Freitag, 29. März 2024

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"Die tote Stadt" an der Hamburger Oper
Überzeugende Neuinszenierung

Mit Ende der Saison 2015 scheidet nach zehn Jahren Intendantin Simone Young an der Hamburger Staatsoper aus dem Amt. Und das mit einem Erfolg, denn die Neuinszenierung von Erich Wolfgang Korngolds "Die tote Stadt" zählt wohl zu den überzeugendsten Produktionen ihrer gesamten Intendanz.

Von Elisabeth Richter | 23.03.2015
    Schön, wenn die Bewältigung von Traumata so einfach funktionieren könnte wie in Korngolds Oper "Die tote Stadt". Da wäre viel gewonnen in der Welt.
    Der arme Paul projiziert erotische Obsessionen und Erinnerungen an seine tote Frau Marie auf die lebendige Tänzerin Marietta. Die entweiht die heiligen Haare der Toten und muss das mit ihrem Leben bezahlen. Der kathartische Mord geschieht im Traum. Wenn Paul daraus erwacht, scheint er am Ende von seinen Obsessionen befreit. Er will "versuchen" - so heißt es im Libretto - Brügge, die tote Stadt, zu verlassen.
    Virtuose Partitur
    Es gab einige Traumata nach dem Ersten Weltkrieg aufzuarbeiten, nicht nur in Deutschland. Kein Wunder, dass ein so therapeutisch angelegtes Stück wie Korngolds "Die tote Stadt" in den 1920er-Jahren Furore machte. Ein Wunder allerdings, wie ein nur 23-jähriger Komponist, eine so virtuose Partitur schreiben konnte, voller instrumentatorischer Finesse, der beste Mix aus Puccini, Strauss oder Lehar, und doch kein Plagiat, kein billiger Verismo, sondern eine Musik, die Freiräume lässt.
    Haare, nichts als die Haare (der toten Marie), die - wie Fäden oder auch wie wilde Wellen - bedeutungsvoll verschlungen auf die Bühnenrückwand gemalt wurden. Der Boden von Roy Spahns karger Einheitsbühne ist voller Sand – eine Anspielung an den versandeten Hafen der vor Jahrhunderten so prächtig blühenden Handelsstadt Brügge.
    Ein riesiger, rostiger Schiffsbug, auf dem man Umrisse gotischer Giebel erkennt, stößt für die kathartischen Träume Pauls im zweiten Bild ein Loch in die haarige Wand.
    Raum für Assoziationen
    Karoline Gruber setzt in ihrer Hamburger Inszenierung ganz auf die assoziativen Räume. Alles, was Paul erlebt, ist ein Traum. Am Anfang und am Ende sitzt er sinnierend auf einem Stuhl. Bei Karoline Gruber vermischen sich in Pauls Projektionen die Frauenfiguren. Sowohl in Brigitta, der Haushälterin, als auch in der Tänzerin Marietta versucht Paul, die tote Marie zu finden.
    Pauls Halluzinationen gipfeln in Mariettas Tanz als Nonne Hélène in der nachgespielten Nonnenerweckung aus Meyerbeers "Robert der Teufel". Mariettas Tanztruppe erscheint als fast glatzköpfige Geisterfiguren, denen nur ein langer Haarschweif geblieben ist. Sie wirken wie aus einem Hieronymus-Bosch-Gemälde entsprungen, dämonisch reißen sie sich die Haare aus. Auch dieses Theater auf dem Theater dient Pauls Katharsis.
    Besessen von der Vergangenheit
    Paul ist besessen. Er ringt mit seinen bedrängenden Traumata. Sie lassen ihn nicht los. Und er lässt sie nicht los. Das steht im Zentrum von Karoline Grubers Regie. Die Bilder und das dichte Kammerspiel mit den wenigen opulenten Ensembleszenen schaffen berührende Intensität. Klaus Florian Vogt hat die Rolle schon viele Male verkörpert, und dennoch spielt er mit unglaublicher Authentizität. Und die lichte Klarheit, mit der er die schwere Partie singt, ist beeindruckend.
    Meagan Miller zeigt als Marietta mit ihrem vollen, kräftigen Sopran die verführerischen Facetten der Rolle, und auch Christina Damian als Brigitta überzeugt sängerisch und darstellerisch.
    Dirigentin Simone Young sorgte mit dem gut disponierten Philharmonischen Staatsorchester Hamburg für einen vielschichtig gestalteten Klang bei Korngolds anspruchsvoller Partitur.
    Zuweilen hätte man sich jedoch - sogar für den stimmkräftigen Klaus Florian Vogt - etwas mehr Zurückhaltung in den opulenten Orchester-Tutti gewünscht. Im Ganzen jedoch zählt diese Neuinszenierung von Korngolds "Die tote Stadt" zu den überzeugendsten Produktionen der gesamten Intendanz der mit Ende der Saison nach zehn Jahren aus dem Amt scheidenden Simone Young.