Retterin des Salzstangen-Halters

Von Jörg Oberwittler · 10.01.2013
Essen ist ihr Lebensthema: Dafür gab Birgitt Claus sogar ihre Karriere als Lehrerin auf. Bereut hat die 48-jährige Berlinerin diesen Schritt nie. Heute leitet sie die Veranstaltungsreihe "eßkultur" in den Museen Dahlem.
"Schon als Kind, wenn wir in den Urlaub gefahren sind, fand ich es immer total spannend, bei anderen Leuten in die Töpfe zu gucken. Man lernt Menschen kennen, wenn man mit ihnen zusammen isst."

"Ich glaub, es ist ein Geburtsfehler. Ich koch eigentlich lieber für 30 Leute als für zwei. Ich mag das total gerne; so große Töpfe, und dass dann viele Leute am Tisch sitzen. Ich mag total gern große Tafeln, große Essen."

Birgitt Claus sitzt am leeren Esstisch ihres Hauses in Berlin-Neukölln. Vor ihr eine Tasse dampfender Kräutertee. Es ist 20 Uhr abends, den ganzen Tag war sie unterwegs - und dennoch erzählt sie voller Energie von ihrer Leidenschaft fürs Kulinarische. Apropos Teetasse:

"Dass wir Porzellan haben, das liegt eigentlich nur daran, dass Kaffee und Tee eingeführt worden sind. Weil vorher haben die Leute hier aus Keramik-Töpfen getrunken, und die hatten viel grobere Sachen. Aber diese feinen Getränke, die brauchten Porzellan. Und deswegen hat man in Deutschland quasi das weiße Gold erfunden."

Und so sprudelt sie vor Anekdoten - und zeigt die dazugehörige Sammlung eine Etage tiefer.

"So nicht erschrecken, wir gehen jetzt in den Keller ... "

Hier hat die 48-Jährige mit ihrem ehrenamtlichen Verein "Eßkultur" 30 Gegenstände rund ums Essen aus der gesamten Bundesrepublik zusammengetragen. Vorbei geht's an Regalen mit Salzstangenhaltern aus den 60ern, Puddingformen und Töpfen aus Großmutters Zeiten, Anbietschalen für Konfekt und Salziges. Manches ist längst vergessen.

"Neben der Thermoskanne ist ja noch der Henkelmann erfunden worden. Und das war halt früher so üblich, dass man mit dem Henkelmann auf die Arbeit gegangen ist, und da war das warme Essen drin. Heute würden wir uns darüber krank lachen, wenn der Mensch im Betrieb seinen Henkelmann aufschrauben und seinen Brei daraus holen würde, oder seinen Eintopf."

Ob Henkelmann, Apfelschäler oder der Reise-Eierbecher eines Botschafters: Birgitt Claus will solchen Dingen einen "Alterssitz" geben.

"Und wir sammeln die Sachen, damit sie nicht verschwinden. Damit man solche Geschichten erzählen kann."

Geschichte durch konkrete Geschichten bewahren - das ist ihr Antrieb. Die Umtriebigkeit hat sie von ihren Eltern. Der Vater arbeitet als Ingenieur in vielen Teilen Deutschlands. Die Familie muss mit. Birgitt Claus wächst in Bayern, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen auf. Umso wichtiger sind die festen gemeinsamen Mahlzeiten. Frühstück, Mittagessen, Abendbrot. Sie ist ...

" ... das Sandwich-Kind. Ich habe eine große Schwester und einen kleinen Bruder. Ich war das zweite Kind und wieder nur ein Mädchen. Für meinen Vater war es ganz wichtig, einen Jungen zu bekommen. Es gab die große Hoffnung, bei der zweiten Schwangerschaft, dass das jetzt endlich der Junge wird. Und dann war es halt wieder nur ein Mädchen."

Nur ein Mädchen, von dieser Haltung lässt sie sich nicht unterkriegen.

"Das ist eine Startposition und dann entwickelt sich da draus was. Ich kann nicht sagen, dass mir das geschadet hat."

Birgitt Claus geht ihren eigenen Weg. Er ist wie ihre kräftigen, dunklen Locken - nicht immer geradlinig, dafür eigensinnig: Ausbildung zur Krankenschwester, Geburt ihres Sohnes, Lehramtsstudium mit Schwerpunkt Ernährungswissenschaft, anschließend macht sie sich selbständig. Heute beschäftigt sie 35 Mitarbeiter bei ihrer Firma "Eßkultur". In der gleichnamigen Berliner Veranstaltungsreihe hören Besucher der Museen Dahlem Texte aus aller Welt und genießen das jeweilige Essen. Höhepunkt: der Roman "In 80 Tagen um die Welt".


"Der Jules Verne beschreibt 1872 eine Weltreise, die er nie angetreten ist. Und der eigentlich nur aus Büchern weiß, wie es wo aussieht. Und was wir halt machen, dass wir quasi diesen Roman von Jules Verne nehmen und den acht Wochen lang jeden Samstag einmal durch alle Abteilungen, wo die Geschichte spielt, durchlesen."

Dazu gibt's das jeweilige Essen - und jede Menge Erkenntnisse: Zum Beispiel, dass Inder doch keine Katzen essen. Oder wie Mangostanen - eine Frucht aus den Tropen - schmecken.

Der Sohn von Birgitt Claus studiert mittlerweile und ist aus dem Haus. Allein lebt die lebenslustige Mittvierzigerin trotzdem nicht, sondern ist überzeugte WG-Bewohnerin. In einem gutshofähnlichen Haus mitten in Berlin.

"Ich bin hier die WG-Oma und wir haben einen Altersdurchschnitt von den Erwachsenen von 20 Jahren."

Zu viert kochen alle abends, ein kleines Baby gehört auch dazu. Und so füllt sich die leere Küche langsam mit Leben. Gleiches gilt fürs Museum.

"Die Sammlung ist mittlerweile so groß, dass sie in diesen Keller nicht mehr reinpasst. Und jetzt hab ich großes Glück, weil dahinten im Hof sind ja diese Stallungen. Die gehören Stadt und Land. Und die haben uns die Stallungen zur Verfügung gestellt für günstiges Geld. Und da bauen wir jetzt ein größeres Archiv, was auch zwei- oder drei- oder fünfmal im Jahr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird."

Sagt's und geht in die Küche:

"So, wir fangen jetzt mal an zu kochen. - Nudeln hab ich nicht gefunden - Ihr habt nicht viele Nudeln gefunden? Wir können auch Spätzle machen - Oder Semmelknödel - Oh, Semmelknödel! - Na gut, dann machen wir Semmelknödel!"


Webseite des Museums "Eßkultur"
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