Repression gegen türkische Theater

Ein ganzer Apparat wird abgewickelt

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2017 protestieren Theater- und Kunstschaffende zum Internationalen Theater Tag in Istanbul.
Seit Jahren kämpfen Künstler und Künstlerinnen in der Türkei für freie Arbeitsbedingungen. © imago/ZUMA Press/ Erhan Demirtas
Von Janis El-Bira · 25.01.2020
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Wer an einem türkischen Staatstheater arbeitet, muss um seinen Job bangen. Mit angeblichen Sicherheitsprüfungen soll die unliebsame und kritische Kunstszene auf Linie der regierenden AKP gebracht werden, wie Regisseur Nurkan Erpulat vermutet.
"Was habe ich denn getan?", das dürften sich Anfang des Jahres zahlreiche freie Mitarbeiter von Theatern in der Türkei gefragt haben. Denn nachdem sie sich kurz vor dem Jahreswechsel noch Hoffnung auf eine Festanstellung machen durften, wurden vielen von ihnen nun gelbe Umschläge überreicht. Darin: die fristlose Kündigung. Systematische Drangsalierung wittert die Opposition, vielleicht auch eine späte Rache an den Unterstützern der Gezi-Proteste.

Leichte Beute

Der Regisseur Nurkan Erpulat lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Deutschland, beobachtet die Situation in seiner türkischen Heimat aber sehr genau. Er erklärt, weshalb ihn die neue Entlassungswelle keineswegs überrascht hat:
"Das Theater selbst, das Staatstheater sowieso, ist immer ein Dorn im Auge für die Regierung. Und sie wollen das meiner Meinung nach abwickeln, irgendwo fangen sie an. Die nicht fest Angestellten, sondern die Jahr-für-Jahr-Verlängerten waren die einfachsten Häppchen für die – und die haben sie rausgeschmissen. Schauspieler wie Techniker."
Den Angestellten wurde mitgeteilt, dass sie eine "Sicherheitsprüfung" nicht bestanden hätten, hieß es in mehreren Berichten. In der Türkei sei das ein gängiges Mittel, sagt Erpulat.
"Das ist eine Sicherheitsprüfung für Beamte oder mögliche Beamte – das ist eine sehr moralische Sicherheitsprüfung. Da kann jemand ganz schnell rausfallen. Kleinigkeiten: Viel Alkohol getrunken, dann auf der Polizeistation gelandet – die wurden rausgeschmissen. Aber auch Schwulsein wäre in der Türkei zum Beispiel ein Thema, die ‚Sicherheit des Staates‘ zu gefährden."
Dass das nun gerade die Theater treffe, habe mit der Multiplikatorenfunktion zu tun, die vielen türkischen Schauspielern durch ihre Öffentlichkeitswirkung in Theater, aber auch Kino und Serien zukomme. Weil diese zu großen Teilen kritisch gegenüber der Regierungspartei AKP eingestellt seien, erkennt Erpulat auch in den aktuellen Entlassungen ein typisches Vorgehen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, für den "Regierung und Staat dasselbe" seien und somit "alles, was gegen die Regierung ist, gegen Vater Staat ist".

Vorgeschobene Begründung

Dass es hierbei um ein spätes Vorgehen gegen die auch in der Kunstszene zahlreichen Unterstützer der Gezi-Proteste von vor sechs Jahren gehen könnte, hält Erpulat indes für einen vorgeschobenen Grund. Die Maßnahmen seien grundsätzlicherer Art und würden auf die Abwicklung des ganzen Staatstheaterapparats analog zum Vorgehen der Regierung an den Universitäten zielen.
Hoffnung sieht Erpulat zur Zeit deshalb nur noch in der privaten Förderung von Kunst und Theater, ohne Geld vom Staat. In Istanbul etwa funktioniere das anstelle des in der Vergangenheit kaputtzensierten Staatstheaters in Gestalt einer freien Theaterszene bereits sehr gut. Die Vorstellungen seien ausverkauft – trotz des fünf- oder sechsfachen Ticketpreises.
"Das ist das Interessante. Fernsehen, Zeitungen und so weiter werden abgesägt – im Theater und im Privattheater gerade, da gibt es immer noch ein bisschen Freiraum", so Erpulat. "Wie gesagt, jedes Mal, wenn ich das erzähle, habe ich auch Angst, dass ich gehört werde. Ich weiß nicht, was besser ist: Ob ich gehört werde oder nicht."
Nurkan Erpulats eigene neue Inszenierung der "Maria" von Simon Stephens hat am 15. Februar Premiere am Berliner Maxim-Gorki-Theater.
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