Regisseur Olivier Assayas

"Ganz besondere Chemie zwischen Kristen und Juliette"

Juliette Binoche (l) als Maria Enders und Kristen Stewart (r) als ihre Assistentin Valentine in "Die Wolken von Sils Maria".
Juliette Binoche (l) als Maria Enders und Kristen Stewart (r) als ihre Assistentin Valentine in "Die Wolken von Sils Maria". © picture alliance / dpa / Foto: Pallas Film/NFP Carole Bethuel
Olivier Assayas im Gespräch mit Patrick Wellinski · 13.12.2014
In den Alpen hat Olivier Assayas ein spannendes Psychodrama zwischen einer älteren und jungen Schauspielerin inszeniert. Sein Film "Die Wolken von Sils Maria" lebe vor allem von der Chemie zwischen Juliette Binoche und dem US-Star Kristen Stewart, sagt der französische Regisseur selbst.
Patrick Wellinski: Herr Assayas, ich besitze ein kleines Büchlein von Ihnen, in dem Sie den großen Ingmar Bergman interviewen. Also liegt die Frage auf der Hand: Was macht ein gutes Interview mit einem Regisseur aus?
Olivier Assayas: Ingmar Bergman war kein besonders kooperativer Interviewpartner. Es war zwar eine faszinierende Konversation, aber er sagte im Grunde mehr oder weniger nur das, was er sagen wollte. Ich wollte über seine Filme sprechen, aber er wollte das irgendwie nicht, er wollte über seine Kindheit sprechen, über eine Million andere Dinge, aber nicht über seine Filme! Ich glaube, dass sich Filmemacher oft sehr beschützend vor den Inhalt ihrer Filme stellen, darin war Ingmar Bergman ein Meister. Ich bin der Amateur. Ich versuche zwar, meine Filme zu schützen, und ich versuche auch, so großzügig wie möglich mit den Fragen umzugehen, aber ich denke, ein gutes Interview ergibt sich, wenn man es schafft, sich auf Fragen einzulassen, die man noch nicht tausendmal beantwortet hat. Wenn man einen Film macht und der auf der ganzen Welt in den Kinos anläuft, liefert der Film doch nur Stoff für eine begrenzte Anzahl an Fragen. Da kann das Antworten sehr mechanisch werden. Wenn ein Interviewer dann also einen neuen Blickwinkel findet und über den Film, aber auch über andere Dinge spricht, zwingt es einen dazu, sich selbst neu zu erschaffen und nicht wieder die Standardantworten zu geben, die man immer parat hat.
Wellinski: Da wir Ingmar Bergman schon genannt haben: "Die Wolken von Sils Maria" sind die Geschichte einer alternden Schauspielerin, die wieder in einem Stück spielen soll, das ihr Durchbruch war. Und sie soll aber diesmal die Rolle der Alten und nicht mehr der Jungen übernehmen. Das erinnert in groben Zügen an Bergmans Meisterwerk "Persona". War dieser Film je so eine Art Blaupause für Sie?
Assayas: Ja, ich bin da nicht bewusst hingekommen. Ich habe angefangen zu arbeiten, ich wollte mit Juliette Binoche arbeiten, ich wollte, dass sie sich selbst spielt, also eine Schauspielerin, die arbeitet und über ihre Kunst nachdenkt. Ich habe dann herausgefunden, wo sie arbeitet, dass sie einen Assistenten hat. Und sobald ich anfing, in diese Richtung nachzudenken, war mir klar, dass ich mich auf Ingmar-Bergman-Territorium begeben hatte. Es war eine ähnliche Konstellation wie in "Persona", einem der Meisterwerke der Filmgeschichte, wahrscheinlich einer meiner Lieblingsfilme. Ich war mir also gleichzeitig dessen bewusst und ein bisschen vorsichtig im Umgang damit. Ich habe "Persona" nicht noch einmal gesehen. Ich habe darauf geachtet, keine Elemente aus diesem Film zu verwenden. "Persona" ist eine Art von Archetypus. So viele Filmemacher haben sich an Remakes von "Persona" versucht. Ich glaube, "Persona" war eine Inspiration, und ich hoffe, dass ich einen Film gemacht habe, der trotzdem ganz anders geworden ist.
Wellinski: Das haben Sie. Und ein Kernthema Ihres Films ist auch das Altern und vor allem vielleicht die Art und Weise, wie uns das Altern in den unterschiedlichsten Phasen unseres Lebens beeinflusst. Wieso war das gerade der Stoff für Ihren Film?
"Juliette Binoche befindet sich an einem der Höhepunkte ihrer Karriere"
Assayas: Das Älterwerden ist ein Teil des Films, aber für mich ist es eher ein Film über die Zeit. Darüber, wie die Zeit vergeht. Ich sehe Maria nicht als alternde Schauspielerin, es ist keine Erzählung im Sinne von "ein Star wird geboren". Ich finde, Juliette Binoche befindet sich an einem der Höhepunkte ihrer Karriere, und sie hat sicher noch viel Großartiges vor sich. Mir geht es eher um eine Schauspielerin, die sich mit der Frage konfrontiert sieht, was man mit der Zeit anfangen soll, wie die Zeit einen verändert und wie man schließlich ein neues Kapitel in seinem Leben beginnen darf. Manchmal muss man dafür seine alte Haut zurücklassen und sich eine neue wachsen lassen, eben ein neues Kapitel beginnen. Es geht weniger darum, dass jetzt eine neue Generation übernimmt, sondern darum, dass man sich mit der Tatsache auseinandersetzt, dass sich die Welt um einen herum verändert, dass sich der eigene Körper verändert, dass die Interessen, die Art zu denken und zu arbeiten sich verändern und man sich permanent neu darauf einstellen muss. Als Schauspielerin natürlich ganz besonders. In Filmen geht es ja immer so sehr um die Gegenwart, da muss man sich intensiv mit seiner eigenen Gegenwart befassen und sich darüber sehr klar sein.
Wellinski: Juliette Binoche, Sie haben es erwähnt, spielt diese Darstellerin, diese Maria Enders, und natürlich spielt sich irgendwie sich selbst. Und haben Sie die Rolle eigentlich speziell für Juliette Binoche geschrieben und war sie sich überhaupt dieser Art der Doppelrolle bewusst?
 Kristen Stewart, Olivier Assayas, Chloe Grace Moretz und Juliette Binoche präsentieren "Die Wolken von Sils Maria" beim 67.Filmfestival in Cannes.
Kristen Stewart, Olivier Assayas, Chloe Grace Moretz und Juliette Binoche präsentieren "Die Wolken von Sils Maria" beim 67. Filmfestival in Cannes. © picture alliance / dpa / Foto: Hubert Boesl
Assayas: Ja, in der Tat. Er wurde von Anfang an von Juliette inspiriert. Den Ausgangspunkt für den Film bildete ein Gespräch. Sie hatte angerufen und gefragt, warum
machen wir nicht einen Film zusammen, wir haben bisher nur einmal zusammengearbeitet! Wir kennen uns schon sehr lange, wir mögen uns sehr, wir sind Freunde. Und ich glaube, wir spürten beide, dass dies der richtige Moment dafür war. Die Tatsache an sich, dass wir uns schon lange kannten, legte uns das Thema geradezu vor die Füße. Das Thema der Zeit ergab sich aus unserer Beziehung, aus der Tatsache, dass wir beide in gewisser Weise am gleichen Punkt begonnen hatten. Ich hatte Mitte der 80er-Jahre zusammen mit André Téchiné einen Film mit dem Titel "Rendezvous" geschrieben, das war der Film, der Juliette bekannt gemacht hat, praktisch über Nacht berühmt. Sie war damals noch eine sehr junge Schauspielerin und ich war ein sehr junger Drehbuchautor. Ich habe nie das Thema oder den Schreibprozess mit ihr besprochen, aber während ich schrieb, traf ich sie ab und zu, weil ich unbedingt im Kontakt bleiben wollte. Auch im Hinblick auf mein Schreiben brauchte ich diesen Kontakt. Sie war die wichtigste Inspiration für diesen Film. Ich finde interessant, dass der Film halb fiktional und halb, nun ja, nicht gerade dokumentarisch ist, aber mit der Person, die Juliette selbst ist, spielt, und auch mit der Vorstellung, die das Publikum von ihr als Schauspielerin hat.
Wellinski: Die wesentliche Dynamik entsteht aber aus dem Zusammenspiel von Juliette Binoche mit Kristen Stewart, die ihre Assistentin spielt. Wie würden Sie diese Dynamik beschreiben und wie treibt sie Ihren Film voran?
"Einzigartig in dem Sinne, dass die beiden sich gegenseitig entdeckten"
Assayas: Für mich ist es genau das, was diesen Film ausmacht. Es sagt eine Menge darüber aus, wie Filme durch die Dynamiken zwischen den Schauspielern verändert werden können. Ich habe das nicht extra für Kristen Stewart geschrieben. Ich wusste ganz klar von Anfang an, dass Juliette Maria sein würde, aber bei Valentine gab es viele Möglichkeiten. Ich war mir nicht sicher, Kristen war sicher eine der besten Möglichkeiten, aber lange Zeit glaubte ich nicht, dass sie diesen Film machen würde. Also überlegte ich mir andere Besetzungen. Jede andere, die ich mir vorstellte, war vollkommen unterschiedlich, weil die Dynamik der Geschichte so sehr von der Chemie zwischen den beiden Schauspielerinnen abhing. Wahrscheinlich könnte ich morgen eine neue Version von "Sils Maria" mit einer anderen Schauspielerin drehen und es würde etwas völlig anderes dabei herauskommen. Vielleicht schon in der ersten Szene, die wir gedreht haben, wurde mir klar, dass die Energie, die Chemie zwischen Kristen und Juliette etwas ganz Besonderes war. Einzigartig auch in dem Sinne, dass die beiden sich gegenseitig entdeckten. Wir haben diese frühen Szenen in Berlin gedreht, sie haben sich dort am Set erst entdeckt und ich habe gleich gemerkt, dass die Dynamik stimmte. Ich wusste, dass etwas aus ihrer Zusammenarbeit entstehen würde, und das habe ich unterstützt. Ich habe Szenen neu geschrieben im Hinblick auf Dynamik und ihren Humor. Es ist ein richtiger Schauspielerfilm.
Wellinski: Liegt diese Differenz zwischen den beiden nicht auch in ihrer Geschichte? Also, da ist Juliette Binoche, eine französische, wenn nicht die europäische Schauspielerin, die im französischen, britischen, italienischen, polnischen Kino schon aufgetreten ist, und dann ist da Kristen Stewart, US-Starlet, groß geworden in Hollywood und im Starkult. Diese Reibungsflächen haben Sie doch bestimmt mitgedacht?
Assayas: In gewisser Weise, ja. In dem Sinne, dass Juliette eine sehr traditionelle, klassische Idee der Schauspielerin verkörpert. Sie hat eine klassische Ausbildung genossen, sie macht viel Bühnenarbeit, hat die Klassiker gespielt, sie ist eine sehr europäische Schauspielerin, also Teil der alten Welt. Kristen Stewart ist der Inbegriff der modernen Schauspielerin, Teil der Star- oder besser der Promi-Kultur. Es ging mir weniger um die Gegensätze USA/Europa oder Jugend/reiferes Alter, als um den Gegensatz einer Person, die unglaublich eng im Kontakt mit der Gegenwart ist, zu jemandem, der versucht, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Und die Figur der Valentine hat überhaupt keine Vergangenheit. Kristen Stewart befindet sich noch im Prozess der Selbstentdeckung. Das war auch der interessanteste Teil der Arbeit mit ihr, eine Schauspielerin, die während der Dreharbeiten feststellte, dass sie die Dinge ganz anders machen konnte, dass sie auf Gebieten Potenzial hatte, bei denen sie sich das vorher nie hatte vorstellen können. Mir ging es um den Unterschied zwischen einem Leben in einem Zeitkontinuum und einem Leben in der absoluten Gegenwart.
Wellinski: Ihren Film durchzieht eine gewisse Nostalgie, aber auch Mystik. Plötzlich sehen wir einen Stummfilm von 1920, von Arnold Franck, den Bergstummfilmer schlechthin. Welchen Wert hat dieses Material für Ihre Inszenierung?
"Ich hatte aus irgendeinem Grund die Landschaft des Engadin im Kopf"
Assayas: Weil es eine Inspiration war. Als ich über das Thema dieses Films nachdachte, worum es gehen sollte, hatte ich aus irgendeinem Grund die Landschaft des Engadin im Kopf, weil das eine Gegend der Schweiz ist, die ich liebe und in die ich oft fahre. Das sollte also der Ort sein, an dem Maria für ihr Stück probt. Als ich diesen kurzen Dokumentarfilm von 1924 entdeckte, fiel mir auf, dass es nicht nur ein sehr schöner, sehr abstrakter Film ist, nur Wolken und Landschaften und Berggipfel, ein bisschen wie japanische Malerei. Nein, der Film hat auch etwas sehr Bewegendes. Er wurde vor so langer Zeit gedreht, fast vor einem Jahrhundert. Solche ewigen Dinge zu filmen, Dinge, die sich nicht verändern, wie der Himmel, die Berggipfel, das war früher alles so und das ist heute so… Aber im Film ist es schwarz-weiß, zerkratzt, man erkennt in diesem Film die ganze technische Komplexität, die es bedeutete, ihn zu seiner Zeit zu machen.
Jetzt haben wir ganz ähnliche Einstellungen in unserem Film, hatten dafür aber einen Hubschrauber, um von einem Ort zum anderen zu kommen. Damals mussten sie das gesamte, extrem schwere Equipment überall hinschleppen und immer auf den richtigen Moment warten. Dieser Film, der sich eigentlich mit etwas befasst, das so außerhalb der Zeit liegt, erhält letztlich durch den einfachen technischen Prozess des Films diese darüber liegende Dimension der Zeit. In gewisser Weise fängt er das Wesen der Zeit ein. Das Wesen der Zeit hat seinen Weg in den Film auf sehr natürliche und organische Weise gefunden. Das spiegelt sich in den Gedanken und Themen der Figuren wider, dem zentralen Thema des Films.
Wellinski: Und es macht Ihren Film natürlich auch mystisch, poetisch. Und ich dachte mir irgendwann, "Clouds of Sils Maria" ist auch eine Geistergeschichte!
Assayas: Es ist eine richtige Geistergeschichte, es ist ein Film, der von unsichtbaren Erscheinungen handelt. Der Grund, warum ich diesen Film im Engadin gedreht habe, ist auch die Tatsache, dass diese Landschaft so viel europäische Geschichte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts innewohnt und dass sie von Geistern bewohnt wird. Im Film geht es auch darum, wie das Theater und das Kino Geister heraufbeschwören und zum Leben erwecken. Nicht im magischen Sinne, sondern eher poetisch. Aber auch ein bisschen im Grenzbereich dazwischen.
Wellinski: Sie drehen zunehmend auf Englisch, und abschließend hätte ich gerne gewusst, Ihre nächsten Projekte sind es jedenfalls: Entfernen Sie sich damit eigentlich bewusst von einer bestimmten Art des französischen Kinos?
"Die Produktionsbedingungen werden in Frankreich immer schwieriger"
Assayas: Das ist schwer zu sagen. Der Film, den ich vorher gemacht habe, "Something in the Air", war ein ziemlich französischer Film. Ich denke, dass es in diesem Fall einfach mehr Möglichkeiten gibt, sich der ganzen Welt zu öffnen. Wenn ich den Film auf Französisch gedreht hätte, hätte das ausgrenzend gewirkt und sich nicht so mit dem Medium Kino befasst, wie er das jetzt tut. Für den Film war es sehr wichtig, dass jemand wie Juliette Binoche eine doppelte Karriere hat. In ihrem Fall die internationale und die französische Karriere. Für mich gilt mehr oder weniger dasselbe. Ich hielt das für eine sehr aufregende Grundlage, weil es uns erlaubte, europäisches Filmemachen mit internationalem zu konfrontieren, also ein breiter gefächertes Bild zu liefern. Eine Geschichte wie diese konnte dadurch eine größere Spannbreite erhalten. Lokales europäisches Kino kann schnell ein bisschen eng wirken und ich mochte nie diese Grenzen, die es einem setzt. Mir gefällt es, ein bisschen weiter zu gehen, die Grenzen zu überschreiten, weil ich glaube, dass man sich so neue Orte und Träume erschaffen kann. Man kann so immer neu erfinden, was man mit Filmen tun kann oder nicht, wenn man die Grenzen seiner eigenen Arbeit öffnet. Eine Schwierigkeit der Zukunft des französischen Kinos besteht für mich darin, dass es zu isoliert, zu eng geworden ist. Außerdem werden die Produktionsbedingungen in Frankreich immer schwieriger, es wird immer teurer, in Frankreich zu filmen. Ich denke, das wird einen sehr zerstörerischen Effekt auf das unabhängige französische Kino haben.
Wellinski: Monsieur Assayas, merci beaucoup!
Assayas: Merci à vous, c'était un plaisir!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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