Religion und Wirtschaft

Umverteilen mit Luther

Magneten mit dem Porträt Martin Luthers aus einem Cranach-Gemälde liegen am 25.09.2015 im Lutherhaus in Eisenach (Thüringen) auf einem Tisch.
Magneten mit dem Porträt Martin Luthers aus einem Cranach-Gemälde © dpa/picture-alliance/Sebastian Kahnert
Von Christoph Fleischmann · 27.06.2017
Allzu oft werde übersehen, dass es bei Luthers Kritik am Ablasshandel auch ums Geld ging, meint der Theologe Christoph Fleischmann. Gottes Gnade sei umsonst - und das habe auch Konsequenzen für die Verteilung von Geld und Ressourcen in der Gesellschaft.
Erstaunlich, dass bei allem Reformationsgedenken im Jubeljahr kaum thematisiert wird, dass Luthers Ablass-Kritik Kritik an einer ökonomischen Praxis war. Es ist so offensichtlich und wird kaum benannt: Es ging ums Geld. Martin Luther wehrte sich dagegen, Gottes Gnade gegen Geld abzugeben.
Die Kirche hatte aus der Vergebung ein Geschäft gemacht: Mit Hilfe von Ablassbriefen konnte man sich von den befürchteten Fegefeuerstrafen freikaufen. Dahinter stand die Vorstellung vom Schatz der Kirche, den Christus und die Heiligen mit ihren guten Werken erworben hätten: sozusagen ein geistliches Guthaben, aus dem der Papst Gnaden bewilligen konnte – gegen Geld.
Luther stellte die Verfügungsgewalt des Papstes über diesen geistlichen Schatz in Frage: Wer seine Sünden bereue und bekenne, dem seien sie von Gott vergeben, so Luther, jeder Christ habe Anteil am Schatz der Kirche – auch ohne Geldzahlung. Gottes Gnade ist umsonst. Das ist die Lehre, auf die Protestanten doch bis heute stolz sind und die damals dem Papst das Geschäft verhagelte.

Geld und Ressourcen in die Hände der Gemeinschaft

Es ging ums Geld, also um die Frage: Wer darf über was zu welchem Preis verfügen? Das klingt erregend aktuell, wenn man sie auf die materiellen Güter ausweitet, und die protestantischen Kirchen könnten zeigen, welches Potenzial in ihrer Tradition steckt. Das tun sie aber nicht, denn diese Frage wurde schon einmal gestellt – allerdings nicht von Luther. Es waren die revoltierenden Bauern, die zu Luthers Zeit die Macht der weltlichen Herren in Frage stellten.
Die Bauern wollten frei sein von Leibeigenschaft und sie wollten wieder freien Zugang haben zu den Gütern, die Gott doch allen gemeinsam und umsonst gegeben habe: den Wald, das Wild, die Fische im Fluss. Schluss mit Holz-, Jagd- und Fischereiprivilegien für die Gutsherren. Schluss mit den unendlichen Zahlungen an die Herren: Geld und Ressourcen sollten in die Verfügung der Gemeinschaft, sollten wieder zur Allmende werden.

Von Gott gegeben - aber nicht für alle

Diese tendenziell republikanischen Ideen, die den Bauern als eine logische Konsequenz aus Luthers Thesen erschienen – und auch uns heute nahe liegen – die ließ der Reformator nicht gelten, und deswegen gedenkt man der Bauern und ihrer Argumente auch 500 Jahr später nicht. Die Bauern machten sich der Gotteslästerung schuldig, wenn sie sich für ihren Protest auf Gott beriefen, polterte Luther. Herr und Knecht, oben und unten – daran wollte Luther außerhalb der Kirche nichts ändern. Alles was er gesagt hatte, sollte nur für den geistlichen Bereich gelten. Als ließe sich das Geistliche vom Weltlichen einfach trennen!
Aber zu dem Glauben, dass Gott den Menschen geschaffen hat und ihm mit Güte begegnet, gehörte immer, dass Gott auch die Welt geschaffen hat als Ausdruck seiner Güte und Fürsorge. Wenn die Gnade der Vergebung umsonst ist, wieso können dann die von Gott gegebenen Ressourcen in grundherrlicher oder später in privater Verfügungsgewalt sein?
Es gibt das Lebensnotwendige nicht gegen Geld; diese Forderung der Reformation gelte es durchzudeklinieren: Welche lebenswichtigen Güter müsste es umsonst für alle geben? Wäre es nicht Zeit für mehr Commons, wie die Allmende heute heißen, also für Ressourcen, die keinem privat gehören, sondern allen zur Nutzung zur Verfügung stehen?

Geschichtsvergessene Selbstvergewisserung

Das Reformationsjubiläum wäre eine gute Gelegenheit, diese Fragen zu stellen. Aber statt bei dem anzuknüpfen, was der Reformator liegen ließ, was andere aber seinerzeit hellsichtig erkannten, feiern die Kirchen einmal mehr den großen Mann aus Wittenberg als Vorkämpfer der Moderne. Das ist geschichtsvergessene Selbstvergewisserung und kein reformatorischer Aufbruch. Schade.

Christoph Fleischmann, studierter Theologe, arbeitet seit 2003 als freischaffender Journalist und Moderator in Köln; vor allem für den WDR-Hörfunk und andere ARD-Sender. Einer seiner Themenschwerpunkte sind die diversen Schnittmengen zwischen Religion und Wirtschaft. 2010 erschien sein Buch: Gewinn in alle Ewigkeit. Kapitalismus als Religion (Rotpunktverlag). Mehr unter www.christoph-fleischmann.de.

Zum Thema Reformation und Ökonomie lief auf Deutschlandfunk Kultur sein Feature "Gottes Güter umsonst".


Der Theologe und Journalist Christoph Fleischmann
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