Religionswissenschaftler über die Hagia Sophia

Am Freitag Moschee, am Sonntag Kirche

06:13 Minuten
Türkei, Istanbul: Menschen stehen in türkische Nationalflaggen gehüllt vor der Hagia Sophia
Die Hagia Sophia soll zukünftig wieder als Moschee genutzt werden. Was viele Türken freut, ruft anderswo Kritik hervor. © picture alliance/Yasin Akgul/dpa
Peter Antes im Gespräch mit Gabi Wuttke · 12.07.2020
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Der Religionswissenschaftler Peter Antes sieht eine Möglichkeit, den Streit um die Hagia Sophia zu entschärfen und schlägt einen Kompromiss vor. Noch ist dieser von der Umsetzung allerdings weit entfernt - und hat wohl auch keine echten Chancen.
Die Hagia Sophia hat eine bewegte Geschichte hinter sich. 900 Jahre war sie eine Kirche für verschiedene christliche Konfessionen, dann über 400 Jahre eine islamische Moschee. Ab den 1930er Jahren wurde sie als Museum genutzt.
Jetzt hat der türkische Präsident Erdogan nach einer Gerichtsentscheidung angekündigt, dass das Unesco-Weltkulturerbe künftig wieder als Moschee fungiert. Kritik daran kommt von vielen Seiten, der Papst verkündete, er sei "sehr bekümmert".

Säkularisierung unter Beschuss

Die Botschaft von Papst Franziskus habe ihn nicht überrascht, sagt der Religionswissenschaftler Peter Antes. Franziskus nehme Sorgen auf, die bereits der Patriarch von Konstantinopel geäußert habe.
Erschütternd sei, so Antes, dass mit der Umwidmung der Grundpfeiler der Türkei - der von Staatsgründer Atatürk erklärte Säkularismus, also die Trennung von Religion und Staat - angegriffen werde. Unter der Regierung Erdogan stehe die Säkularisierung schon seit Längerem unter Beschuss.
Durch die Entscheidung gerate auch der christlich-islamische Dialog unter Druck, der noch bei der Papst-Reise nach Ankara im Jahr 2014 hochgehalten worden sei, beklagt Antes. In "manchen islamisch-konservativen Kreisen" werde der Vorgang auch "als Sieg des Islam über die christliche Tradition Kleinasiens gesehen".

Ein Kompromiss wäre möglich

Dabei hätte die Türkei ein Zeichen für den interreligiösen Dialog setzen können: "Wenn sie einerseits den Wünschen der Muslime entsprochen hätte, indem man freitags die Hagia Sophia als Moschee nutzt, und sie gleichzeitig am Sonntag als christliche Kirche zulässt." Das sei aber leider in der Türkei nicht diskutiert worden.
Klar sei, so Antes, dass Präsident Erdogan die Entscheidung nicht revidieren könne, ohne sein Gesicht zu verlieren. Erdogan stehe selber unter dem Druck der islamischen Hardliner in seiner Partei.
Möglich sei jedoch, mutmaßt Antes, dass Russland noch seinen Einfluss geltend mache. Dieser könne in nächster Zeit wachsen - vor allem dann, wenn wegen Corona statt deutscher Urlauber mehr russische Touristen in die Türkei reisten. Dann hätte Russland einen Hebel, um die Türkei zu beeinflussen.
(beb)
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