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Geschichte Äthiopiens
Haile Selassies Flucht ins Exil

Reggae-König Bob Marley hat Haile Selassie in zahlreichen Liedern besungen, und Jamaicas Rastafaris verehren ihn noch heute als "schwarzen Messias". Am 2. Mai 1936 floh der letzte äthiopische Kaiser vor den anrückenden italienischen Truppen des faschistischen Diktators Mussolini ins britische Exil.

Von Bettina Rühl | 02.05.2016
    Undatierte Aufnahme. Selassie wurde am 23. Juli 1892 in Edjersso als Prinz Tafari Makonnen geboren. Am 2. November 1930 ließ er sich zum Kaiser krönen. Nach dem erfolgreichen Abessinien-Feldzug der Italiener floh er 1936 ins britische Exil, kehrte jedoch 1941 mit britischen Truppen zurück und zog am 5. Mai 1941 wieder in Addis Abeba ein. Anfang Juli 1974 übernahmen die Militärs die Macht und setzten ihn am 12. September 1974 formell als Kaiser ab. Die folgenden Jahre verbrachte Haile Selassie unter strengem Hausarrest im Menelik-Palast in Addis Abeba, wo er am 27. August 1975 starb.
    Der äthiopische Kaiser Haile Selassie in Galauniform in seinem Palast in Addis Abeba. (picture alliance / dpa)
    "Hello hello, this is Addis Abeba, hello hello, this is Addis Abeba."
    13. September 1935. Der äthiopische Kaiser Haile Selassie warnt vor einem Angriff des faschistischen Italien und appelliert an den Völkerbund, seinem Land beizustehen. Aber obwohl Abessinien, wie Äthiopien damals noch heißt, Mitglied des Völkerbundes ist, reagiert die Gemeinschaft auf den Hilferuf nicht. Gut zwei Wochen später überfällt das von Mussolini geführte Italien Abessinien tatsächlich.
    Mussolinis Traum vom Imperium
    Aus den italienischen Kolonien Eritrea und Somalia schickt Mussolini ein Heer von 330.000 Soldaten - nie zuvor hat eine so große europäische Streitmacht in Afrika gekämpft. Sie wird noch von 87.000 einheimischen Askari unterstützt. Mussolini träumt von einem Imperium diesseits und jenseits des Mittelmeers. Seine ostafrikanischen Kolonien in Eritrea und Somalia versteht er als Brückenkopf, von dort aus will er weitere Gebiete erobern. Dazu gehört auch Äthiopien. Trotz der Stärke der italienischen Armee können die äthiopischen Truppen den Vormarsch anfangs stoppen. Dabei kämpfen beide Seiten mit brutalen Mitteln. Äthiopier foltern und verstümmeln Kriegsgefangene. Die Italiener setzen das Giftgas Yperit ein, auch als Senfgas bekannt. Ein Mitarbeiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz notiert in sein Tagebuch:
    "Überall, unter allen Bäumen liegen Menschen. Zu Tausenden liegen sie da. Ich trete näher. Erschüttert. An ihren Füßen, an ihren abgezehrten Gliedern sehe ich grauenhafte, blutende Brandwunden. Das Leben entflieht schon aus ihren von Senfgas verseuchten Leibern."
    Flucht nach London
    Zehntausende Menschen kommen so ums Leben. Das Vieh der Bauern verendet, und das Trinkwasser wird in breiten Landstrichen verseucht. Nach einigen Monaten ist die Niederlage der Äthiopier absehbar. Ende April treten der Kron- und Ministerrat zusammen, um mit dem Kaiser über die Zukunft zu beraten. Eine große Mehrheit rät ihm zur Flucht ins Exil. Denn der international hoch geachtete Herrscher ist eine Symbolfigur. Nach einer weitverbreiteten Lesart stammt Haile Selassie von dem biblischen König Salomon und der Königin von Saba ab. Er steht also für die historische Legitimität eines freien Abessinien, eines seit fast 3.000 Jahren unabhängigen Kaiserreiches. Widerstrebend folgt Kaiser Haile Selassie dem Rat seiner Minister und flieht am 2. Mai 1936 mit britischer Hilfe nach London. Drei Tage später erreichen italienische Truppen die Hauptstadt Addis Abeba.
    Am Abend des 9. Mai, tritt Mussolini auf den Balkon seines Amtssitzes an der Piazza Venezia in Rom und verkündet vor Tausenden von Menschen:
    "Feldmarschall Badoglio hat telegrafiert: Heute, am 5. Mai um 16 Uhr bin ich an der Spitze der siegreichen Truppen in Addis Abeba einmarschiert."
    Äthiopien steht unter italienischer Besatzung
    Äthiopien, das sich als einziges Land in Afrika einer Kolonialisierung bisher widersetzt hatte, lebt nun unter italienischer Besatzung. Doch die neue Kolonie kommt nicht zur Ruhe. Der Historiker Lutz Klinkhammer vom Deutschen Historischen Institut Rom:
    "Es gab durchaus Herde des Widerstands. Und es kam auch zu Attentaten gegenüber wichtigen Funktionsträgern. Auf solche Attentate hat der faschistische Staat dann mit härtester Repression reagiert und hat Tausende von Äthiopiern hinrichten lassen. Und zwar in erster Linie die äthiopische Intelligenz."
    Auch auf dem Land gibt es brutale Strafaktionen gegen die Zivilbevölkerung. Dazu der italienische Historiker Angelo del Boca:
    "Die Soldaten drangen in die Dörfer vor, und es genügte der Fund eines Gewehres oder auch nur von Munition, dann wurden alle Hütten niedergebrannt und manchmal auch die Bevölkerung hingemetzelt. Das war kein Einzelfall, das passierte täglich in vielen Gebieten."
    Rückkehr des Kaisers mithilfe der Alliierten
    Trotz aller Brutalität konnte sich die italienische Armee nicht lange halten. Im Zweiten Weltkrieg unterlag sie den alliierten Truppen, im November 1941 gingen Äthiopien und die anderen ostafrikanischen Gebiete für Italien verloren. Kaiser Haile Selassie erlebte den Sieg der Alliierten schon wieder in seinem Reich: Bereits Anfang 1941 war er mit britischer Unterstützung nach Äthiopien zurückgekehrt.