Regisseurin zu #MeToo und Machtmissbrauch

"Die Regie hat die Aufgabe, einen Vertrauensraum zu schaffen"

Die Filmregisseurin und Drehbuchautorin Angelina Maccarone, aufgenommen am 16.5.2011 beim Cannes Film Festival
Die Filmregisseurin und Drehbuchautorin Angelina Maccarone © imago / MaxPP / Patrice Lapoirie
Angelina Maccarone im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 07.02.2018
Muss ein Filmregisseur ein Einpeitscher sein? Das sei dieses alte Bild vom Pavian, der am Set rumbrüllen muss, sagt die Regisseurin Angelina Maccarone: Autorisiert sein werde in diesem Zusammenhang oft mit autoritär sein verwechselt – mit offenen Grenzen zum Machtmissbrauch.
Stephan Karkowsky: Nein, Uma Thurman wollte Quentin Tarantino nicht schaden mit ihrer Enthüllung, dass er sie am Set quasi in einen Autounfall genötigt hat, die Uma sei das ganze Wochenende ganz aufgebracht gewesen wegen des Aufstandes gegen mich, sagte ausgerechnet Tarantino selbst. Das habe Thurman nicht gewollt. Leicht kann man sich vorstellen, dass sich Uma Thurman beim Starregisseur vielleicht sogar entschuldigt hat, statt ein Tor zu öffnen für alle, die sich schon einmal am Set zu Dingen gedrängt fühlten, die sie nicht wollten. Sprechen möchte ich darüber mit der deutschen Regisseurin Angelina Maccarone, die seit 25 Jahren Drehbücher schreibt und fast genauso lange Filme dreht. Frau Maccarone, guten Morgen!
Angelina Maccarone: Guten Morgen!
Karkowsky: Gehört der Umgang von Regisseuren mit ihren Schauspielern am Set für Sie selbst dann zur #MeToo-Debatte, wenn es dabei nicht um Sex geht, wie in diesem Fall?
Maccarone: Ich finde es schwierig, wenn sich alle Debatten jetzt so vermischen. Ich finde andererseits aber gut, dass jetzt offenbar ein Tor geöffnet wurde und da ein Damm bricht und alles rauskommt, was aufgrund von Diskriminierung gendermäßig passiert an Dingen. Und das hat so viele unterschiedliche Ebenen, dass klar ist, dass sich jetzt erst mal alles vermischt. Ich hoffe, dass es nicht dazu führt, dass es dann die #MeToo-Debatte in der Unschärfe schwächt.
Karkowsky: Die große Überschrift ist "Machtmissbrauch". Tarantino zwingt Thurman zu so einer Autofahrt. Vergleichen wir das mal mit Harvey Weinstein, der zwingt Selma Hayek zu einer Sexszene für den Film "Frida". Hayek kriegt einen Nervenzusammenbruch, Thurman verletzt sich beim Unfall am Hals. Muss man da differenzieren, oder sind das im Prinzip zwei Seiten einer Medaille?

"Da hat eigentlich ein Produzent auch nicht mitzureden"

Maccarone: Was diese beiden Geschichten gemeinsam haben, ist, dass es einen männlichen Regisseur oder einen Produzenten gab und eine Darstellerin. Das ist die Gemeinsamkeit. Inwieweit jetzt dieses Machtgefälle, das sowieso herrscht noch zwischen den Geschlechtern, dazu führt, dass Frauen dann unter Druck – ich war ja nicht dabei, ich kann jetzt weder beurteilen, wie hat Tarantino Thurman unter Druck gesetzt, noch … Bei der Nacktszene finde ich es etwas eindeutiger, weil es einfach so eine Grenzüberschreitung ist.
Weinstein als Produzent, darauf zu bestehen, eine Schauspielerin nackt am Set zu sehen, da vermischt sich sowieso auch schon mal die Hierarchie am Set. Weil ich finde, das ist eine künstlerische Entscheidung, was da am Set passiert, und da hat eigentlich ein Produzent auch nicht mitzureden, schon mal gar nicht bei so einer intimen Geschichte wie eine Nacktszene.
Karkowsky: Glauben Sie denn den Angaben von Regisseuren von Weltruhm, dass nur solche Grenzüberschreitungen überhaupt erst ein intensives Spiel ermöglichen? Man weiß von Alfred Hitchcock, der hat Tippi Hedren mies behandelt, bei Lars von Trier waren es Nicole Kidman und Björk. Brauchen Schauspielerinnen wirklich solche Einpeitscher?
Maccarone: Ach, das ist so dieses alte Bild vom Pavian, der am Set rumbrüllen muss. Der wird ja auch immer männlich gedacht. Regieführen hat sicherlich etwas mit Autorisiertsein zu tun, aber das wird oft verwechselt mit autoritär. Und die Grenzen zum Machtmissbrauch sind da sicherlich sehr offen. Ich glaube nicht, dass es das braucht. Nach meiner Ansicht ist das ein künstlerischer Prozess, der gemeinsam gegangen wird, und natürlich werden da auch Grenzen überschritten, aber gemeinsam, in Absprache.
Karkowsky: Also können Dreharbeiten nach Ihrer Erfahrung demokratisch sein, auf Augenhöhe stattfinden, wo Regisseur und Produzent beide rücksichtsvoll umgehen mit der Crew, mit den Schauspielern?

"Regie ist die künstlerische Leitung"

Maccarone: Ja, auf Augenhöhe sowieso. Aber es ist keine Demokratie, wo dann immer abgestimmt wird. Regie ist die künstlerische Leitung. Das muss auch so sein, damit Filmkunst entsteht. Ich weiß nicht, wie es bei Serien zugeht. Ich finde auch diese Gleichstellung von Produzentin und Regisseurin gefährlich, die immer mehr passiert. Für mich ist die Regie die künstlerische Leitung am Set. Und natürlich ist es nötig und auch notwendig, finde ich, für gute Ergebnisse mit den Schauspielerinnen auf Augenhöhe zu arbeiten im Sinne von gemeinsamen Absprachen.
Die Regie hat die Aufgabe, einen Vertrauensraum zu schaffen, in dem dann die Schauspielerin, der Schauspieler auch Lust hat, eine Grenze zu überschreiten, zum Beispiel Sachen auszuprobieren, wie, wenn es für die Szene notwendig ist, auch eine Intimität darzustellen oder eine Nacktheit zu zeigen, aber natürlich in Absprache, und nicht mit "du musst das jetzt machen", oder so ein Überfallkommando, "wenn du das jetzt nicht machst, bist du raus", oder solche Dinge. Davon halte ich überhaupt nichts.
Karkowsky: Trauen Sie sich denn ein Urteil zu, was womöglich weibliche von männlichen Regisseuren unterscheidet im Umgang mit ihren Schauspielern?

"Die Debatte nicht auf den Filmbereich beschränken"

Maccarone: Offenbar, wie die Debatte zeigt, dass Männer dazu neigen, diese Macht zu missbrauchen, keine Ahnung. Aber ich finde diese Zuschreibungen zu Gender, Frauen sind so, die sind immer lieb, und Männer sind immer böse, das führt im Grunde ja immer dazu, dass sich das weiter fortsetzt und auch so Bilder im Kopf sind.
Als ich anfing als junge Regisseurin, da saß die Produzentin am Set und hat gesagt, du musst lauter sein. Das sind so Bilder, wo ich glaube, dass auch Männer unter einen gewissen Druck geraten, das dann erfüllen zu müssen, damit sie sich Gehör verschaffen.
Ich finde, das ist wie im allgemeinen menschlichen Umgang. Ich würde die Debatte auch nicht beschränken auf den Filmbereich. Der ist natürlich besonders interessant, weil es da um Prominente geht oder so. Aber auch in einem Büro, finde ich, sollten Männer und Frauen lernen, diese Zuschreibungen zu Gender zu durchschauen und sich davon dann auch mal lösen zu können, und zwar beide.
Karkowsky: Sollte man die #MeToo-Debatte ausweiten auf nicht-sexuelle Ereignisse am Drehort? Das war unsere Frage an die deutsche Regisseurin Angelina Maccarone. Ihnen herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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