Religion

Gottes Wort im Autoscooter

Von Andrea Schwyzer · 31.05.2014
Jubel, Trubel, blinkende Lichter, laute Musik: Seit zwölf Jahren reist Schaustellerpfarrer Horst Heinrich über die Jahrmärkte in ganz Deutschland. Seine Gemeindemitglieder sind oft besonders gläubig. Und ganz nach Schausteller-Art findet eine Konfirmation beispielsweise auf dem Autoscooter statt.
"Ich liebe dich", steht auf dem mit Zuckerguss umrandeten Lebkuchenherz. Es hängt inmitten hundert anderer Herzen, über Töpfen mit gebrannten Mandeln und gerösteten Erdnüssen. Der Duft nach Karamell macht die Luft schwer und klebrig. Popmusik mischt sich mit Schlager. Es fiept und piept von überall, Stimmengewirr.
Pfarrer Horst Heinrich lehnt entspannt am Verkaufshäuschen einer Geisterbahn und beugt sich leicht in die gondelförmige Kabine, um besser verstehen zu können. Drinnen sitzt eine gepflegte ältere Dame:
"Wir haben die Einladung eben von Fredy, Sonja und Laura. Schön geschrieben…"
"Haben sie das selber gemacht?"
"Ja, ja. Das ist sehr schön, da freuen wir uns schon drauf. Und ganz nach Schausteller-Art: Auf dem Autoscooter."
"So ist es!"
Noch einen Tag bis zur Konfirmation der vier jungen Schausteller. Pfarrer Horst Heinrich hat bis gerade eben noch in einem Wohnwagen mit den Jugendlichen gebüffelt: Die Zehn Gebote, den Psalm 23, das Glaubensbekenntnis. Es wird der letzte Gottesdienst des Geistlichen beim Frühlingsfest in Hannover sein - im Herbst geht der 65-Jährige in Pension.
"Ein Mensch, der nicht heuchelt, sondern ehrlich ist, das ist gefragt bei den Schaustellern und darum wird er auch gern gesehen und so begehrt."
Onkel Bübchen ist der Besitzer des "Drivers" - des Autoscooters, auf dem die Konfirmation stattfindet. Wie viele der Schausteller wirkt er aufgeschlossen, offen und direkt. Er kennt Pfarrer Heinrich schon seit vielen Jahren:
"Ein Unbefangener, der Fröhlichkeit ausstrahlt, Ruhe… ein lustiger Typ… Wenn man mit ihm an der Theke steht und ein Bier trinkt, dann ist er nicht nur Kirchenmann, dann ist er Freund. Man sieht das schon an seinen lachenden Augen, die reißen einen einfach mit."
Gruppenbild des Pfarrers mit der Schaustellerfamilie
Pfarrer Horst Heinrich mit einer Schaustellerfamilie auf dem Münchner Oktoberfest© dpa / picture alliance / Andreas Gebert
Pfarrer Horst Heinrichs Augen lachen auch an diesem wolkenverhangenen Vormittag, am Tag der Konfirmation. Er hat seine giftgrüne Steppjacke gegen den Talar getauscht. Die Stola ist bestickt: mit einem Riesenrad, einem Wohnwagen, einem Zelt und einem Verkaufsstand samt Sonnenschirm.
"Die schönste Kirche der Welt"
Der Boden der Autoscooter-Anlage ist blank poliert, bunte Wagen parken aufgeräumt am Seitenrand. An der Decke spielen blinkende Lämpchen Fangen reihum. Ein Sänger testet die Anlage und auch Pfarrer Heinrich macht einen Mikrofon-Check. Zwei Festbänke, mit weißen Tüchern abgedeckt, dienen als Altar. Ein paar Blumen, eine Kerze.
"Guck mal, da hab ich dir den Zettel und da ist der Psalm 23 drauf, den lässt du nicht mehr aus den Händen. Den brauchst du nachher, weil wir den zusammen sprechen."
"Ok."
Fein herausgeputzt haben sie sich: Die beiden Konfirmandinnen in Chiffonkleid und Deux-Pièce, die jungen Herren in Anzug und Krawatte. Fredy wirkt besonders nervös. Er kann sich kaum auf die letzten Instruktionen von Pfarrer Horst Heinrich konzentrieren.
"Da darfst du ablesen. Den geb' ich dir jetzt und den darfst du dann nicht verlieren."
"Sonst habe ich ein Problem."
"Ja, sonst hast du ein Problem."
Die Festbank-Reihen füllen sich, Fotografen wuseln herum, Kinder spielen Fangen. Die Festtagsgemeinde wirkt aufgeregt und wenig besinnlich.
"Seien Sie alle ganz herzlich gegrüßt. Es ist schön, dass sie alle gekommen sind zu diesem ganz besonderen Gottesdienst, zur Konfirmation von Xaver, Fred, Sonja, Laura. Nach Schausteller-Art wollen wir diese Konfirmation feiern. Äußerlich sichtbar: Wir sind auf einem Autoscooter und ich finde immer wieder: Die schönste Kirche der Welt. Es hat etwas!"
Es ist eine Kirche, in der geraucht werden darf. Eine Kirche mit eigenen Liedern, eigenem Schaustellergebet, eine Kirche, in der geklatscht und gelacht wird.
"Fred, schau' mir aus den Augen. Aus dem vierten Buch Mose: Der Herr segne dich und behüte dich. Das ist ein Text, den könnte ich auch mal schnell auswendig lernen." (Lachen)
Pfarrer Horst Heinrich liest kaum ab. Predigt, Segnungen, Bibelzitate - er kann alles auswendig. "So bin ich näher bei den Leuten", sagt er später. Dass es während der Zeremonie so unruhig ist, stört ihn nicht. Heute sei es sogar verhältnismäßig ruhig gewesen.
Die Tränen liegen nicht an der Luft im Festzelt
Die Nervosität der Schausteller-Familien vor der Konfirmation, ihre festliche Garderobe, die Verbundenheit zu ihrem Pfarrer - das alles zeigt, dass sie den Glauben durchaus ernst nehmen. Vielleicht mehr noch, als andere Berufsschichten.
"Ja, sie sind sehr gläubig, unter anderem weil sie so abhängig sind von Dingen, die man nicht einschätzen kann. Vom Wetter, wie sind sie dort angenommen, wenn sie in einen neuen Ort kommen. Das macht schon demütig."
Die Fahrgeschäfte stehen immer noch still. Um zwei Uhr nachmittags geht der Rummel wieder los. Bis dahin wird gefeiert.
Für eine Suppe reicht es noch, sagt Pfarrer Horst Heinrich mit Blick auf die Uhr. 700 Kilometer Autofahrt warten noch auf ihn. Er folgt den Familien in die Festwirtschaft und wird sogleich von Laura, einer der Konfirmandinnen, umarmt. Sie bedankt sich bei ihm, freut sich, dass er noch vorbei schaut. Pfarrer Horst Heinrich schießen augenblicklich die Tränen in die Augen. Und das liegt nicht an der stickigen Luft im Festzelt.
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