Revival der Lokalzeitung in der Coronakrise

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Die "Schwäbische Zeitung" wird bei einer Geschäftstagung von einem Mann im Anzug gelesen.
Kleinere Redaktionen wie bei der "Schwäbischen Zeitung" brechen die Coronapandemie auf das Lokale runter – mit Erfolg. © picture alliance/dpa/Felix Kästle
Von Thomas Wagner · 02.04.2020
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In der Krise schlägt die Stunde der Lokalzeitungen. Blätter wie die "Schwäbische Zeitung" erfahren enormen Zuspruch, vor allem die Digitalangebote sind gefragt. Dennoch stehen viele Verlage vor der Pleite.
Normalerweise kann hier tagsüber jeder reinspazieren. Doch jetzt steht auch hier auf einem Schild am Verlagsgebäude der "Schwäbischen Zeitung" in Ravensburg: "Geschäftsstelle geschlossen wegen Corona".
Der Weg nach oben, in den ersten Stock, führt über eine Treppe und einen Korridor. Gut zwei Dutzend Schreibtische, an denen keiner sitzt, etliche Großbildschirme an der Wand, die abgeschaltet sind.
"So, das ist hier der Newsroom, normalerweise voll besetzt. Sie sehen hier neben dem Chef vom Dienst noch die Politikchefin. Sonst ist niemand da, allesamt im Homeoffice. Es ist schon ein bisschen seltsam."

Radikal veränderter Arbeitsalltag

Hendrik Groth bittet in sein Büro. Der Chefredakteur hat von seinem Schreibtisch aus einen tollen Blick über die Ravensburger Altstadt. Doch Groth blickt angestrengt auf sein Notebook: Die Coronakrise hat den Arbeitsalltag radikal verändert: Die Redakteure sitzen jeweils alleine zu Hause, ausgestattet mit Laptop und Telefon. Und trotzdem entsteht jeden Tag eine neue Zeitung.
"Das klappt ganz gut, das geht definitiv gut, aufgrund der Kommunikationsmöglichkeiten. Wir nutzen die digitale Welt. Wir arbeiten mit Slack. Wir haben Telefonschalten. Wir arbeiten mit Skype."
Das funktioniert: "Hallo, wir wollen mal kurz die Planung… Ha, haben wir noch jemand anderes drin… Ich bin da… Wir haben ein paar Themen schon in der Mantelkonferenz durch: Es geht ziemlich viel um Abitur – und was passiert mit den Schülern."

Die Pandemie - runtergebrochen auf das Lokale

Die weltweite Coronakrise bestimmt einen Großteil der Themen – bei der Lokalzeitung werden sie runtergebrochen auf die Region.
"Dann beamen wir immer eine Etage tiefer. Wie ist die ärztliche Versorgung? Habe ich Probleme? Wir machen mehr Service, Kontakt und so weiter und so fort. Wir haben gerade eine App entwickelt, wo man ganz schnell sich Hilfeleistungen besorgen kann. Wir versuchen, das Alltagsleben der Leute vor Ort zu strukturieren, oder auch Hilfe anzubieten, dass sie wissen: Wie komme ich an wen? Wer kann mir irgendetwas besorgen?"

Die Infos über die Situation vor Ort, in der Nachbarschaft der Leserinnen und Leser, eine tägliche Kinderseite - all das stößt auf täglich steigende Resonanz:
"Da sind wir seit Tagen auf einem Rekordhoch, wie wir es nie gesehen haben. Unsere Zugriffe haben sich verdoppelt. Digital werden wir extrem gut genutzt."
Die große Chance der Lokalzeitung – bei gleichzeitig eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten der Redakteure.
"Da mache ich mal auf ‚Annehmen‘: Du hörst mich, aber Du siehst mich nicht…" – Martin Hennings ist Chef der Lokalredaktion Friedrichshafen bei der "Schwäbischen". Doch die Redaktionsräume hat er seit Tagen nicht mehr betreten – ebenso wie die meisten seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Erreichbar ist er am besten über Telefon oder Skype:
"Wir haben unseren kompletten Betrieb auf Homeoffice umgestellt: Seit gut einer Woche läuft das mittlerweile mit allen Kollegen. Wir sitzen im Moment alle zu Hause und arbeiten vom Homeoffice aus."

Riesengroßes Leserinteresse

Das ist ungewöhnlich für die Redakteure einer Lokalzeitung. Die sind es normalerweise gewohnt, vor Ort zu sein. Hier die eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten, dort das Bewusstsein, auf ein riesengroßes Leserinteresse zu stoßen – das ist der Spagat, den Lokalredakteure wie Martin Hennings dieser Tage meistern müssen:
"Ich denke, dass wir eine relativ wichtige Aufgabe wahrnehmen, weil korrekte, sachliche und abgestimmte Informationen etwas ist, wonach die Menschen schon sich so richtig sehnen. Es kursiert ja relativ viel an Fake-News, an Falschmeldungen. Und da ist es schon ganz wichtig, die Dinge auseinander zu klamüsern."
"Die Olympiaabsage, das wird ja jetzt Leitartikel oder? Genau, da im Homeoffice sitzt der Kollege, der da Experte ist, unser langjähriger Olympiareporter…"

Wirtschaftseinbruch drückt auf Anzeigeneinnahmen

Das Dilemma: Trotz steigender Zugriffe auf die Digitalangebote ist das Anzeigenaufkommen im Keller. Manche Verlage haben bereits Kurzarbeit angemeldet. Davon aber will Chefredakteur Hendrik Groth bei der "Schwäbischen" noch nichts wissen. Er will, dass die Zeitung jetzt da ist für seine Leser und Leserinnen - und die danken es ihm.
"Wir haben in den letzten Jahren ja viele Mails bekommen, dass wir links-grün versifft sind. Dieses ganze AfD-Umfeld hat uns gebasht mit Fake-News. Das hat sich komplett gedreht. Wir haben unheimlich häufig Mails, die sind herzerweichend, wo man sich bedankt, dass wir jetzt noch da wären und weiter Informationen verbreiten würde, wirklich versuchen würden, zwischen Fake-News und echter Realität zu unterscheiden."
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