Reise zu den weißen Flecken auf der Landkarte

20.07.2010
"Barrow's Boys" ist sowohl ein unverzichtbares Muss für historisch Interessierte als auch für Laien, die Fans britischen Monthy-Python-Humors sind. Erzählt wird von einer Zeit, als Expeditionen noch als mediale Großereignisse gefeiert wurden.
"Eine unglaubliche Geschichte von wahrem Heldenmut und bravourösem Scheitern", das verspricht der Untertitel des Sachbuches "Barrow´s Boys" des englischen Bestsellerautors Fergus Fleming; zwei Bücher von ihm sind bereits auf Deutsch erschienen: "Die ersten Eroberungen der Alpengipfel" und "Neunzig Grad Nord: Der Traum vom Pol".

"Barrow´s Boys" führt den Leser an folgende Schauplätze: nach London, in die Arktis und die Antarktis und nach Australien und Zentral-Afrika. Der Zeitrahmen: das 19. Jahrhundert von 1816 bis 1859.

Initiator dieser Reisen ans damalige Ende der Welt war John Barrow (1764-1848), Sohn eines Kleinbauern, der sich beharrlich nach oben arbeitete und 1804 den Posten des Zweiten Sekretärs der britischen Admiralität erhielt und ihn 44 Jahre lang behielt.

Da die britische Marine zu dieser Zeit die mächtigste Institution in Großbritannien stellte, wurde der Erzbürokrat Barrow damit zu einem der einflussreichsten Männer des Königreiches. John Barrows große Stunde kam, als Napoleon 1815 bei Waterloo endgültig den Krieg verlor und sich die britische Marine, die größte der Welt, gezwungen sah, massiv abzurüsten. Barrow beschloss, ein gigantisches Arbeitsbeschaffungsprogramm ins Leben zu rufen. Er schickte "seine Jungs", Dutzende Marineoffiziere und ihre Mannschaften, auf den Weg, die letzten weißen Flecken auf den Landkarten der Welt zu erforschen, ob in der Arktis oder in Afrika.

Zunächst wurden die beiden Hauptziele noch als wirtschaftlich wichtig legitimiert. Die angeblich geniale Abkürzung nach Asien aber, die damals fantasieumrankte Nordwestpassage, der Seeweg vom Atlantik zum Pazifik durch die Eismassen der Arktis nördlich Kanadas, stellte sich als unpassierbar heraus.

Und auch das zweite vermeintlich lukrative Hauptziel in Afrika, Timbuktu und der Niger-Fluss, wo das Gold bergeweise an den Ufern liegen sollte, erwies sich als Chimäre. Nichtsdestotrotz schickte Barrow weitere 28 Expeditionen ins Nirwana, oft starben die Männer wie Fliegen, in der Heimat waren sie als Helden umjubelt; jede Expedition wurde als nationales Medienereignis gefeiert, spektakulär wie die Mondlandungen unserer Tage.

Die britische wie die deutsche Presse sind sich zu Recht einig, dass "Barrow´s Boys" herausragend ist; es macht zum ersten Mal einen Wust von Expeditionen des 19. Jahrhunderts übersichtlich, trägt Einzeldarstellungen zusammen, öffnet bisher unveröffentlichte Originalquellen.

Wenn man sich für das hybride 19. Jahrhundert und dessen Entdeckungs- und Wissenschaftsgeschichte interessiert, dann kommt man an diesem Sachbuch-Thriller nicht vorbei.

Der nicht vorinformierte Leser sollte allerdings wissen, worauf er sich einlässt: Das Buch gleicht einer endlosen Suche einiger Wahnsinniger nach einem Puzzlespiel, das es gar nicht gibt. "Barrow´s Boys" ist sowohl ein unverzichtbares Muss für historisch Interessierte als auch für Laien, die Fans britischen Monthy-Python-Humors sind.

Besprochen von Lutz Bunk

Fergus Fleming: "Barrow´s Boys – Eine unglaubliche Geschichte von wahrem Heldenmut und bravourösem Scheitern"
Aus dem Englischen übersetzt von Henning Ahrens,
marebuch Verlag, Hamburg 2010, 599 Seiten, 17,90 Euro