Reif für die Insel

Von Mirko Heinemann · 28.07.2009
Das Reisen liegt dem Jazzmusiker Torsten de Winkel im Blut. Von Frankfurt aus zog es ihn über New York auf die Kanaren-Insel El Hierro. Dort war er Mitbegründer des Bimbache-Musikfestivals. Jedes Jahr wird die Veranstaltung ein wenig größer.
Am Fuß des steilen Vulkanhangs liegt das flache, fruchtbare Tal des El Golfo. Unten glänzt eine Kapelle im Licht der tief stehenden Sonne, sie steht auf einem rötlich schimmernden Aschehügel. Neben der Kapelle liegt "El Sitio", zu Deutsch "Der Ort". Das ehemalige Landgut besteht aus einem halben Dutzend alter Lavasteinhäuser. Der Jazzmusiker Torsten de Winkel verbringt hier mehrere Monate des Jahres.

Torsten de Winkel ist Mitte 40, leger gekleidet, das Hemd weit offen. Sein Haar ist grau meliert; er könnte der Bruder des Rockstars Bob Geldof sein. Die Gitarre trägt er stets bei sich. Unvermittelt spielt er Melodien, als hätte er eine Inspiration.

Torsten de Winkel stammt aus Frankfurt am Main, wo sein Talent schon in jungen Jahren von amerikanischen Musikern entdeckt wird. Er geht mit ihnen nach Boston, später nach New York. Schon bald spielt er mit dem berühmten Jazzmusiker Herbie Hancock zusammen.

"New York ist ein sehr guter Ort zum Networken, Kollegen kennenlernen, Produktionen machen. Aber zum Leben nicht unbedingt, denn praktische Erfahrung ist: Man kommt da an, fährt einmal mit der U-Bahn durch die Stadt und denkt: Hm, die sehen aber alle ein bissel angespannt und unglücklich aus. Und drei Jahre später fällt dir das nicht mehr auf."

Torsten de Winkel passt sich an, aber seine Gefühle bleiben zwiespältig. Einerseits sieht er die ungeheuren Möglichkeiten, die sich für einen talentierten Musiker auftun. Andererseits verstört ihn die menschliche Isolation. Die verspürt er besonders stark, wenn er mit den großen Stars zusammenspielt.

"Selbst die Erfahrung mit meinem Teenageridol Pat Metheny war ein bissel schizophren insofern, als dass die Musik wirklich…kein Kommentar, wunderbar: Jeden Abend ein himmlisches Erlebnis. Und zugleich sozial äußerst irritierend, weil das dort mehr oder weniger so ablief wie in der Fabrik. Man hatte mit dem Chef sehr wenig menschlichen Kontakt, und das möchte sich keiner freiwillig ausgesucht haben."

Nach einigen Jahren in New York hat Torsten de Winkel die Nase voll. Er geht auf Reisen, erst nach Deutschland, dann erkundet er Europa. 2002 landet er auf der kleinen Kanaren-Insel El Hierro. Dort lernt er die deutsche Aussteigerin Sabine Willmann kennen. Die träumt schon lange davon, auf der abgelegenen Insel ein Kulturprojekt ins Leben zu rufen. Zunächst aber geschieht nichts. Torsten de Winkel kehrt nach New York zurück und gründet das internationale Musikernetzwerk "New York Jazz Guerilla". Er ist jetzt immer öfter unterwegs, lernt Musiker aus der ganzen Welt kennen und gibt mit ihnen zusammen Konzerte.

"Und als ich dann 2005 ein Angebot hatte, mit einer europäischen Besetzung auf einem Festival in Fuerteventura, einer Nachbarinsel, zu spielen, rief ich hier bei Sabine an und sagte: Komm, jetzt sind wir hier. Wenn du was machen willst – jetzt oder nie. Und ich musste fast lachen, Sabine sagte: Dann machen wir nächste Woche ein Festival."

Sabine Willmann organisiert eine Bühne und trommelt die Musiker der Insel zusammen. Es wird das allererste Bimbache-Musikfestival, benannt nach den Ureinwohnern von El Hierro. Jedes Jahr wird die Veranstaltung ein wenig größer. Torsten de Winkel lädt internationale Musiker auf die Insel ein, die gemeinsam mit einheimischen Kollegen neue Stücke erarbeiten.

In der Jazz- und Weltmusikszene spricht sich die kleine, aber feine Veranstaltung herum. Inzwischen nehmen Hunderte Besucher extra hierfür die beschwerliche Anreise nach El Hierro in Kauf. Die kanarische Zentralregierung unterstützt das Projekt, die erste CD ist auch schon veröffentlicht. Im vergangenen Jahr wurden die "Bimbache"-Musiker auf die Weltausstellung Expo in Saragossa eingeladen.

Die Vorbereitungen für das Festival halten Torsten de Winkel immer länger auf der kleinen Insel fest. Für ihn ist die Zeit ein willkommener Ausgleich für das anstrengende Leben in New York. Auf Dauer aber möchte er nicht auf El Hierro leben.

"Ehrlich gesagt, das kann ich mir ökonomisch nicht leisten. So gerne ich das hier mache und so sehr ich die Insel und das Projekt liebe - es hält mich im Gleichgewicht, dass ich drei, vier Mal im Jahr Touren mit geschätzten Kollegen wie Hellmut Hattler in Deutschland oder die Geschichte mit Pat Metheny mache. Und ich vermisse auch hier oder da mal die urbane Kultur und die Einflüsse, die du in der Großstadt hast."