Renaissance-Prinz statt Gewaltherrscher

06.12.2012
Heinrich VIII. wird gerne als blutrünstiger, Gattinen mordender Gewaltherrscher porträtiert, ließ er doch unter anderem zwei von sechs Ehefrauen köpfen. Sabine Appels Biografie betrachtet den Monarchen in einem anderen Licht: Sie zeigt ihn als Inbegriff des Renaissance-Prinzen.
Heinrich VIII. (1491-1547) köpfte gern und viel: zu keiner Zeit und unter keinem anderen englischen Monarchen wurden so viele Hinrichtungen vollzogen, wie in den 38 Jahren seiner Herrschaft. Auch zwei seiner insgesamt sechs Ehefrauen gehörten zu den Opfern – im englischen Volksmund werden die Gattinnen denn auch gerne nach dem Reimschema "Divorced, beheaded, died, divorced, beheaded, survived" ("Geschieden, geköpft, gestorben, geschieden, geköpft, überlebt") aufgezählt.

Gegen das Image des fetten, alten, grausamen und Frauen verschlingenden Lüstlings arbeitete vor ein paar Jahren schon die TV-Miniserie "The Tudors" mit dem schönen jungen Jonathan Rhys Meyers als Henry VIII. zumindest teilweise an; die neue deutschsprachige Biografie von Sabine Appel geht da noch viel weiter: Sie zeigt Heinrich VIII. nicht nur als jugendlichen Hoffnungsträger einer Nation, als vitalen, schönen und sportlichen Mann, theologisch und humanistisch umfassend gebildet, Inbegriff des Renaissance-Prinzen, sondern auch als tendenziell monogam veranlagt. Nun ja, seriell monogam.

Anders als viele klassische englische Lebensberichte Heinrichs VIII. geht die mit wunderbar leichter Feder geschriebene Biografie Sabine Appels, nicht primär vom zugegebenermaßen komplizierten Eheleben Heinrichs aus. Auch nicht nur von seinem "Gewissen", auf das der Untertitel des Buches anspielt, und das vor allem in der Krisenphase von 1525-1532 von Belang war, als Heinrich seine Ehe mit Katharina von Aragon lösen wollte, um die von ihm begehrte Anne Boleyn zu heiraten. Katharina hatte ihm nur eine Tochter, die spätere Mary I., geschenkt, ein männlicher Erbe und damit eine sichere Thronfolge fehlte. Um die gewünschte Annullierung vom Papst zu bekommen, argumentierte Heinrich (nach rund 20 ungetrübten Ehejahren), dass ihm sein Gewissen diese Ehe unmöglich mache, war doch Katharina zuvor kurzzeitig mit seinem früh verstorbenen älteren Bruder Arthur verheiratet gewesen.

Die Folgen sind bekannt: der Papst weigerte sich, und Henry, zuvor treuer katholischer "defensor fidei", wandte sich von Rom ab, gründete die Church of England und heiratete Anne Boleyn, die ihm freilich auch nur eine Tochter, die nachmalige große Elisabeth I., schenkte, und die er nach vier Jahren Ehe enthaupten ließ. Danach drehte sich das Ehekarussell immer schneller.

All dies erzählt Sabine Appel in der gebotenen Ausführlichkeit, vor allem aber ordnet sie Heinrich VIII. als Figur in ganz wunderbar klarer Weise in politische und kulturelle Zusammenhänge ein. Ihr gelingt es, ganze humanistische Debatten und politische Konfliktlagen und in zwei, drei ironischen Sätzen zusammenzufassen, und gleichzeitig auch mögliche persönliche Motive und Charaktereigenschaften ihrer Protagonisten – immer ein heikler Punkt bei entfernteren historischen Personen – plausibel und unaufdringlich ins Spiel zu bringen.

Man erfährt in dieser Biografie nicht nur viel über den englischen Hof, sondern auch viele schöne Details über das Europa das 16. Jahrhunderts und die geistigen und politischen Größen der Zeit, von Erasmus von Rotterdam über Thomas More und Martin Luther (der Heinrich nur polemisch "Junker Heinz" nannte) bis zu den für Heinrich VIII. Regierung so zentralen politischen Dienern Thomas Wolsey und Thomas Cromwell.

Besprochen Catherine Newmark

Sabine Appel: Heinrich VIII. Der König und sein Gewissen
C.H. Beck, München 2012
320 Seiten, 16,95 Euro
Mehr zum Thema