Reinheitsgebot war gestern

Craft Beer boomt - das Ende vom Traditionsbier?

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Craft-Brauer entwickeln Bier mit exotischen Geschmacksrichtungen. © imago/ZUMA Press
Von Anja Nehls · 16.06.2017
Craft-Bier-Brauer gelten als die Rebellen unter den Bierbrauern. Die großen Braukonzerne, die industrielles Bier produzieren, achten auf den konstanten Geschmack ihres Gebräus - anders die Craft-Brauer. Die entwickeln Bier mit exotischen Geschmacksrichtungen.
In einem kleinen Raum in einem Friedrichshainer Hinterhof lässt Christoph Flessa genau 55 Liter Wasser in ein großes Edelstahlgefäß einlaufen
"Brauen tun wir ein Pils, ein untergäriges Bier, ein Vollbier, mit 12 Grad Plato Stammwürze."
Zwölf Männer alle Altersklassen recken die Hälse, um nichts zu verpassen. Briebrauen ist hipp in Berlin. Selbstbrausets aus dem Versandhandel finden reißenden Absatz und Braukurse wie hier bei Flessa sind nachgefragt wie nie. Ulrich steht ganz vorne:
"Ich gehe in zwei Jahren in Ruhestand und vermutlich, weil ich noch Platz in meinem Fahrradschuppen habe, könnte es sein, dass ich demnächst mein eigenes Bier brauen möchte."
Vorher heißt es allerdings schleppen und schütten. Zehn Kilogramm Malz müssen für 50 Liter Bier gequetscht werden. Volker, der heute hier seinen Junggesellenabschied feiert, ist für die Schüttung verantwortlich.
"Also, er macht das sehr gut, ich glaube, er kann heiraten."
Die Aromamalze holt Christoph Flessa dann aber doch lieber persönlich. Zweimal 400 Gramm:
"Und was sind das jetzt für Malze? Das ist jetzt Pilsener Karamellmalz, ja das ist jetzt unser Rezept für das Pils, weil das ja jeder vielleicht einen Tick irgendwie was anders macht. Oder es kommt ein anderer Hopfen zum Einsatz oder eine andere Hefe auch, und all das macht natürlich Unterschiede."

Noch ist Craftbier ein Nischenprodukt

Einen ganzen Tag, dauert der Einführungskurs für künftige Hobbybrauer bei Christoph Flessa. Flessa Bräu ist eine der kleinsten Brauereien in Berlin. Vor fünf Jahren hat der Chef selber sein Hobby zum Beruf gemacht. Inzwischen gilt er als Geheimtipp, braut in der Hinterhof-Werkstatt über 5.000 Liter im Monat, beliefert ca. 20 Restaurants, Bars und Spezialbierläden - mit Pilsener, aber auch mit phantasievollen Craftbeer-Sorten wie Red Lager Mandarina oder IPA - Indian Pale Ale – , eines der Modebiere der Szene:
"Craft Beer wird über die Rohstoffe definiert, Craftbiere sind sehr hopfenbetonte und/oder malzbetonte Biere, die ein sehr ausgeprägtes Geschmacksprofil haben. An Craftbeer scheiden sich auch die Geister, also es sind Biere, die von Experimentierfreude und Individualismus geprägt sind."
Sagt Holger Eichele vom Deutschen Brauerbund.
Craftbier ist ein Nischenprodukt. Es macht in Deutschland kein halbes Prozent des Gesamtbiervolumens aus. Und obwohl der Gesamtbierkonsum in Deutschland sinkt, gab es niemals mehr Sorten als jetzt – und niemals mehr Brauereien. öAllein in Berlin entstanden seit 2006 laut seiner Statistik 27 neue Brauereien, z.B. "Heidenpeters"," Brlo", "Malz und Moritz" oder "Berliner Berg GmbH".*
"Da ist Berlin ein ganz wichtiger Motor für Deutschland, also an keinem Ort ist die Gründerszene so dynamisch wie in Berlin. In Berlin sammelt sich ein internationales Publikum, Berlin lebt vom Tourismus, Berlin lebt von der Gastronomie, in Berlin ist es vergleichsweise günstig, sich Betriebsräume zu mieten. Das ist für viele junge Brauer der ideale Ort, um sich hier an einem Start-Up zu versuchen. Wir haben aber in Berlin auch etablierte Brauereien, die schon seit vielen, vielen Jahren erfolgreich im Craft Segment unterwegs sind."
So wie Oliver Lemke, der schon Craft Bier gebraut hat, als das noch nicht so hieß. Die Gasthausbrauerei Luisenbräu war eine Institution in Berlin seit Ende der 80er Jahre. 2.500 Hektoliter selbst gebrautes Bier gingen dort Anfang der 90er aus dem Zapfhahn in die Gläser. Zahlen, von denen bis heute so manche Gasthausbrauerei und so mancher CraftBeer-Produzent träumt.
"Brauerei komplett selber gebaut, also nicht alte Töpfe gekauft, sondern Blech gekauft, Blech gekantet, Blech gebogen, Schweißkurs gemacht für eine 200 Liter Anlage, die bis heute funktioniert. Und auch was die Bierstile anging. Ich sag immer, im ersten halben Jahr habe ich 50 verschieden Biere gebraut. Und da war auch überhaupt nicht vermittelbar den Gästen Das haben wir eingegrenzt und haben gesagt o.k., wir machen Pils und haben aber immer weiter auch Dinge gemacht, die unüblich waren. Es gab eben mal ein Trappistenbier und es gab auch 2001/ 2002 gab es mal ein IPA. Es war einfach 15 Jahre zu früh."
Inzwischen hat sich die Idee durchgesetzt. Oliver Lemke betreibt drei Gasthaus-Brauereien mit Biergarten in Berlin und hat für sein Imperial Stout mit 12 Prozent Alkohol letztes Jahr einen der weltweit wichtigsten Bierpreise gewonnen. 6,50 Euro kostet die 0,33l Flasche im Versand. Pils ist deutlich günstiger. Pils ist ein Volksgetränk. Craftbeer habe dagegen schon den Stellenwert von gutem Wein, meint Holger Eichele:
"Bier ist jetzt auf dem Weg zu einem Gourmetprodukt, zu einem Lifestyleprodukt, wir reden über die Rohstoffe, wir reden über verschiedene Hopfensorten, verschiedene Malzsorten, wir reden über Food Pairing, also welche Gerichte passen zu welchen Bierstilen, die Spitzengastronomie entdeckt Biere, wir erschließen uns immer mehr Bierstile."

Berliner Brauer möchte ganz Europa beliefern

Im Biergarten von "Stone Brewing" in Berlin Marienfelde , erschließen sich zwei Berliner Ehepaare gerade neue Bierstile. "Stone Brewing" stammt aus Kalifornien, ist erst seit einem guten Jahr in Berlin und angetreten, die Berliner Craft Szene richtig aufzumischen.
Mit handwerklich gebrautem Bier eines kleinen Anbieters hat das hier nichts mehr zu tun: Über 50 verschiedene Craft Biere gibt es hier und auf dem Tische stehen jetzt vor jedem der vier Ehepartner fünf Biergläser mit jeweils 0,1 Liter Bier – von hellgelb, bis dunkelbraun – allesamt Sauerbiere, bei denen neben der alkoholischen noch eine bakterielle Michsäuregärung stattfindet – ein sehr altes und sehr schwieriges Brauverfahren:
"Wir sind den Weg gegangen, dass wir einfach gesagt haben, bringen Sie uns einfach etwas, wir sind neugierig und haben jetzt eine Auswahl an Sour-Bieren, sehr lecker, sehr gewöhnungsbedürftig zum Teil, aber alle interessant. Das ist ein Blackberry, hat nichts zu tun mit dem Telefongerät und schmeckt eigentlich so ein bisschen nach Schwarzkirsche, und im Abgang nach Kaffee. Dann gibt’s hier ein Sour Pils, eher etwas schläpplich im Geschmack und vor allem keine Kohlensäure, bad goose, die böse Gans, Goose-Biere sind aber auch so saure Biere, die ist ganz o.K., vor allem recht cremig so im Geschmack, die ist gut, kann ich empfehlen."
Verantwortlich für die Sorten, die direkt hier gebraut werden ist Braumeister Thomas Tyrell. Sein Arbeitsplatz ist die alte Fabrikhalle des ehemaligen Gaswerks Marienfelde. Die denkmalgeschützten Backsteinbauten beherbergen jetzt die Brauerei und eine große mit Felsbrocken, Baumstämmen und historischen Gaslampen dekorierte Restauranthalle. Von der aus kann man direkt in das Sudhaus gucken. 20.000 Hektoliter werden in diesem Jahr voraussichtlich produziert. Von hier aus will Stone Brewing fast ganz Europa beliefern:
"Als wir angefangen sind, haben wir uns so ein bisschen an den Rezepturen orientiert, die wir in den USA brauen, haben geguckt, wie bekommen wir die mit lokalen Zutaten ähnlich gebraut. Und jetzt sind wir wild am Experimentieren und machen verschiedenste Sachen, und da lassen wir uns ganz lokal inspirieren."
Die Berliner Weisse mit echtem Waldmeister am Sour Sunday ist so ein Beispiel dafür. Die Whiskyfässer aus Eiche, die wie ein Fremdkörper in der nagelneuen Edelstahlbrauhalle wirken, sind ein anderes Beispiel:
"Wir haben hier ein paar Fässer, da lagerte ein deutscher Whiskey und wir haben da jetzt gedacht, bringt uns mal die Fässer vorbei, wir machen da mal Bier rein und die Holzaromen kommen da rein und das Bier atmet ein bisschen, was ganz ungewöhnlich ist, bei Bier eigentlich, wir lassen uns ,mal überraschen, was jetzt da rauskommt."

Moderne Namen für ein Trendprodukt

"Arrogant Bastard Ale", "Stone Coffee Milk Stout", "Stone Ruination" oder "Xocoveza" heißen die Sorten, die, so ist Thomas Tyrell überzeugt, sich am besten in Berlin verkaufen oder brauen lassen:
"'Xocoveza' kommt von Choccolate und cerveza. Wir nehmen ganze Kakaobohnen, die wir hier frisch mahlen, wenn wir brauen, es kommt Kaffee mit rein, Zimt, Vanille, Chlili. Alle was man sich nicht so vorstellen kann im Bier. Wir können uns das vorstellen. Wir sind hier auch beim Bezirksamt in Berlin vorstellig geworden und haben eine Sondergenehmigung dafür beantragt, dass wir das überhaupt hier brauen dürfen. Und wir haben die bekommen."
Dagegen ist das Pils, das die künftigen Hobbybrauer in der Brauerei Flessa brauen, vergleichsweise simpel: Hopfen, Malz, Hefe und Wasser – eben streng nach dem deutschen Reinheitsgebot. Alles Geschmacksache - und erlaubt ist, was schmeckt, finden die Craftfreunde: Und auch die, die es auf keinen Fall werden wollen:
"Ich trinke gerne Bier, aber ich habs nicht so mit Craft Bier und habe dann lieber so Klassiker, klassisches Pils. – Ich trinke selbstverständlich ein anständiges Bier, was trinke ich denn gerade, das ist ein Lager Bier, das ist schon ganz milde, man würde sagen, ich bin ein Weichei, aber das ist mir schon zu bitter. Diese Biere kennt man ja sonst nicht, insofern war das mal ganz interessant. – Das lässt die Seele lachen...!

*Anmerkung: An dieser Stelle war in der ursprünglichen Textfassung die Firma "Schoppe Bräu" genannt worden als eine der Brauereien, die seit 2006 in Berlin entstanden sind. "Schoppe Bräu" legt Wert auf die Feststellung, dass das Unternehmen bereits 2001 gegründet worden ist.

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