Reise zum toten Vater

12.11.2007
Edward St Aubyn, der sprachlich so elegante Verkünder von Gewalt und Verrottung hinter glänzenden Fassaden und vornehmer Attitüde, begleitet in "Schlechte Neuigkeiten" eine verlorene Seele auf der Suche nach Erlösung in der Hölle. Der Autor richtet seinen stahlkalt sezierenden Blick auf die Glut der Sucht und die ihr innewohnende Selbstvernichtungslust.
Ein junger Mann im Flugzeug von London nach New York. Voller Vergnügen hat er am Abend zuvor die Nachricht vom Ableben seines Erzeugers erhalten.

"Ich bin hier, um die Leiche meines Vaters abzuholen", murmelt Patrick Melrose am Flughafen auf die Frage nach dem Grund seines Besuchs in den USA. "Einen schönen Tag noch", erwidert die Passbeamtin und gibt ihm seinen Ausweis zurück.

Was wie eine schwarze Posse beginnt, hätte zur bitterkomischen Groteske werden können. Was aber nur zum Teil gelingt. Weil immer wieder der Drogensumpf lockt, in dem nicht nur der Held des Buches versinkt, sondern mit ihm sein Autor, wenn er sich immer noch einmal mit Hingabe und Akkuratesse der Beschreibung von Drogenbesteck und Venensuche widmet.

Edward St Aubyn, der sprachlich so elegante Verkünder von Gewalt und Verrottung hinter glänzenden Fassaden, seidenen Vorhängen und vornehmer Attitüde begleitet in diesem zweiten Teil seiner Melrose Trilogie eine verlorene Seele auf der Suche nach Erlösung in der Hölle und richtet seinen stahlkalt sezierenden Blick auf die Glut der Sucht und die ihr innewohnende Selbstvernichtungslust.

Patrick Melrose kommt - wie sein Autor- aus der englischen Oberschicht, ist reich, intelligent und verkommen. Aber nun, da der Vater tot ist, wird Patrick clean werden. Kein Heroin mehr, kein Koks. Denn jetzt ist er frei und wird sich auch von seiner Sucht befreien. Doch kaum hat er sein elegantes Hotelzimmer bezogen, stürmt er in den Central Park, wo die Dealer schon warten.

Und so wird aus der Reise zum toten Vater eine Reise in Wahnphantasien und Todesverlockung, in Seelennot, Herzrasen und Beschaffungsstrategien - mit so manchen nächtlichen Irrfahrten immer in Richtung Stoff.

St Aubyn beschreibt mit minuziöser Präzision die Technik des Spritzens und Schluckens und Schnupfens, die Angst und Panik, wenn ein Stoff schlecht oder eine Vene kaputt ist, wenn ein Kolben klemmt; und erzählt mit empfindsamer Kälte von den kurzen Höhen des Rauschs und den langen Abstürzen in komatöse, elendige, todesnahe Zustände in kalt gekachelten Bädern oder schmierigen Toiletten.

Patrick Melrose ist ein Mann, der sich durchschaut und nicht entkommt, verzweifelt lebensgierig auf Grenzerfahrungen und kosmische Leere, einer, der Sex sucht und Berührungen nicht erträgt, der intelligent plaudert, während die Sucht ihn von innen zernagt.

Und da gelingen St Aubyn Szenen der absurden Begegnungen, die hinreißend böse und bissig die angeblich feine Gesellschaft, das Leben und auch den Tod verspotten.

Melrose jagt von einer Betäubung in die nächste, immer auf der Flucht vor den Bildern der Erinnerung, die ihn verfolgen. Sein Vater hat ihn über Jahre misshandelt und missbraucht. Jetzt endlich ist sein Peiniger tot, verbrannt. Seine Asche gesammelt in einem Holzkästchen, das Patrick in einer braunen Papiertüte durch New York trägt.

"Als er die einundsechzigste Straße erreichte, wurde Patrick klar, dass er das erste Mal in seinem Leben länger als zehn Minuten mit seinem Vater allein gewesen war, ohne vergewaltigt, geschlagen oder beleidigt worden zu sein."

Es hilft, den ersten Teil der Trilogie gelesen zu haben, um das Ausmaß der vollkommen gleichgültigen Grausamkeit des eleganten Vaters zu begreifen und die ebenso vollkommene Verwüstung des Sohnes.

Die so filigran wie herzzerreißend erzählte Gewalt und Zerstörung des ersten Bandes ist hier nur noch Subtext. St Aubyn zeigt zwar die Abgründe, in die Patrick stürzt. Doch als Leser stürzt man nicht mit. Wie man es im letzten Buch tat. Man bleibt eher Beobachter eines furiosen, glänzend geschriebenen Spektakels.

Rezensiert von Gabriele v. Arnim

Edward St Aubyn: Schlechte Neuigkeiten
Übersetzt von Frank Wegner.
DuMont Verlag, Köln 2007
223 Seiten, 17,90 Euro