Religiöse und kulturelle Identität im osteuropäischen Film

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 10.11.2012
17 Filme zeigen auf dem Filmfestival in Cottbus die unterschiedlichen Facetten religiösen Lebens in den postkommunistischen Gesellschaften Mittel- und Osteuropas: vom orthodoxen Christentum über Katholizismus und Islam, bis hin zu jüdisch-orthodoxen Traditionen.
In einem kleinen Bergdorf in Südalbanien leben Muslime und Christen seit Jahrhunderten friedlich zusammen. Aber dann gefährdet die Liebesbeziehung eines muslimischen Malers zu seinem christlichen Modell das empfindliche Gleichgewicht.

Der heiter und fast beschaulich erzählte Film "Albanische Chronik" aus dem Jahr 2010 ist in seiner Darstellung eines friedlichen Miteinanders der Religionen ein erfrischender Gegensatz zu den Kriegs- und Katastrophenmeldungen vereinfachender Fernsehberichterstattung, sagt der Kurator der Reihe, der Filmwissenschaftler Bernd Buder:

"Religion ist immer in den Schlagzeilen. Es gibt Konflikte, teilweise gibt es auch religiös geprägte Konflikte, ich würde nicht unbedingt von Religionskriegen sprechen, sondern davon, dass es Konflikte sind, die im Namen der Religion ausgearbeitet werden. Es gibt in Osteuropa eine Vielzahl von Religionen, die nebeneinander und miteinander existieren. Wir wollen damit auch zeigen, dass es eine Region ist, die einen unwahrscheinlich großen kulturellen Reichtum hat."

17 Filme zeigen die unterschiedlichen Facetten religiösen Lebens in den postkommunistischen Gesellschaften Mittel- und Osteuropas, vom orthodoxen Christentum über Katholizismus und Islam, bis hin zu jüdisch-orthodoxen Traditionen. Es geht den Filmemachern um die Rolle von Religion in persönlichen Krisensituationen, ebenso wie in politischen und sozialen Umbrüchen.

"Es geht aber auch darum, wie diese Konflikte bewältigt werden. Darum geht es in erster Linie, also wir zeigen keine Kriegsfilme, keine Filme über Religionskriege."

Dargestellt wird in den Filmen dagegen, wie Religion etwa in den großen Konflikten der Region, wie den Kriegen um den Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens oder den gewalttätigen Auseinandersetzungen im Kaukasus, zur historischen Legitimierung staatlicher Identität führt - in einer Gleichsetzung von Kirche und ethnischer Identität.

"Auf der anderen Seite aber auch, dass Kirche, die Glaubensgemeinschaft oft interpretiert wird als Vehikel, mit dem man verschiedene Besetzungen überdauert hat. Dazu gehört im Balkanraum die Überdauerung der Christen, oder der Nationen in dem Falle auch, gegenüber der osmanischen Besetzung. In Polen wird es so interpretiert als Überdauerung der "kommunistischen Besetzung", dazu kommt dann noch der zweite Weltkrieg, also ein unglaubliches interessantes und historisches Gemengelage, aus dem die Religionen in Augen vieler als Hüter der Nation hervorgegangen ist."

So rekonstruiert der polnische Regisseur Rafal Wieczynski in einem 2009 entstandenen Spielfilm Leben und Sterben von Jerzy Popielusko. Der Priester setzte sich vehement für die Gewerkschaftsbewegung "Solidarnos" ein und wurde 1984 vom kommunistischen Geheimdienst ermordet.

Mit stark gefühlsbetonten Effekten wird Wieczynskys Film zum antikommunistischen Heldengemälde. Die katholische Kirche, so der Regisseur, sei bis heute grundlegender Bestandteil der polnischen Identität.

Rafal Wieczynski: "Immer wenn die Menschen in Polen Schwierigkeiten hatten, haben sie sich wieder Gott zugewendet. Das war so, als die Schweden im 17. Jahrhundert angriffen, das war im ganzen 19. jahrhundert so und auch im 20. Jahrhundert und natürlich ganz besonders während der kommunistischen Zeit. Denn als die Kommunisten alle Lebensbereiche kontrollierten, keine Freiheit zuließen, war die Kirche mit ihren kulturellen und sozialen Angeboten wie eine Art Parallelstaat."

Große historische Kostümfilme sind in Cottbus allerdings die Ausnahme. Viele Filmemacher suchen die Beziehung zwischen religiöser Praxis, politischen und sozialen Konflikten über kleine persönliche Geschichten, oder erzählen von kleinen Gemeinschaften.

Drei Spiel- und zwei Dokumentarfilme erzählen vom Leben im Kloster, zeigen den schmalen Grat zwischen Geborgenheit und Unterdrückung oder in bedrohter profilierter Situation, wie ein orthodoxes Kloster im mehrheitlich islamischen Kosovo.

Andere Filmemacher, wie der 37-jährige Pole Michal Tkaczynski, erzählen vom radikalen Wandel ihrer Protagonisten durch religiöse Erfahrung:

Michal Tkaczynski: "Pawel war 22 Jahre alt und hasste alles, was mit Juden zu tun hatte. Als seine Mutter ihm mitteilte, dass sie aus einer jüdischen Familie stammte, konnte er sich nicht mehr im Spiegel anschauen, ich bin selbst der, den ich immer gehasst habe."

Sein Film "Der Mond ist jüdisch" erzählt, wie sich ein antisemitischer und gewalttätiger Fußballfan zum orthodoxen Juden entwickelt.

Film kann aber auch eine direkte Lebenshilfe sein: So pilgert ein litauischer Regisseur selbst die 4417 Kilometer von Vilnius nach Santiago de Compostela. Dabei filmt er seinen Weg vom dunklen Winter in den spanischen Frühling und erzählt von der Überwindung seiner persönlichen Lebenskrisen und seiner Alkoholsucht.

Jokubas Vilius Turas:"Man muss einfach denken, dass alles besser werden könnte, und diesen Glauben einfach behalten. Das ist nicht einfach. Viele Menschen begehen Selbstmord in unseren Tagen. Ich wollte einen Weg aus der Hoffnungslosigkeit aufzeigen, aus dieser Dunkelheit, die so ansteckend ist. Raus aus diesem Fluss der Depressionen."

Die Filmreihe in Cottbus zeigt ein breites Spektrum religiöser und kultureller Identität im osteuropäischen Film. Und neben der thematischen Bandbreite ist dabei aber auch die stilistische Vielfalt überraschend: Sie reicht von der großen Inszenierung im historischen Spielfilm bis hin zur subjektiven Kamera als Ausdruck einer schonungslosen Selbstdarstellung.


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