Reich Gottes und Reich Hitlers

Von Gerald Beyrodt · 16.10.2010
Der Hitlergruß sei ein Gebet für das Wohl des Führers, sagte der Inselpfarrer von Hiddensee, Arnold Gustavs, zur der Zeit des Dritten Reiches. Die Nazibegeisterung jener Zeit wollte Arnold für den christlichen Glauben nutzen.
Am Hafen des kleinen Ortes Kloster auf Hiddensee stand ein Schild: "Juden sind hier nicht erwünscht." Der Autor der Hiddenseer Schulchronik freute sich 1935, dass die Touristen trotzdem nicht weniger wurden. Statt der jüdischen Badegäste kamen nun andere: diejenigen, die bislang von den störenden Juden abgeschreckt wurden, wie uns der Chronist wissen lässt. Am Meer wehten neben den Strandkörben zahlreiche Hakenkreuzfahnen.
Auch der Inselpfarrer Arnold Gustavs machte sich zum Sprachrohr des Nationalsozialismus.

"Unser Herrgott hat uns frei gemacht, dadurch, dass er uns einen Mann wie Adolf Hitler als Führer gesandt hat. Wir rufen: Heil Hitler! Und Tag für Tag sind es so Millionen Arme, die sich bei diesem Ruf emporrecken und Millionen Lippen, die diese Worte sprechen. Und es kann nicht ausbleiben, dass man diese Worte schließlich ebenso gedankenlos sagt, als ob man Guten Tag oder Auf Wiedersehen sagte. Was wollen denn diese Worte ihrem eigentlichen Sinn nach sein?

Wir lesen das Wort Heil sehr oft im Alten und im Neuen Testament: Aber immer wird das Heil von Gott erwartet. Wenn wir also rufen "Heil Hitler!" so wünschen wir ihm das Heil Gottes. Dieser Ruf ist also recht eigentlich ein Gebet, ein Gebet darum, dass Gott diesem Mann, unserm Führer, sein Heil gebe und er ihn schütze und segne, ihn ausrüste mit dem Helm des Heils, dass er den Kampf um die Erneuerung des deutschen Volkes mutig führen kann."

Hitler, der neue Messias und Erlöser: So taucht er in Arnold Gustavs Predigten auf. Von heute aus gesehen ein Verrat am christlichen Glauben. Zu Arnold Gustavs Zeit nahm kaum jemand Anstoß.
Dass die Predigten zugänglich sind, ist seinem Enkel zu verdanken: dem Sprachwissenschaftler Owe Gustavs. Der hat sie in der Dokumentation "Reichsgottesdienst auf Hiddensee 1933 bis 1945" veröffentlicht.

"Es ist eine Darstellung des Verhaltens eines Landpfarrers, also hier speziell eines Inselpfarrers, in Vorpommern. Und es ist mein Eindruck, dass sein Verhalten sehr viele typische Züge trägt. "

Owe Gustavs hebt hervor, dass Pfarrer einflussreiche Amtsträger waren. Ihr Wort galt viel auf dem Land. Im Mai 1933 trat Arnold Gustavs den Deutschen Christen bei, einer nazinahen Gruppierung im deutschen Protestantismus. In ihren Richtlinien hieß es zum Beispiel:

" "In der Judenmission sehen wir eine schwere Gefahr für unser Volkstum. Sie ist das Eingangstor fremden Blutes in unseren Volkskörper. Insbesondere ist die Eheschließung zwischen Deutschen und Juden zu verbieten." "

Nicht um die Gemeinschaft der Gläubigen ging es den Deutschen Christen, sondern um Volk, Rasse und Blut. Während Juden im Mittelalter den Verfolgungen entgehen konnten, indem sie sich taufen ließen, sollte ihnen diese Möglichkeit jetzt verschlossen sein.
Vereinzelt gab es Kritik an den Deutschen Christen – etwa von dem Theologen Karl Barth. Er gehörte zur Gruppe der Bekennenden Kirche.

"Was ich zur Lehre der Deutschen Christen zu sagen habe, ist einfach: Ich sage unbedingt und vorbehaltlos: "Nein!" Zum Geist und Buchstaben dieser Lehre. Ich halte dafür, dass diese Lehre in der evangelischen Kirche kein Heimatrecht hat."

Doch die Bekennende Kirche war eine kleine Gruppe und die Deutschen Christen bildeten eine riesige Bewegung. Fast eine Million Menschen gehörten ihr an. Etwa ein Drittel ihrer Mitglieder waren Pfarrer. Kirchenhistoriker gehen davon aus, dass Hitlers Aufstieg ohne die breite Zustimmung in der evangelischen Kirche nicht möglich gewesen wäre. Besonders in protestantischen Gebieten feierte Hitlers Partei ihre ersten Wahlerfolge. Owe Gustavs.

"Die Kirche ist mit der Weimarer Republik nie richtig warm geworden. Sie hatte ja 1918 nach der Revolution den Kaiser verloren, es war ja gleichzeitig der oberste Kirchenherr. Und sie war(en) dann froh, dass sich in Hitler ein Mann zeigte, der offensichtlich der Kirche wieder mehr Einfluss und Macht zubilligen wollte. Hitler wollte die Kirche zunächst ja auch richtig einspannen. Dass das nachher bald anders wurde, ist eine andere Frage, aber das war die Hoffnung, die die Kirche hatte und diese Hoffnung hat Arnold Gustavs eben auch sehr dezidiert formuliert."

In der Tat erhoffte sich Gustavs von den Nazis viel: Sie sollten die Deutschen wieder empfänglich für das Christentum machen. Und so wollte er auch die nationalsozialistische Ideologie zum "Bau des Reiches Gottes" nutzen, wie er formulierte, und sprach häufig von der "Reichsgottesarbeit", die er leisten wolle. Eine Formulierung, die Hitlers Drittes Reich und das christliche Reich Gottes verbindet.

Auch sonst ging Pfarrer Gustavs auf Tuchfühlung mit den Nazis: Vor einer Sonnenwendfeier der Nazis hielt er 1934 eine christliche Andacht. Mehr noch: In seiner Predigt erklärte er Nazi-Deutschland zum "Licht in der Finsternis" – ein Motiv aus dem Johannesevangelium.

"Um Deutschland her sind noch viele Völker, die den Gedanken des Nationalsozialismus nicht begreifen können oder begreifen wollen. Und so gilt jetzt noch vom Dritten Reich: Es ist wie ein Licht, das da scheint in der Finsternis. Wir wollen hoffen, dass dies Licht sich immer weiter ausbreite. Es mögen auch in unserem Vaterland noch manche sein, die sich nur unwillig den Geboten des Nationalsozialismus fügen und die nur mit Widerstreben die Hand zum deutschen Gruß erheben. Reißt sie mit fort durch eure Begeisterung. Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten. Und vergesst nie, dass ihr die beste Nahrung für euer Licht aus der Ewigkeit, von eurem Gott hernehmen müsst. Amen."

Die Nazibegeisterung für den christlichen Glauben nutzen – diese Rechnung ging nicht auf. In dem Moment, als Hitler die Kirche nicht mehr brauchte, distanzierte er sich von ihr. Auch Pfarrer Gustavs bekam auf Hiddensee die Feindseligkeit der Nazis zu spüren. Nach dem Krieg stilisierte sich Arnold Gustavs selbst zum Gegner der Nazis, hob hervor, dass er sich von NS-Veranstaltungen "ostentativ ferngehalten" habe.

Owe Gustavs mochte seinen Großvater sehr. Bescheiden sei er gewesen. Owe Gustavs war 16 Jahre alt, als der Großvater in den Fünfziger Jahren starb. Dass Arnold Gustavs die Botschaften der Nazis verkündete, erfuhr der Enkel erst viele Jahre nach dessen Tod, als er den Nachlass ordnete.

"Ich hab dann den Boden oben aufgeräumt, das war alles irgendwie in Kartons verpackt und verstaut, da hab ich das dann eben zur Kenntnis nehmen müssen, dass er mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet hat und eine nationalsozialistische Vergangenheit hat, von der ich und alle anderen meiner Generation nichts wussten."

Owe Gustavs, Reichsgottesdienst auf Hiddensee 1933 - 1945, Arnold Gustavs – Inselpastor im Dritten Reich, Nationalsozialistisches in pommerschen Kirchenblättern und dem Jahrbuch 'Auslanddeutschtum und evangelische Kirche', Eine Dokumentation
Berlin, Lexxion Verlagsgesellschaft, 2008
459 Seiten, 29,80 Euro