Reise in die subatomare Welt

30.06.2008
Ein Tisch, ein Stuhl, eine Tasse - für das menschliche Auge sind diese Gegenstände fest. Was wir nicht sehen: Sie bestehen aus winzigen Atomkernen, die recht weit voneinander entfernt sind und von viel leerem Raum umgeben sind. Kenneth W. Ford führt den Leser in seinem Buch "Wie klein ist klein?" in die Logik der Quantenphysik ein.
Sitzen Sie gerade an einem Tisch? Klopfen Sie mal drauf. Ist er fest? Zumindest scheint er so. Könnten Sie aber mit einem Supermikroskop den Tisch ansehen, so würden Sie erkennen, dass der Tisch aus Atomen besteht: winzige Atomkerne, die recht weit von einander entfernt sind, sind umgeben von viel leerem Raum, durch den die Elektronen schwirren. Dieser Raum ist ebenso "leer" wie die Scheibe, die ein herumwirbelnder Propeller beschreibt. Etwas extrem Kleines kann mühelos hindurch schlüpfen, größere Dinge prallen an einer solchen Atomwand ab.

Quantenmechanik ist, kurz gesagt, die Physik des extrem Kleinen. Sie entzieht sich in Vielem dem gesunden Menschenverstand. Selbst Physiker haben bis heute große Probleme mit dieser Theorie: Feste Materie ist überwiegend leerer Raum, Zeit ist relativ, Masse wird bei einer Kollision gewonnen oder verloren, und das Ergebnis ist immer ungewiss, egal wie genau die Ausgangsdaten sind. So etwas erscheint auch den Experten irgendwie unheimlich.

Unerschrocken nimmt Kenneth Ford seine Leserinnen und Leser mit auf eine Reise in die skurrile subatomare Welt. Fliegt da ein Teilchen? Oder ist es eher eine Welle? Nein, es ist beides! In der Logik der Quantenphysik gibt es kein Entweder-oder, nur ein Sowohl-als-auch. Doch bevor Ford tiefer in die Geheimnisse der Quantenwelt eindringt, schickt er das Publikum in einen Rechenkurs. Wissenschaftliche Schreibweisen und Einheiten werden kurz erklärt. Anschließend geht es um physikalische Grundbegriffe: Länge, Geschwindigkeit, Zeit, Masse, Ladung, Spin etc. Sie alle sind in der Welt der Quanten etwas anders als in unserem Alltag.

Dann schlendert Kenneth Ford durch den ganzen "Zoo" der Elementarteilchen. Ob Leptonen, Baryonen, Fermionen, Bosonen, Quarks etc. Er erklärt, welche Eigenschaften die Teilchen haben, wie man sie beobachten bzw. berechnen kann und wie die Forscher ihnen auf die Schliche kamen. Die Geschichte der Quantenmechanik wurde größtenteils von sehr jungen Physikern in den 20er Jahren in Göttingen geschrieben. Zwischen den zum Teil sehr fachlichen Passagen tauchen immer wieder kurze Anekdoten auf, in denen der Autor schildert, was den Physikern beim Entdecken der Welt des ganz Kleinen widerfahren ist.

Kenneth Ford war früher Direktor des American Institute of Physics. Er ist noch immer Hochschullehrer und spricht sein Publikum häufig mit einem vereinnahmenden "wir" direkt an. Beim Lesen dieser umfassenden, aber sehr anspruchsvollen Darstellung der Quantenwelt fühlt man sich oft in einer gedruckten Vorlesung. Im Anhang stellt Ford prompt Prüfungsfragen zu den zehn Kapiteln, deren Bearbeitung zum Teil erhebliche mathematische Kenntnisse verlangt. Doch keine Sorge: Die Lösungen stehen nur ein paar Seiten weiter ... Einige Schwarz-Weiß-Zeichnungen und viele Formeln sollen das Verständnis der komplizierten Zusammenhänge erleichtern.

Laien wird beim Lesen von "Wie klein ist klein?" kräftig der Kopf schwirren. Damit sind sie allerdings in bester Gesellschaft; denn den Experten ergeht es nicht anders. Kenneth Ford zitiert den großen Physiker Niels Bohr: Wem beim Nachdenken über die Quanten nicht der Kopf schwirre, der habe sie nicht richtig verstanden.

Rezensiert von Dirk Lorenzen

Kenneth W. Ford: Wie klein ist klein? Eine kurze Geschichte der Quanten
Aus dem Amerikanischen von Michael Schmidt
Ullstein 2008, 397 Seiten, 19,90 Euro