die Krankheit ohne Hass zu akzeptieren, als Teil von mir, da habe ich mich plötzlich frei gefühlt, so frei wie nie zuvor. Es mag paradox klingen, aber: Ich weiß, was mir wichtig ist."
Vor zwanzig Jahren erkrankte Dreyer an einer seltenen, schleichenden Variante von MS. Vor rund zehn Jahren machte sie das öffentlich. Mit der Bewegungseinschränkung geht sie unverkrampft um "Malumobil" nennen sie und ihre Mitarbeiter das dreirädrige Elektrogefährt, mit dem sich die Ministerpräsidentin gelegentlich fortbewegt. Bei den Rahmenbedingungen fürs politische Agieren gibt es Unterschiede zwischen ihr und der politischen Konkurrentin von der CDU: Klöckner führt einen Landesverband, der in den aktuellen Umfragen bei vierzig Prozent plus liegt. Bislang jedenfalls profitierte sie vom Kanzlerinnen-Bonus. Dreyer ist Frontfrau, aber nicht Vorsitzende einer Partei, die in Rheinland-Pfalz-weiten Umfragen dreißig Prozent plus einfährt. Das macht die Chefin des rot-grünen Bündnisses zur Heldin der Sozialdemokratie. Die ist mit Umfragewerten von 25 Prozent im Bund nicht eben verwöhnt. Dreyer hat einen Bündnispartner, Klöckner muss einen suchen.
"Ich kann mir sehr gut eine Koalition mit der FDP vorstellen."
Die außerparlamentarischen Liberalen wären wohl willig, mit der CDU zu gehen. Ob sie 2016 die Fünf-Prozent-Hürde diesmal nehmen - ungewiss. Immerhin legt die aktuellste Umfrage das nahe. Doch die sieht erstmals auch die Linke im Mainzer Landtag. Zu ihrer Buchvorstellung im Mainzer Gutenberg-Museum lud Julia Klöckner mit Volker Bouffier einen Experten für Schwarz-Grün. Gestört von Handy-Funksignalen der umstehenden Journalisten, bringt der hessische Ministerpräsident eine frohe Koalitions-Botschaft von der anderen Rheinseite mit.
"Wir befruchten uns gegenseitig, wir lernen auch voneinander. Ich glaube, wir sind auch entscheidungsstark."
In Rheinland-Pfalz aber ist das Verhältnis von Schwarzen und Grünen derzeit angespannt. Als "das freundliche Gesicht der Fremdenfeindlichkeit" musste sich Klöckner im Landtag attackieren lassen, die CDU-Fraktion protestiert geschlossen. Verhärtete Fronten. In Hessen war das ähnlich, dennoch ließen sich Brücken bauen. Was dabei half, war dabei der Satz des CDU-Politikers Volker Bouffier, der andere könne "auch mal Recht haben". Den hört man neuerdings manchmal auch von Julia Klöckner. Die Strategin ahnt wohl, dass die Flüchtlingskrise ihr bei der Landtagswahl im kommenden März einen Überraschungserfolg bescheren könnte - wie Fukushima den Grünen. Doch sie weiß auch, dass sie sich alle Türen offen halten muss, um Machtoptionen zu nutzen. Fast ein Vierteljahrhundert sitzen in Mainz Sozialdemokraten an den Schalthebeln.
So, ich bedanke mich. Jetzt habe ich alles heute.
Auf jeder Pressekonferenz von Julia Klöckner gibt’s Gummibärchen. "Greifen Sie zu", sagt sie den Journalisten. "Die Roten müssen weg."
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