Reihe: Dramaturginnen der ARD

Juliane Schmidt: „Nicht nach Schema F“

Die Hörspieldramaturgin Juliane Schmidt
Die Hörspieldramaturgin Juliane Schmidt © Foto: Anne-Kerstin Hege
Von Raphael Smarzoch · 28.05.2019
Juliane Schmidt, Hörspieldramaturgin beim RBB, ist daran interessiert, in ihrer Arbeit die vielfachen Möglichkeiten des Hörspiels zu erforschen. Neben klassischen Formaten, wie etwa der Adaption von Romanen, geht sie auch Experimente an, die bis in die Klangkunst reichen.
Juliane Schmidt Fragebogen
Juliane Schmidt: Mein Name ist Juliane Schmidt und ich arbeite als Hörspiel-Dramaturgin und -Redakteurin in der Hörspiel-Abteilung des Rundfunk Berlin-Brandenburg.
Frage: Können Sie sich noch an ihr erstes Hörspiel erinnern, das Sie gehört haben?
Schmidt: Das muss in meiner Kindheit gewesen sein und ich erinnere mich sehr gut an ein Hörspiel, was ich auf Schallplatte hatte, nämlich "Die Schneekönigin". Das war eine Produktion von Litera, einem DDR Label, und das hatte so ein wunderschönes Cover, weiß, mit einer Rose drauf. Und dieses Hörspiel habe ich rauf und runter gehört.
Frage: Was fasziniert Sie am Hörspiel?
Schmidt: Das Hörspiel ist für mich eine Kunstform, die unglaublich vielgestaltig ist. Das fängt mit dem puren einfachen Monolog an und kann bis ins opulent gestaltete Fantasy-Hörspiel gehen. Und das, was mich als Dramaturgin natürlich auch richtig so vom Beruf her begeistert, ist, wie viele Arten des Erzählens das Hörspiel hervorgebracht hat und man kann eigentlich immer wieder neue Erzählweisen finden.
Frage: Was macht ein zeitgenössisches Hörspiel aus?
Schmidt: Ein zeitgenössisches Hörspiel ist offen in seinem Zugang zu Formen, zu Aufnahmeweisen zu Aufnahmetechniken. Es spielt offen mit Sound. Es experimentiert auch mit Sound, mit allen Mitteln, die dem Hörspiel zur Verfügung stehen. Es hat keinen Formkanon, den es irgendwie abarbeiten muss.
Frage: Was muss ein gelungenes Hörspiel bei seinen Zuhörern auslösen?
Schmidt: Ein gelungenes Hörspiel verhält sich wie jedes gelungene Kunstwerk. Es berührt. Es lässt uns etwas entdecken, was wir so noch nicht wahrgenommen haben oder was wir so auch noch nicht gedacht haben. Und durch ein gelungenes Hörspiel kann man im besten Sinne eine Erfahrung machen, die man noch nicht gemacht hat.
Frage: Was muss eine gute Hörspiel-Dramaturgin können?
Schmidt: Eine gute Hörspiel Dramaturgin begeistert sich für Stoffe, begeistert sich für Menschen, begeistert sich für deren Geschichten, begeistert sich für Figuren, will Figuren ausloten in ihrer Tiefe, begeistert sich auch für die Autorin, nimmt da Anteil, begleitet Autoren, begleitet Regisseure, fordert heraus.
Frage: Welches Potential steckt im Hörspiel, das noch nicht ausgeschöpft wurde?
Schmidt: Ich glaube, dass sich durch die digitale Wende noch einiges tun wird, dass sich da noch etliches entwickeln kann, weil Technik einfacher beherrschbar geworden ist. Jeder hat mittlerweile Möglichkeiten, mit Schnittprogrammen zu arbeiten. Vielleicht wird es mehr Leute auch noch begeistern, sich selbst auszuprobieren.
Juliane Schmidt, Hörspieldramaturgin
Schmidt: Wir haben jetzt so einen Serienhype, der kam über Amerika zu uns geschwappt. Das ist auch sehr schön, das ist die Möglichkeit immer wieder zu Charakteren zurückzukommen, die man schon mal kennengelernt hat und das noch zu vertiefen.
Dieser Möglichkeit geht Juliane Schmidt in dem Hörspiel "Unterleuten" nach, einer mehrteiligen Serie, die auf dem gleichnamigen Roman der Autorin Juli Zeh basiert. Zusammen mit der Hörspielmacherin Judith Lorentz entwickelte sie die Dramaturgie des Stücks, das in einem fiktiven Dorf in der Prignitz im Nordwesten Brandenburgs spielt. Um das Buch nicht einfach zu kopieren, konstruierten Schmidt und Lorentz eine eigene Erzählform, um die komplexe Geschichte wiederzugeben.
Schmidt: Judith Lorenz und ich wir haben ja da eine Erzählweise gefunden, einerseits ganz authentisch in die Szenen reinzugehen, eine Handlung über Szenen zu verfolgen und andererseits haben wir klassische Monologe, die wir aber in Interviewform aufgelöst haben, so dass sie nicht mehr so klassisch sind. Es gibt keine Fragen, es gibt nur eben die Antworten, die Erzählungen der Figuren und dadurch haben wir wieder ein originär dramatisches Genre bedient.
Die Monologe integrieren eine weitere dramaturgische Ebene in das Stück, die der Roman nicht bietet. Sie ermöglichen Einblicke in das Innenleben der Figuren.
Hörbeispiel 1: "Unterleuten"
Beim Hören des Mehrteilers entsteht ein dichtes Geflecht aus unterschiedlichen Erzählsträngen, Schicksalen und Charakteren. Das Dorf wird zu einem mikroskopischen Abbild der deutschen Gesellschaft. Zu einer Experimentierfläche, auf der politische Konflikte und zwischenmenschliche Dissonanzen ausgetragen werden. Hervorzuheben ist auch das akustische Design der Folgen, das tatsächlich den Eindruck erweckt, mitten auf dem Land zu sein.
Schmidt: Peter Avar hat den Sound gemacht. Der hat in der Verbindung mit der Musik von Lutz Glandien, aber auch mit ganz vielen Geräuschen, die sie da auf dem Land aufgenommen haben, schafft der so eine Landatmosphäre, die ist künstlerisch überhöht durch die Musik und auch durch die Art, wie sie die Geräusche verschränken, wie sie sie mischen. Und das evoziert in uns Hörern hoffentlich ein Bild von einem Dorf im Sommer.
Hörbeispiel 1: "Unterleuten"
Juliane Schmidt wuchs selbst in einer ländlichen Gegend auf, in einer Kleinstadt in der Uckermark. Zum Hörspiel gelangte sie auf Umwegen. Ursprünglich wollte sie zum Theater und studierte Theaterwissenschaft in Berlin, musste aber feststellen, dass sie lieber nicht als Regisseurin arbeiten möchte. Es folgte ein Studium der Literaturwissenschaft und Philosophie.
Schmidt: "Diese ganzen Bausteine aus der Praxis, aus der Literatur, aus der Philosophie – das kommt für mich ideal im Hörspiel zusammen und dann habe ich diesen Beruf der Dramaturgin für mich entdeckt."
Vielfältige Aufgabenbereiche
Herausfordernd an ihrem Beruf sind für Juliane Schmidt die vielfältigen Aufgabenbereiche. Um eine gute Hörspieldramaturgie zu entwickeln, muss sie Ärztin und Hebamme zugleich sein, bemerkt sie schmunzelnd im Gespräch. Es geht darum, mit viel Fingerspitzengefühl die spezifische Arbeitsweise eines Autors zu durchdringen. Ideen auf ihren Gehalt zu prüfen und eine gute Story zu erkennen, wie etwa bei dem Hörspiel "Väter. Helden. Oder die Sache mit der Solidarność und dem Rosa Kaugummi".
Schmidt: Dieses Stück hat eine lange Entstehungszeit. Aber es kam dann eigentlich im richtigen Moment. Es kam in dem Moment, als die Flüchtlingsströme aus dem Bürgerkriegsland Syrien kamen und wir haben dann hier eine Geschichte erzählt, wo Menschen aus Polen fliehen mussten, weil sie mit dem Leben bedroht waren als Mitglieder der Solidarność.
Die Autorinnen Renata Borowczak-Nasseri und Johanna Rubinroth erzählen die Geschichte von Aska, die mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater nach Deutschland emigriert und erfährt, dass ihr leiblicher Vater ein Held der Solidarność war. Zusammen mit ihrer Freundin Renka begibt sie sich auf die Suche nach ihm. Eine Suche, die nicht nur die polnische Vergangenheit aufdeckt, sondern auch das heutige deutsch-polnische Verhältnis beleuchtet. Man erfährt von ergreifenden Schicksalen, zum Beispiel von einer polnischen Ärztin, die mehrere Jahre als Putzfrau arbeiten musste, weil ihre medizinische Ausbildung in Deutschland nicht anerkannt wurde.
Hörbeispiel 3: "Väter. Helden. Oder die Sache mit der Solidarność und dem Rosa Kaugummi"
Als dramaturgisches Kontrastmittel zu der Schwere der Geschichten wirkt die humoristische Inszenierung des Hörspiels. Auch darin gibt das Stück ein typisches polnisches Wesensmerkmal wieder. Trotz einer turbulenten Geschichte mit vielen Widerständen haben die Polen immer ihren Optimismus und Kampfgeist bewahrt.
Schmidt: Man muss versuchen, zu einer Erzählweise zu kommen, die nicht einfach nur Schema F ist.
Assoziativer Bewusstseinsstrom
Das ist der Hörspielautorin Christine Nagel mit dem Hörspiel "Blatnýs Kopf oder: Gott der Linguist lehrt uns atmen" gelungen. Juliane Schmidt konzipierte gemeinsam mit ihr die Dramaturgie des Stücks, die einem assoziativen Bewusstseinsstrom ähnelt. Erzählt wird die Lebensgeschichte des obskuren tschechischen Lyrikers Ivan Blatný. Originaltonaufnahmen des Dichters treffen auf Rezitationen seiner geheimnisvollen Texte. Dazwischen improvisiert immer wieder eine Jazz-Band.
Hörbeispiel 4: "Blatnýs Kopf oder: Gott der Linguist lehrt uns atmen"
Schmidt: In dem Fall war das Wagnis ja diese zum Teil kryptischen Texte von Ivan Blatný, die aber, wenn man sie dechiffriert, dann hat das was von Surrealismus.
"Blatnýs Kopf" ist ein akustisches Experiment zwischen Ambient und Literatur. Es lässt dem Hörer die Freiheit, den Gedichten genau zu lauschen und über ihren Sinn nachzudenken oder sich einfach nur auf die Stimmung des Stücks einzulassen und in seinen atmosphärischen Duftwolken zu versinken. Auch das kann Hörspiel für Juliane Schmidt sein: Eine akustische Kunstform, die bewusst Grenzen in die Soundart überschreitet.
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