Reise ins 20. Jahrhundert

Von Barbara Wiegand · 15.09.2013
Der Glaube an Zukunft und Fortschritt, aber auch der nagende Zweifel an den möglichen Folgen - sie prägten das 20. Jahrhundert. Eine neue Ausstellung im Hamburger Bahnhof Berlin versucht einen Dialog zwischen den Werken der Museumseigenen Sammlung Marx mit Arbeiten von Warhol bis Beuys und den Positionen junger Zeitgenossen.
"The best is yet to come"…. – das Beste kommt noch – das kann doch nur ironisch gemeint sein, fragt man sich gleich am Anfang der Ausstellung. Denn diese Reise zum Ende 20. Jahrhunderts und darüber hinaus, sie beginnt als ziemlich düsterer Trip.

Zu Mozart’schen Klängen flimmern im ersten Raum Bilder eines russischen Vorortzuges über die weiße Wand. Hin und her geschaukelt von der schnellen Fahrt kämpft sich hier ein Obdachloser durch die schmalen Gänge und rezitiert Puschkin – für Geld. Hinter der Wand breiten sich die Basaltsteine der Titel gebenden Beuys-Installation auf dem Boden aus. Das Ende des 20. Jahrhunderts liegt hier auf dem Boden - so urgewaltig wie zerbröckelt. Und fertig zum Abtransport auf dem bereitgestellten Hubwagen. Eugen Blume, Leiter des Hamburger Bahnhofs:

"Wir haben das Glück, dass diese Arbeit 'Das Ende des 20. Jahrhunderts', dass die Teil der Sammlung ist. Eine Arbeit mit viel utopischem Potential. Und wir fanden es toll, diesen Titel 'Das Ende des 20sten Jahrhunderts', der ja in sich auch etwas rätselhaft ist als Titel zu wählen. Aber er genügte uns nicht.

Wir wollten deutlich machen, dass diese Arbeit keine Weltuntergangslarmoyanz ist, sondern dass Beuys an die Zukunft gedacht hat. Und wir wollten es nicht so trocken machen. Deshalb sind wir auf den berühmten Song 'The Best is yet to come' gekommen, der Titel bringt eine Ironie ins Spiel, denn im Deutschen könnte es ja auch heißen – es war schon genug Schlechtes, jetzt kommt es noch schlimmer. Es hat aber auch die Seite eines wirklichen Optimismus."

So mag diesem Ende des 20. Jahrhunderts ein Anfang inne wohnen – aber auch die bange Frage: Was wird werden? Oder auch "Que fare" – was tun? wie es Beuys’ Zeitgenosse Mario Merz in kleiner Pinkfarbener Leuchtschrift über den Beuys’schen Basaltbrocken formuliert.

Denn Beuys wird hier nicht allein gelassen. Vielmehr konfrontiert man ihn mit Zeitgenossen wie den erwähnten Mario Merz und mit jüngeren Künstlern. Etwa dem US-Amerikaner Matthew Buckingham und seiner Vision der steinernen Präsidenten-Portraits am Mount Rushmore - in 500.000 Jahren.

"Und wir sehen, dass die Steine erodiert sind - man hat nur noch ein Geröllfeld. Auf diese Weise ironisiert Buckingham die politische Monumentalität. Er dekonstruiert diesen Mythos der großen amerikanischen Republik und Demokratie mit diesem kleinen fiktiven Bild. Das sind so die Dialoge – Und natürlich eine einfache Ebene – Buckingham bezieht sich auf Steine und Beuys natürlich auch. Die Basaltstelen sind in einem anderen Zusammenhang gedacht, aber sie sind auch geologisch gedacht."

So entspinnt sich hier ein Dialog zwischen der Kunst der Sammlung Marx und jungen Positionen. Es gibt Auseinandersetzungen mit idealen Visionen und politischen Utopien, beklemmende Prognosen und Menschheitsträume. Andy Warhols zigfach reproduzierte Mao-Portraits werden von Isa Genzkens Wohlstands bornierter Puppe aus dem Liegestuhl heraus desinteressiert betrachtet. Robert Rauschenbergs fantastisch skizzierte Raketen hängen Agnes Meyer-Brandis für eine tierische Mondfahrt konditionierten Gänsen gegenüber. Cy Twomblys zart von Poesie durchzogene, vage Abstraktionen finden ein wunderbares Pendant in Sara Barkers filigran formfreien Skulpturen. Kuratorin Catherine Michels

"Wir sind immer von der Frage ausgegangen, die die Werke aus der Sammlung Marx aufgeworfen haben. Wir haben uns zunächst die Sammlung Marx mit frischen Augen, einem neuen Blick angeschaut und gefragt, was sagen die einzelnen Werke über die Geschichte aus und ausgehend nach dem passenden Gesprächspartner jeweils zu suchen."

Herausgekommen ist ein Dialog, der nicht immer – aber immer wieder erstaunlich gut funktioniert. Er lässt einen über die Jahre längst zu Modernen Klassikern gewordene Werke der Sammlung Marx neu entdecken und führt vor Augen, wie ernsthaft sich Künstler von heute bisweilen mit dem Morgen auseinandersetzen – allem schnelllebigen Hype zum Trotz. Ein Dialog, der scheinbar in einem Monolog endet. Denn neben den im letzten Raum gehängten bleihaltig apokalyptischen Bildwerken Anselm Kiefers übersieht man fast die Eule, die Jason Dodge auf eine Pappschachtel gelegt hat –

"Das typische Symbol der Eule, die Eule als Zeichen des Todes, als Überbringer von dunklen Geschichten, die ist tot. Und man muss das Symbol neu denken, und das ist eine Einladung zum Nachdenken. Für uns stellt es gerade den Beginn dar."

Also vielleicht doch - so beklemmend die Prognosen der beteiligten Künstler auch sein mögen: The best is yet to come – das Beste kommt noch – jene Songzeile, die Frank Sinatra als Inschrift für einen Grabstein wählte – 1998 – am Ende des 20. Jahrhunderts.