Rheinischer Separatismus

26.06.2009
Die scheue Liebe zum alten Westen: 20 Jahre nach der Wende wirft Jochen Schimmang in seinem neuen Roman "Das Beste, was wir hatten" einen melancholischen Blick auf die Bonner Republik.
Es ist der 31. Dezember 1989. Ministerberater Gregor Korff verbringt den Abend in seinem Wochenendhaus auf dem Petersberg bei Bonn. Im Fernsehen sind Bilder von feiernden Menschen am Brandenburger Tor in Berlin zu sehen, und der Bundeskanzler erklärt in seiner Neujahrsansprache, dass das nächste Jahrzehnt "das glücklichste des Jahrhunderts werden" könnte. Doch Korff ist nicht nach Feiern zumute. Für ihn geht das "glücklichste Jahrzehnt" gerade zu Ende, und in dem Feuerwerk, dass über dem Rhein entzündet wird, erkennt er den Brand, in dem die "alte Republik" zu Asche zerfällt.

Damit ist der Tonfall vorgegeben: Jochen Schimmang wirft in seinem neuen Roman "Das Beste, was wir hatten" einen melancholischen Blick auf das Westdeutschland vor der Wende und folgt dabei einem Lebenslauf aus dem Milieu der Achtundsechziger. Gregor Korff, der in jener Silvesternacht im "Morast der Erinnerungen" versinkt, flüchtet aus der Provinz nach Berlin und arbeitet nach einem Flirt mit dem Maoismus zunächst an der Universität von Göttingen und dann an der renommierten Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Korff ist kein Karrierist, sondern jemand, der sich sein Leben "zufallen" lässt, und so akzeptiert er schließlich auch das Angebot eines CDU-Politikers, der ihn 1982 nach dem Regierungswechsel nach Bonn holt.

Hinter dem CDU-Politiker verbirgt sich der spätere Innenminister Rudolf Seiters, und er ist nicht die einzige reale Figur in diesem Roman. Peter Glotz erscheint, und auch der Historiker Michael Stürmer, der einst zu den Wortführern der "geistig-moralischen Wende" gehörte, hat seinen Auftritt. "Das Beste, was wir hatten" ist dennoch kein Schlüsselroman, sondern der Versuch, 20 Jahre nach dem Fall der Mauer eine fiktionale Mentalitätsgeschichte des alten Westdeutschlands vorzulegen.

Jochen Schimmang, selbst Jahrgang 1948, porträtiert mit Gregor Korff einen der vielen Angehörigen seiner Generation, die sich nach ihren wilden Jahren bereitwillig in der BRD eingerichtet haben: "So vernünftig, so wenig extrem, so gemäßigt" wie das Klima im Rheinland, war auch die Atmosphäre der Bonner Republik.

Schimmang beschreibt Korffs "scheue Liebe" zu seinem Land mit zarten und zugleich sehr präzisen Sätzen, so dass man als Leser selbst den verlorenen Jahren vor 1989 nachzutrauern beginnt. Doch natürlich ist das alles viel zu schön, um wahr zu sein, und zuletzt zerspringt das vermeintliche Idyll in tausend Teile. Als die Mauer fällt, stolpert Gregor Korff über eine Affäre mit einer Frau, die als Stasimitarbeiterin entlarvt wird, und aus der kleinen, leisen Bundesrepublik wird das lautstarke und überhebliche Deutschland der Neunzigerjahre.

An dieser Stelle hätte eigentlich Schluss sein können, doch Schimmang hat der Tragödie noch ein Satyrspiel nachgestellt. Einer von Korffs Weggefährten aus den Berliner Tagen plant, das Germania-Denkmal im Niederwald am Rhein in die Luft zu sprengen. Als er gefasst wird, besinnen seine Freunde sich auf ihre radikalen Wurzeln. Sie planen auf ihre alten Tage noch einmal eine Gefangenenbefreiung, und so endet der Roman mit einem wehmütigen Seufzer: Der Kampf geht weiter? Ach, das wäre schön!

Besprochen von Kolja Mensing

Jochen Schimmang:"Das Beste, was wir hatten"
Nautilus Verlag, Hamburg 2009
318 Seiten, 19,90 Euro