Religöse Rituale

Frauen im Tempel

Von Gerald Beyrodt  · 22.11.2013
Der Talmud ist eine der wichtigsten jüdischen Schriften und prägt das Gesicht des heutigen Judentums. Doch er wurde vor fast 2000 Jahren von Männern für Männer geschrieben. Die Rolle der Frauen im Tempelleben ist unklar.
Tal Ilan: "Der Ergebnis dieser Beobachtung ist, dass sowohl der Mischna als auch der Talmud in eine Zeit geschrieben war, als der Tempel nur ein Vorstellung und ein Ideal und eigentlich Hoffnung für die Zukunft ist."
Für die Autoren des Babylonischen Talmuds seien Tempelvorstellungen mit Endzeithoffnungen verbunden. Die Intention der Rabbinen sei gewesen:
"Wir wollen, dass der Tempel so schnell wie möglich wieder gebaut ist. Und da es mittlerweile klar ist, dass in unsere Welt wird kein neue Tempel gebaut, das bedeutet mit der Tempel ist auch der Endzeit zu erwarten, und wir wollen es so schnell wie möglich haben."
Beim Thema Tempel denkt man nicht als erstes an Frauen, sagt Tal Ilan selbst. Denn das Heiligtum sei fest in der Hand von männlichen Priestern gewesen:
"In Judentum gibt's keine Priesterinnen. Es gibt Bereiche im Tempel, die von Frauen nicht betreten sein sollen, ganz im Gegenteil, Frauen sind ausgeschlossen und obwohl Opfern gibt, die Frauen bringen sollen, auch das können sie nicht selber darbringen, sondern sie müssen durch irgendwelche Vermittler die Opfer bringen. Das ist also ziemlich klar, dass Frauen sind total sekundär im Tempelbereich."
Frauen durften keine Tieropfer bringen
Doch die Überzeugung der feministischen Talmudkommentatorinnen und -kommentatoren ist: Es lohnt sich genauer hinzusehen, wie der Talmud von Frauen und Männern im Tempel spricht. So ist es höchst unwahrscheinlich, dass Frauen aktiv am Kultgeschehen im Tempel teilhaben konnten und etwa den Tieropfern anwesend sein konnten. Wenn sie ein Tier zur Opferung brachten, gaben sie es im sogenannten Frauenhof des Tempels bei den Priestern ab.
Doch manche der Rabbinen konnten sich wesentlich mehr Frauenbeteiligung denken, sagt Judaistikprofessor Günter Stemberger aus Wien. Denn sie schilderten nicht, was historisch im Tempel passierte, sondern legten die Vorschriften der Tora aus.
"Zumindest ist das so nicht mehr absolut unmöglich, dass eine Frau aktiv inklusive der Schlachtung des von ihr gestifteten Opfertieres teilnimmt. Zumindest theoretisch hat eine Frau viel mehr die Möglichkeit viel mehr am Opferkult teilzunehmen, als man normalerweise annehmen möchte. Ich möchte damit nicht nahelegen, dass im praktischen Leben so etwas ja stattgefunden hat.
Es ist höchst unwahrscheinlich, wenn wir daran denken, wie eifersüchtig die Priester über ihre Rechte gewacht haben. Was wir sehen, ist, wie eine genaue Lektüre des Bibeltextes zumindest einige Rabbinen dazu befähigt hat, sich mehr vorzustellen, als üblich war. Eine viele konkretere aktivere Teilnahme auch am Opferkult."
Für die Rabbinen war zum Beispiel denkbar, dass Frauen ihre Hände auf den Kopf des Tieres stützen dürfen, während es getötet wird - etwa auf den Kopf eines Stieres. Frauen brachten oft Vogelopfer, besonders wenn sie ein Kind geboren hatten. So berichtet auch das Neue Testament, dass Maria nach Jesu Geburt Vögel opferte. Dalia Marx, Liturgieprofessorin am Hebrew Union College in Jerusalem:
"Das Kind ist nach der Geburt in großer Gefahr. So mögen die Frauen die Notwendigkeit empfunden haben, ihre Babys zu schützen und die Kinder von anderen Müttern zu opfern. Das Vogelopfer ist also eine Art Ersatz-Mord. Die Frau signalisiert Gott: Rühr meine Kinder nicht an. Hier gebe ich dir andere Kinder, die Vögel.
Wir wissen nicht, was im Tempel wirklich passierte. Aber wir wissen, was sich die Rabbinen nach der Tempelzerstörung vorstellten. In den rabbinischen Texten wollen Frauen eine aktive Rolle im Tempel spielen, wollen am Opfer teilhaben. Die Rabbinen verhalten sich dazu ambivalent. Sie sagen, natürlich kann eine Frau bestimmen, was mit einem Vogelnest passiert. Wenn sie aber ihren Willen kundtut, kann es alle möglichen Probleme geben, und deshalb sollte sie das Nest am besten dem Priester geben. Der weiß schon am besten, was er damit tun soll, finden die Rabbinen."
Die Frau ist die Hohepriesterin in der Küche
Viel hat sich im Judentum seit der Zeit des Tempels geändert. Seit seiner Zerstörung gibt es keine Tieropfer mehr und keine Priesterschaft, stattdessen Gebete und Toralesungen. Das Judentum ist eine Laienreligion geworden. Doch der Synagogengottesdienst ist traditionell ein Männergottesdienst.
Ganz anderes sieht es im Haushalt aus. Indem die Hausfrau koscheres Essen zubereitet, ahmt sie Handlungen aus dem Tempel nach. Orthodoxe Handbücher über Haushaltsführung für jüdische Frauen nennen die Frau sogar einen "Hohepriester in der Küche". Der Talmud zieht diesen Vergleich zwar nicht ausdrücklich, stellt aber Analogien zwischen Handlungen im Tempel und in der Küche her. Die Judaistin Hannah Tzuberi:
"Die Tiere, die im Tempel geopfert wurden und genauso die Tiere, die auf einem jüdischen Tisch gegessen werden, müssen koscher sein, das heißt, sie müssen rituell geschlachtet werden, es gibt eine Segnung vor der rituellen Schlachtung und sie dürfen keine Verletzungen haben, diese Tiere, auch nach der Schlachtung nicht, also es werden die Lungen angeguckt, ob da keine Krankheit dran ist und so weiter und das ganze Blut muss aus dem Fleisch auch rausgezogen werden. Erst dann darf das Tier geopfert werden, dargebracht werden im Tempel oder gegessen werden."
Die Überzeugung der Talmudkommentatoren: Frauen haben bis heute mehr Anteil an Tempeltraditionen, als es zunächst den Anschein hat.
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