Donnerstag, 28. März 2024

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Fußball-WM in Brasilien
"Bevölkerung muss man sehr frühzeitig mitnehmen"

Am ersten Tag der Fußball-WM wird in Brasilien weiterhin gestreikt. Je frühzeitiger die Bevölkerung einbezogen werde, desto höher sei die Akzeptanz, wenn das Ereignis stattfinde, sagte Wolfgang Bosbach (CDU), der Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, im DLF zu den Protesten im Land.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 12.06.2014
    Ein Porträtfoto des CDU-Politikers Wolfgang Bosbach
    "Die Menschen haben ein ganz ganz feines Gespür dafür, ob diejenigen, die Verantwortung tragen, fair und ehrlich mit ihnen umgehen", sagt der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach im DLF-Interview. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Man sollte das Publikum nicht unterschätzen, so Bosbach. Darüber hinaus unterstrich er die Bedeutung der Selbstverantwortung des Sportes. Dazu gehöre auch, die Probleme anzusprechen, die es im Zusammenhang mit Großereignissen wie der Fußball-Weltmeisterschaft geben könne.
    Brasilien sei ein Land im Aufbruch, das jedoch auch erhebliche soziale Spannungen aufweise. Es sei nur natürlich, wenn die Bevölkerung die Aufmerksamkeit der Welt für die WM nun nutze, um für ihre legitimen Anliegen zu werben.
    Trotzdem hofft Bosbach, dass die Konzentration in den kommenden Wochen wieder auf dem Wesen des Ereignisses liegt, dem Fußballsport und der Leistung der Athleten. Weder die FIFA noch ihr Präsident Sepp Blatter stünden hier im Mittelpunkt, sondern die Fußballer.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Heute Abend um 22 Uhr ist es also so weit: In Sao Paulo wird die Fußball-WM eröffnet. Wochenlang haben wir gehört, dass sich kein richtiges Fußballfieber einstellen will in Brasilien. Im ganzen Land haben die Menschen dagegen protestiert, dass die Regierung zum Beispiel viel Geld ausgibt für neue Stadien, aber nicht etwa für neue Schulen oder Sozialwohnungen. Heute Abend nun Anpfiff. Am Telefon ist Wolfgang Bosbach von der CDU, der Vorsitzende im Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Schönen guten Morgen!
    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Bosbach, wir sehen Menschen, die in Slums leben, daneben glänzende neue Stadien, die nach der WM niemand mehr braucht. Ist das ein Grund zum Feiern?
    Bosbach: Ein Grund zum Feiern wäre es, wenn unsere Mannschaft nach langen Jahren noch einmal Weltmeister würde. Eine Fußballweltmeisterschaft ist ein Ereignis, auf das die ganze Welt blickt. Natürlich soll man großartige Spiele feiern, großartige Spieler feiern, wenn sie eine tolle Leistung abliefern. Aber eine Fußballweltmeisterschaft ist auch immer Anlass, sich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, mit den politischen Verhältnissen im Gastgeberland auseinanderzusetzen. Und wenn nicht nur, aber auch darüber diskutiert wird, was geschieht eigentlich mit dem Stadion in Manaus, wenn die Fußballweltmeisterschaft zu Ende ist - ich glaube, der örtliche Verein spielt nur in der dritten oder vierten Liga -, dann sind solche Fragen legitim, angesichts der erheblichen sozialen Spannungen, die es in Brasilien gibt.
    Armbrüster: Was hat die Regierung von Dilma Rousseff falsch gemacht?
    Bosbach: Oh, da will ich mir aus Tausenden von Kilometern Abstand kein Urteil erlauben. Aber es war wohl so, dass man - wir haben es ja bei der Olympia-Bewerbung jetzt München-Garmisch wiederum gesehen - die Bevölkerung sehr frühzeitig mitnehmen muss. Es gibt ja auch jetzt in Hamburg ganz aktuell Überlegungen, ob man nicht eine Art Volksbegehren, Volksabstimmung darüber herbeiführen lässt, ob Hamburg sich bewerben soll für Olympische Sommerspiele. Das heißt, je frühzeitiger die Bevölkerung einbezogen wird in Meinungsbildung und Entscheidungsfindung, desto höher ist die Akzeptanz, wenn das Ereignis dann stattfindet.
    Armbrüster: Es gibt ja sogar einige Leute, die sagen, man kann solche Mega-Events eigentlich nur noch in solchen Ländern stattfinden lassen, in denen die Bürger nicht so besonders viel zu sagen haben. Unter anderem sei das auch ein Grund dafür, dass die nächsten beiden Weltmeisterschaften in Russland und in Katar stattfinden.
    Bosbach: Ich halte diese Argumentation für nicht besonders überzeugend, aber ahne jetzt schon, dass es ähnliche Debatten gibt wie im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien. Das gilt für die Lage der Menschenrechte, für Demokratiefragen in Russland ebenso wie für Katar, wo die Stadien gebaut werden unter menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen die dort tätigen Arbeiter arbeiten müssen.
    "Man sollte das Publikum nicht unterschätzen"
    Armbrüster: Herr Bosbach, ist es vielleicht ein grundsätzliches Problem bei solchen sportlichen Events, gerade ein Problem für Politiker wie Sie? Man will einerseits den Spaß an dieser ganzen Sache nicht verderben, aber andererseits gibt es eben Probleme, die man eigentlich ansprechen müsste. Das lässt man dann aber sein, eben weil es halt ein eher spaßiges Ereignis sein soll.
    Bosbach: Man sollte das Publikum nicht unterschätzen. Das gilt für die Politik ganz allgemein, das gilt auch für die Innenpolitik in Deutschland. Die Menschen haben ein ganz, ganz feines Gespür dafür, ob diejenigen, die Verantwortung tragen, in Verbänden, Parteien, Regierungen, im Parlament, fair und ehrlich mit ihnen umgehen oder nicht, und zum fairen Umgang gehört auch, die Probleme anzusprechen, die es im Zusammenhang mit Großereignissen geben kann.
    Armbrüster: Was müssten wir dann nachhaltig über Brasilien sagen, auch nach dieser WM?
    Bosbach: Brasilien ist ein Land im Aufbruch, genau wie zum Beispiel Indien oder Mexiko auch. Das ist ein Land, das tolle Chancen hat, das allerdings auch erhebliche soziale Spannungen hat, und dort gibt es ein Phänomen, was es in nicht wenigen Ländern gibt, dass unglaublicher Reichtum und bittere Armut dicht beieinander leben. Und wenn die Betroffenen wissen, diejenigen, die demonstrieren für bessere Lebensbedingungen, für bessere Arbeitsbedingungen, für bessere Bildung, wenn sie wissen, die ganze Welt schaut auf unser Land, dann nutzen sie natürlich diese Gelegenheit, um für ihre legitimen Anliegen zu werben, auf ihre Sorgen aufmerksam zu machen, und das wird ja dann auch in der Welt registriert. Es wird geschrieben und es wird gesendet. Und trotzdem schwingt bei jedem Fußballfan doch die Hoffnung mit, dass wir uns in den nächsten viereinhalb Wochen wirklich freuen können auf eine fantastische Fußballweltmeisterschaft mit großem Sport.
    Armbrüster: Oder ist der Kommerz rund um dieses Gut Fußball einfach viel zu groß geworden?
    Bosbach: Ja natürlich ist es auch ein großes kommerzielles Ereignis. Im Umfeld einer solchen Weltmeisterschaft und bei der Weltmeisterschaft selber werden Milliarden bewegt. Dasselbe gilt doch für die Olympischen Spiele auch. Aber das ist doch eine Entwicklung, die man nicht mehr zurückdrehen kann. Es sollte doch niemand glauben, dass man im Jahr 2014 noch zu Verhältnissen zurückkehren kann wie 1954.
    "Ich halte sehr viel von der Selbstverantwortung des Sportes"
    Armbrüster: Die FIFA hält sich ja in diesen Tagen, was Kritik an ihr selbst angeht, sehr zurück, auch was Kritik an den Korruptionsvorwürfen angeht. Und wir hören außerdem, dass sich FIFA-Chef Sepp Blatter um eine weitere Amtszeit bemühen will im kommenden Jahr. Was halten Sie von dieser Organisation noch, von der FIFA?
    Bosbach: Die FIFA steht nun nicht zum ersten Mal und nicht erst mit der Vergabe der WM an Katar im Mittelpunkt der Kritik. Da geht es um Bestechungsvorwürfe, die ich selber überhaupt nicht beurteilen kann. Und man sollte da auch nicht aus der Ferne ein Urteil abgeben. Und wir Politiker, wir Parteipolitiker, sollten uns auch nicht in alles einmischen. Ich halte sehr viel auch von der Selbstverantwortung des Sportes. Die muss der Sport dann allerdings auch in einwandfreier Weise wahrnehmen. Ich sehe doch auch heute Morgen wieder in den Medien, in welcher Bredouille jetzt auf einmal die Lichtgestalt des deutschen Fußballsports Franz Beckenbauer steckt. Ich weiß gar nicht, ob die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, ob sie gerechtfertigt sind oder nicht. Ich weiß nur, dass diejenigen, die Vorwürfe erheben, Ross und Reiter nennen sollten.
    Aus solchen negativen Schlagzeilen kommt man nur sehr schwer heraus, denn wie will eigentlich Franz Beckenbauer beweisen, dass er sich nicht hat bestechen lassen. Und ich hoffe wirklich - und das ist ganz ernst gemeint -, dass wir uns jetzt in den nächsten Wochen auf das Wesen des Ereignisses konzentrieren können, und das ist der Fußballsport, das ist die Leistung von den Athleten. Alles darum herum spielt natürlich auch eine große Rolle, ist relevant, gerade wenn eine WM in einem so fußballverrückten Land wie Brasilien stattfindet. Aber im Mittelpunkt des Ereignisses stehen weder die FIFA, noch Sepp Blatter, sondern im Mittelpunkt stehen die Athleten, die Fußballer, die Sportler.
    Armbrüster: Dann sagen Sie uns ganz kurz in 20 Sekunden: Wie viel Fußball wird in den kommenden Wochen im Deutschen Bundestag geguckt?
    Bosbach: Ich tippe mal: Das, was man sehen kann, ohne seine dienstlichen Pflichten zu vernachlässigen, wird auch geguckt. Das ist ja auch ein nationales Ereignis und wir versammeln uns dann fraktionsübergreifend vor den Fernsehgeräten, und wenn die Fraktionen mal alle einer Meinung sind und Deutschland gemeinsam die Daumen drücken, sollte man das nicht beklagen.
    Armbrüster: Live hier bei uns in den „Informationen am Morgen" war das Wolfgang Bosbach, der Vorsitzende des Innenausschusses im Deutschen Bundestag. Vielen Dank!
    Bosbach: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.