René Pollesch über seine Volksbühnen-Zukunft

"Man muss das Haus wieder öffnen"

11:44 Minuten
René Pollesch, Theaterregisseur und Autor, sitzt am Rande einer Pressekonferenz zur "Zukunft der Volksbühne". Er sitzt auf einer niedrigen Bühne, im Hintergrund sind ein Tisch und vier rote Stühle zu sehen, 2019.
René Pollesch, Theaterregisseur und Autor © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
René Pollesch im Gespräch mit Susanne Burkhardt · 15.06.2019
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Konkrete Pläne für die Berliner Volksbühne? - Nein, davon will der künftige Intendant René Pollesch nicht sprechen. Er betont aber: "Ich treffe keine Entscheidung alleine." Und er will wieder hin zu einem Haus, das mehr bietet als "nur" Theater.
Susanne Burkhardt: Die Volksbühne soll jünger, diverser, weiblicher werden, das hatte Klaus Lederer angekündigt bei der Suche nach einem neuen Intendanten. Das hat jetzt in der Person René Pollesch vielleicht noch nicht so ganz geklappt, aber hinter René Pollesch dann wahrscheinlich doch.
René Pollesch: Also es war auch nicht das einzige, was er angekündigt hat. Er hat viel mehr angekündigt, was auch viel mehr zugeschnitten ist auf die Besonderheit der Volksbühne. Ich habe mich alleine dahingesetzt, weil alle, mit denen ich gesprochen habe, dafür waren, dass ich erst mal alleine dasitze, weil wir auch so ein bisschen angeödet waren von … Das spreche ich jetzt nicht weiter. Das war nicht nur meine Entscheidung. Also ich bin ja jetzt kein Ego-Shooter, der sich da alleine hinsetzen muss.
Ich finde es aber gut, wenn nicht plötzlich alle immer das Kollektiv abbilden, was sie vorhaben oder so. Ich habe in dem, was ich vorgelesen habe, gesagt, das erschöpft sich mittlerweile so in Intendanzstaat oder so eine Planung oder eine Berufung darin, so ein Konzept vorzustellen und die Logos abzureißen, neue dazu oder so, das bleibt alles so an der Oberfläche. So sehen dann auch die Pressekonferenzen aus. Das muss alles schon zu sehen sein, also was sie vorhaben. Ah okay, das ist jetzt jung, weiblich, divers, 1904 oder 1906 oder 1908 oder so. Wir sind viel, viel mehr. Wir sind viel mehr, weil wir eine Arbeitspraxis haben, wo ich nie alleine bin, wo ich keine Entscheidung alleine treffe und auch nicht über die Köpfe der Leute hinweg.
Also das habe ich in jedem Interview gesagt, seit 20 Jahren. Wenn Schauspielerinnen und Schauspieler bei der ersten Lesung oder auch bei der zweiten und dritten bis eine Woche vor Premiere Texte lesen, die sie nicht sagen wollen, dann sagen sie sie nicht. Das entscheidet man zusammen. Man muss nicht abstimmen. In einer Probe ist das alles offensichtlich, ob eine Szene, ein Spiel oder ein Text funktioniert. Das sehen alle. Da ist nicht einer dabei, der sagt, aber der funktionierte doch, weil er funktioniert eben nicht, und das sieht man, und darauf reagieren wir. Ich bin auch kein Autor, der an irgendwelchen Texten so hängt, weil sie mit ihm zu tun haben. Meine Sachen sind nicht autobiografisch, sondern die Texte, die ich schreibe, versuchen mein Leben zu bearbeiten, aber transportieren eher die Werkzeuge, mit denen mein Leben bearbeitet wird als mein Leben. Also ich belästige niemanden mit meiner Autobiografie bei Proben.

Ein Autor, der ein Theater leitet

Burkhardt: In Ihrem Text steht auch, es fehlt in Berlin ein Theater, das von einem Autor geleitet wird.
Pollesch: Ja.
Burkhardt: Jetzt ist ja im Nachbarhaus Berliner Ensemble Oliver Reese als großes zeitgenössisches Autorentheater, was irgendwie aber nicht so richtig funktioniert. Liegt das daran, dass es immer den Regisseur gibt, der sich dazwischenschaltet, weil Sie sagen, Regie spielt jetzt bei uns hier nicht mehr so die Rolle?
Pollesch: Es spielte noch nie die Rolle. Oliver Reese widmet sich auch eher Brecht als Repräsentationstheater. Also es gibt ja die Schaustücke. Vielleicht kann ich den Zuhörern sagen, normalerweise, wenn man Brechts Lehrstücke hört, denkt man, man meint alle seine Stücke und meint, ihren pädagogischen Impetus oder so, aber es gibt eine Kategorie von Brecht-Stücken, die sind Lehrstücke, sie sind nicht für Publikum gedacht, und die anderen Stücke sind Schaustücke, aber er, Brecht, war sich natürlich auch dieser Repräsentationsfalle bewusst, wo Theater wirklich krepiert auf einer Bühne, weil man immer nur diesen Entscheidungen nachgeht.
Also da steckt auch der ganze Rassismus und Sexismus drin, wenn man sagt, das versteht doch keiner, wenn Hamlet schwarz ist oder der schwule Volker Spengler die Gute spielt in "Ein Fest für Boris", das versteht man doch nicht, die Zuschauer sehen doch nur einen Schwulen, und das ist Repräsentationstheater. Da wird nämlich eine Entscheidung getroffen, den Schwulen dann wegzukriegen und den Schwarzen wegzukriegen. Das ist Repräsentationstheater. Ich finde, wenn Brecht sagt, vor 60 Jahren, die Autorinnen und Autoren müssen sich mit Schauspielerinnen und Schauspielern zusammentun, dann verstehe ich das total, weil das ist ein stärkeres Bündnis. Darum geht es.
Burkhardt: Sie haben gesagt, Sie kommen nicht als trojanisches Pferd der alten Castorf-Volksbühne, das heißt, es ist noch ganz unklar, ob die alten großen Volksbühnen-Heroen Castorf, Marthaler, Fritsch und wie sie alle heißen, je wieder auftreten werden?
Pollesch: Ja, das kann ich weder mit komplett nein noch mit komplett ja … Das sind auch nicht die Fragen, die wir uns gerade fragen, ehrlich gesagt, weil wir was anderes vorhaben gerade.
Burkhardt: Was fragen Sie sich denn gerade?
Pollesch: Wir fragen uns, wie wir unsere Arbeitspraxis auf ein ganzes Haus übertragen können und wen wir da ansprechen.

"Tagesthemen" auf der Bühne funktionieren nicht

Burkhardt: Unsere Arbeitspraxis, einfach noch mal für die, die jetzt Pollesch-Theater nicht kennen, heißt, wir erarbeiten gemeinsam ein Produkt oder einen Abend.
Pollesch: Ich kann nur immer sagen, ich bringe einen Text zur ersten Probe mit, und die Schauspieler, wenn wir das gemeinsam leben und sie lesen auch die Texte, wo ich ihren Namen davor geschrieben habe, sie wissen, sie müssen diese Texte nicht sagen in sechs Wochen, wenn wir Premiere haben, die müssen sich nicht jetzt schon überlegen, wie mache ich das, sondern es geht darum, erst mal zu klären, worum will man sich kümmern an dem Abend, was soll dieser gemeinsame Theaterabend sein, was wollen wir besprechen, was ist wichtig in unserem Leben und nicht nur die "Tagesschau" angucken, um zu gucken, wie relevant bestimmte Themen sind, um sie dann quasi so dienstleistungsmäßig an den Zuschauer … Wenn das eine Relevanz weiter hätte, hätte ich auch nichts dagegen, aber leider, diese Akte, politische Tagesthemen auf die Bühne zu bringen, krepieren ja meistens, weil niemand der Leute, die auf der Bühne sind, weil das wirklich nicht deren Problem ist, so sehr sie sich auch Mühe geben, dass es ihr Problem ist.
Burkhardt: Sie haben gesagt, dass Volksbühnen-Stars wieder zurückkommen, Fabian Hinrichs, Martin Wuttke, Sophie Rois, Anja Später, Katja Angerer. Sie arbeiten mit Constanze Macras zusammen, die ja hier an der Volksbühne schon gearbeitet hat. Und dann fiel immer ein Name, Florentina Holzinger, und da habe ich gerade mit Kollegen gesprochen, und die sagten, ich weiß gar nicht, wer das ist. Wer ist das denn?
Pollesch: Florentina Holzinger ist eine hochbegabte Theatermacherin. Sie ist hier in Berlin, gastiert jetzt wieder zum zweiten Mal mit "Apollon", ein Abend in den Sophiensälen, und arbeitet hauptsächlich in Wien. Sie hat ein Stück gemacht, das hat auch einen geilen Titel: "Kein Applaus für Scheiße" zum Beispiel ist ein Titel von ihr. Sie ist, glaube ich, auch eine großartige Autorin, und man kann ganz konkret mit ihr reden. Sie hat keine Künstlerflausen im Kopf oder hält sich für bedeutend oder sowas.

"Initiativen der Ex-Besetzer finde ich interessant"

Burkhardt: Als es unter Chris Dercon eine Besetzung der Volksbühne gab, aus Protest gegen seine Intendanz, hat man immer so ein bisschen vermutet, dass René Pollesch da so im Hintergrund auch so ein bisschen Strippen zieht und so weiter.
Pollesch: Strippen zieht garantiert nicht oder so.
Burkhardt: Ist ja auch so ein negatives Wort.
Pollesch: Ja, das neutralisiert ja die Besetzer oder so.
Burkhardt: Aber sympathisiert, können wir das sagen?
Pollesch: Ja, total. Habe ich auch gesagt, habe ich auch in der Presse gesagt. Ja, sehr sogar.
Burkhardt: Und werden die in irgendeiner Form beteiligt hier im Haus?
Pollesch: Ich sehe heute noch jemanden von den Ex-Besetzern. Das Treffen hatten wir eh vor, und das wird auch stattfinden. Das wird heute stattfinden. Mal gucken. Die treffen sich, um eine Volksbühnen-Konferenz vorzubereiten im Juli. Auch das finde ich interessant. Also ich finde das interessant, was die machen. Ich mag die auch gerne, und man trifft sich öfters, und sie haben mich auch schon gefragt, ob ich dies oder das für sie machen könnte.
Burkhardt: Aber das Haus wird kein, wie Klaus Lederer vorhin sagte, kein soziokulturelles Zentrum.
Pollesch: Die Volksbühne wird kein soziokulturelles Zentrum. Ich weiß jetzt nicht, was sich alles hinter diesem Begriff verbirgt. Was hören Sie denn?
Burkhardt: Ich höre Workshops, Tagungen, offene Diskurse.
Pollesch: Vielleicht war ein Fehler der Volksbühne auch unter Castorf in der letzten Zeit, dass sie hermetischer wurde, und man muss das Haus wieder öffnen. Ich glaube, dass das wichtig ist. Die Volksbühne hatte eine Phase, wo sie sich sehr geöffnet hat, wo Kongresse stattgefunden haben, wo Diskussionen stattgefunden haben. Das war alles gut und wichtig, auch immer in Bühnenbildern von Bernd Neumann. Er selber hatte großen Spaß, dass in der Neustadt Kongresse stattfinden. Das muss wieder sein, glaube ich. Also die Volksbühne darf nicht hermetisch bleiben.
Burkhardt: Eine Frage interessiert mich noch, Herr Pollesch. Sie haben damals, als Chris Dercon das Haus übernommen hat und Sie da nicht Schauspieldirektor werden wollten, haben Sie auch gesagt, ich stehe nicht zur Verfügung hier, und ich werde dieses Haus auch nicht mehr betreten.
Pollesch: Das hat Castorf gesagt. Ich habe nicht gesagt, dass ich das gesagt habe.
Burkhardt: Ach so, okay. Sie waren sehr eng befreundet mit Bert Neumann. Als er gestorben ist, haben Sie ein Jahr nicht in Berlin inszeniert, und Sie haben auch gesagt, ich kann die Betten nicht so schnell wechseln.
Pollesch: Ja, genau.
Burkhardt: Wie war das jetzt für Sie, die Volksbühne wieder zu betreten? Sie haben sich den Mitarbeitern vorgestellt. Wie war das?
Pollesch: Ich habe neulich einen Constanze Macras-Abend gesehen, der toll war, und ich betrete das Haus schon. Ich habe jetzt mehr Grund, es wieder zu betreten. Vielleicht habe ich mich auch nur beworben, um mal wieder in der Kantine zu sitzen, über meinen eingeritzten Namen da.
Burkhardt: Wird man wieder rauchen dürfen in der Kantine?
Pollesch: Das kann ich nicht beantworten!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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