Reportage

Auf der Flucht

Ein überfülltes großes Schlauchboot mit mehreren Dutzend Menschen treibt auf dem Wasser.
Ein gefährliches Unterfangen: mit dem Boot auf der Flucht nach Europa © picture alliance / dpa / Italian Navy Press Office
Von Sieglinde Geisel · 22.11.2014
Um den Weg von Flüchtlingen nachvollziehen zu können, hat der Reporter Wolfgang Bauer einige von ihnen undercover begleitet. Er erlebt am eigenen Leib, wie es ist, von Schleppern als bloße Manövriermasse behandelt zu werden. Eine Reportage mit politischer Sprengkraft.
Wie gelangen Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Italien oder Griechenland? Das kann nur wissen, wer diese gefährliche Reise selbst unternimmt. Der ZEIT-Reporter Wolfgang Bauer hatte sich diesen Sommer zusammen mit dem tschechischen Fotografen Stanislav Kupar einer Gruppe von syrischen Flüchtlingen angeschlossen. Under cover begleiten die beiden Journalisten einen befreundeten Geschäftsmann, der für seine Familie in Ägypten, dem ersten Zufluchtsort, keine Zukunft sieht.
Doch noch bevor die Gruppe ein Schiff besteigt, überschlagen sich die Ereignisse: Sie werden entführt von einer konkurrierenden Schlepperbande, festgehalten in leeren Wohnungen, quälendes Warten wechselt mit unerträglicher Spannung, in ständiger Ungewissheit darüber, was die nächsten Stunden bringen werden. Die Schlepper-Mafia behandelt die Flüchtlinge als bloße Manövriermasse.
Brillant geschrieben und verstörend
Der Fluchtversuch misslingt: Nachdem das Boot von den Schleppern auf eine unbewohnte Insel gesteuert wird, folgt die Verhaftung durch die ägyptische Küstenwache und damit auch die Enttarnung der Journalisten. Sie müssen nun von Istanbul aus mit dem Flugzeug zurückreisen.
Von der Fortsetzung der Flucht seiner syrischen Freunde berichtet Wolfgang Bauer aus zweiter Hand. Die Ereignisse sind keineswegs weniger dramatisch als im ersten Teil. Man liest dieses Buch atemlos, man blättert vor, und man ist erleichtert, dass man auf ein Foto stößt, das Alaa und seinen Bruder Hussan in Schweden zeigt. Sie also haben es geschafft!
Doch zwischen den Zeilen begleiten uns die Toten des Mittelmeers, und wir ahnen, dass diese Reportage nur erzählt werden kann, weil ihre Hauptpersonen es schaffen. Wir wollen so sehr, dass sie es schaffen - als Leser zumindest wollen wir es. Und als Bürger? In dieser bangen Frage steckt die politische Sprengkraft dieser brillant geschriebenen, verstörenden Reportage.

Wolfgang Bauer: Über das Meer. Mit Syrern auf der Flucht nach Europa
Suhrkamp Verlag, 2014
131 Seiten, 14 Euro

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