Religion und Ernährung

Ist der Buddhismus eine vegetarische Religion?

Buddhistische Mönche bei der Mönchsspeisung in einem Kloster in Myanmar
Buddhistische Mönche bei der Mönchsspeisung in einem Kloster © Imago / Stefan M. Prager
Von Udo Pollmer · 27.02.2015
Dem Buddhismus ist daran gelegen, den Kreislauf des Leids zu beenden. Trotzdem sei der Vegetarismus kein Inhalt dieser Religion - die fleischlose Ernährung sollte besser als ein historisches Merkmal verstanden werden, meint Udo Pollmer.
Liest man die aktuellen Schriften vegetarischer Erbauungsliteraten, dann ist der Buddhismus eine zutiefst vegetarische Religion. Als Vorbild gelten ihnen die Japaner, die sich bis ins 18. Jahrhundert hinein nach den Prinzipien des Buddhismus fast ausschließlich fleischlos ernährt haben sollen. Doch dann habe, so lese ich, "der Westen ein vegetarisches Land zerstört": Erst mit der Atombombe und dann mit der Schulspeisung. Mit letzterer hätten die amerikanischen Besatzer die kleinen Japaner zum Fleischessen verführt.
In der Tat liegt der Schlüssel zum Verständnis der japanischen Küche in der Religion: Als die Japaner im sechsten Jahrhundert den Buddhismus von koreanischen Mönchen übernahmen, gerieten sie in ein Dilemma: Gläubigen war das Töten anderer Lebewesen verboten – und damit waren Steaks und Schnitzel tabu. Leider übersahen die Mönche, dass dieses Gebot nur in Regionen mit subtropischem Klima auf fruchtbaren Böden mit mehreren Ernten im Jahr praktikabel ist – wie in ihrer Heimat.
Im tibetischen Hochland können nur Yaks weiden
Auf Okinawa und im südlichsten Japan, dem Einfallstor der Mönche, herrschen vergleichbare Bedingungen, und dort mochte diese Art der Ernährung für Strenggläubige praktikabel gewesen sein. Aber auf der durchweg gebirgigen Inselkette ist die Vegetationszeit kurz und das Land verfügt nur über wenige kultivierbare Böden. Eine vegetarische Kost war dort fast so aussichtslos wie in Tibet. Wovon bitte sollen sich die mustergültigen Buddhisten im tibetischen Hochland ernähren? Dort wächst kaum etwas außer ein paar Grasbüschel. Hier können nur Yaks weiden. Die werden nach alter Väter Sitte im Einklang mit der buddhistischen Tradition gemolken, geschlachtet und verspeist. Und niemand – außer ein paar europäischen Vegetariern – regt sich darüber auf.
Zum Glück war es in Japan dem gemeinen Volk gestattet, seinen Reis mit Meeresgetier und Federvieh anzureichern. Denn das unbedingte Tötungsverbot galt nur für Vierbeiner. Nach unten und oben setzte man der Beinzahl keine Grenzen. Deshalb genießen die Japaner neben Fischen, Walen und Geflügel bis heute auch Seegurken und Seeigel, Krabben, Asseln, Insekten und Spinnentiere – allesamt traditionelle buddhistische Köstlichkeiten. Ein reizendes Vorbild für die Leckermäuler unter den Abendland-Vegetarierinnen.
Rinder gehören schon lange zur japanischen Landwirtschaft – aber nicht wegen ihres Fleisches, sondern als Zugtiere und Düngerlieferanten für den Reis. Da Weiden fehlen, die Bambuswälder nichts für Rinder sind, und die Bewohner den Milchzucker nicht vertragen, spielte die Rinderhaltung keine große Rolle. Der Verzehr von Fleisch wurde erst 1873 im Rahmen der Meiji-Reform legalisiert, als sich Japan dem Westen öffnete. Damit gerieten die bisherigen religiösen Speisevorschriften nach und nach in Vergessenheit. Heute haben die Japaner so viel Geschmack an Schnitzeln gefunden, dass das nach wie vor buddhistisch geprägte Land einer der wichtigsten Einkäufer von Fleisch auf dem Weltmarkt ist.
Im alten Japan wurde jede Jagdbeute verspeist
Natürlich haben die Japaner immer Fleisch gegessen, sofern es denn verfügbar war. An das Fleischtabu musste in der japanischen Geschichte deshalb immer wieder erinnert werden, so wie im christlichen Abendland an das päpstliche Verbot des Verzehrs von Pferden. Jede Jagdbeute wurde verspeist, egal ob Hase oder Fuchs, auch Gäule landeten nach ihrem Ableben im Topf. Was die Religion wegnahm, brachte die Not wieder auf den Tisch. Außerdem wurden Tiere oder Teile davon auch aus medizinischen Gründen verspeist, so gilt Schlangenblut als lebensverlängernd oder Nashornpulver als potenzsteigernd. Solchen Aberglauben haben die Japaner wohl aus der Mystik der Chinesen übernommen.
Der Vegetarismus ist nicht Inhalt des Buddhismus, sondern ein historisches Merkmal, das auf ganz unterschiedliche Weise praktiziert wird. Dieser Religion ist daran gelegen, das sogenannte "Anhaften" an Vergängliches, das Fixieren auf Leidenschaften und Ideologien zu überwinden, um den Kreislauf des Leids zu beenden. Dazu zählt auch der Vegetarismus deutscher Prägung. Mahlzeit!
Literatur
Pfuhl A: Elastische Traditionen. EU.L.E.n-Spiegel 2012; H.2-3: 20-29
Ohasama S: Der lebendige Buddhismus in Japan. Perthes, Gotha 1925
Trungpa C: The Profund Treasury of the Ocean of Dharma. Shambhala, Boston 2013
Inoue K: Geschichte Japans. Campus, Frankfurt/M. 2001
Vegetarierbund Deutschland: Wie der Westen ein vegetarisches Land zerstörte ... Website, Rubrik "Philosophie und Tierrechte" retrieved 10.2.2015
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Passin H: Japan and the Japanese, Language and Culture Change. Kinseido, Tokio 1980
Ratanakul P: The Buddhist concept of life, suffering and death, and related bioethical issues. Eubios Journal of Asian and International Bioethics 2004; 14: 141-146
Goldstein MC, Beall CM: Nomads of Western Tibet. Odyssey Productions, Hong Kong 1990
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