Dienstag, 19. März 2024

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"Don Quijote" als Hörbuch
Ein Ritterfestspiel für die Ohren

Miguel de Cervantes' "Don Quijote" ist ein Jahrtausendwerk. Jeder kennt die Geschichte des traurigen Ritters und seines treuen Knappen. Zum 400. Todestag von Cervantes gibt es das Werk nun in der Langfassung als Hörbuch, gelesen von Christian Brückner - ein Ritterfestspiel, findet unser Kritiker.

Von Wolfgang Schneider | 28.03.2016
    Wie waren die Ritter wirklich?
    Der berühmteste Ritter der Literatur ist Don Quijote. (dpa / picture alliance / Vladimir Astapkovich)
    Romane, so lautet eine Floskel der Literaturkritik und der Verlagswerbung, verändern unser Leben. Angeblich gibt es sie, jene Werke, nach deren Lektüre nichts mehr ist wie zuvor. Die schönste Parodie des pathetischen Lesens steht schon am Anfang der modernen Literatur:
    "Kurz, er versenkte sich so tief in die Bücher, dass er über ihnen die Nächte vom letzten bis zum ersten Licht und die Tage vom ersten bis zum letzten Dämmer verlas, und der knappe Schlaf und das reichliche Lesen trockneten ihm das Gehirn ein, sodass er den Verstand verlor. Sein Kopf bevölkerte sich mit dem, was er in den Büchern fand, mit Verzauberungen und Turnieren, mit Schlachten, Fehden und Blessuren, Liebesschwüren, Amouren, Herzensqualen und anderem abwegigem Unfug."
    Der berühmteste Ritter
    Schlafmangel und Lesewut: ein klassisches Syndrom der Melancholie. Keine Frage, wer uns hier vorgestellt wird – der berühmteste Ritter aller Zeiten, der gerade aufgrund allzu ausgiebiger Lektüre seiner Fantasyromane beschlossen hat, das edle Amt hoch zu Rocinante anzutreten. Don Quijote ist ein Selfmade-Mann. Den feierlichen Namen verleiht er sich selbst, seine Rüstung ist eine Bastelarbeit, zum Ritter lässt er sich von einem Gastwirt schlagen. Schwert, Pferd und eine Dame von Wert - das ist es, was der Ritter braucht, und als Dame erwählt er sich eine rustikale Landfrau, in die er einmal verliebt war, ohne dass sie es überhaupt mitbekommen hätte. Nun also: Dulcinea von Toboso.
    "Don Quijote" ist ein Jahrtausendwerk. Jeder kennt den Ritter von der traurigen Gestalt und seinen treuen Knappen Sancho Panza. Aber, Hand aufs Herz, haben Sie die ganzen 1.200 Seiten des Romans wirklich gelesen? Jetzt, zum 400. Todestag von Miguel de Cervantes, kann man sich die originale Langfassung in der mustergültigen Neuübersetzung von Susanne Lange ins Ohr träufeln lassen. Christian Brückner hat viele Romane eingelesen - aber gelegentlich sucht er die besondere Herausforderung der Gipfelwerke und Lebensbücher. "Moby Dick" und die Rolle des von Wut und Wahn ergriffenen Kapitän Ahab, das war emphatisches Brückner-Gebiet. Auch der "Don Quijote" ist ein solches Lebensbuch, in dem Wahn und Weisheit allerdings eine mildere Mischung ergeben.
    Die fixe Idee des Ritterwahns kommt ja immer nur anfallsweise über den ansonsten durchaus vernünftigen Landadligen aus La Mancha. Von daher setzt die Kur des Ritterbuch-Entzugs, die seine Freunde versuchen, vielleicht nur ein wenig zu spät an:
    "Als weiteres Heilmittel für die Krankheit ihres Freundes fiel es dem Pfarrer und dem Barbier ein, das Zimmer mit den Büchern verbauen und vermauern zu lassen, damit er nach dem Aufstehen kein einziges mehr finde, denn mit der Ursache verschwand womöglich die Wirkung. Das taten sie in Windeseile. Zwei Tage später stand Don Quijote auf, und als Erstes ging er nach seinen Büchern sehen. Er ging zu der Stelle, wo die Tür gewesen war, tastete mit den Händen nach ihr, tastete mit den Augen allerorten, ohne ein Wort zu sagen."
    Auf das Verschwinden seiner Bibliothek reagiert Don Quijote mit einer fortan maßgeblichen Verschwörungstheorie: Feindliche Zauberer hätten das angerichtet. Die Struktur der Abenteuer wiederholt sich: Don Quijote deutet einen Teil der Realität zunächst falsch im Sinn seiner Ritterromanwelten, kollidiert dann übel mit den Tatsachen, kommt dabei aber nicht zur Erkenntnis der wahren Realität, sondern stabilisiert seine bisherige Deutung, indem er diese Realität - etwa: Windmühlen statt Riesen, eine Herde Schafe statt eines feindlichen Heeres - als Machwerk der böswilligen Zauberer hinstellt.
    Ein Narr ist Don Quijote, doch zugleich gewinnt er die Züge wahrer Noblesse. Dieser letzte Ritter hat unsere Vorstellung von Ritterlichkeit und Kühnheit mehr geprägt als alle hochgerüsteten Haudegen im Kettenhemd zuvor. Auf der Suche nach unerhörten Bewährungsproben, scheut er selbst vor einem – diesmal durchaus realen und furchterregend beschriebenen – Löwen nicht zurück. Die Bestie allerdings kommt nicht aus dem offenen Käfig, gähnt nur gelangweilt und zeigt dem tollkühnen Ritter das Hinterteil. Don Quijote will, dass der Löwenwärter, der schon das Schlimmste befürchtet hat, das Raubtier aufstachelt. Aber der Mann entgegnet beruhigend:
    "Euer Löwenmut ist mehr als bewiesen, kein wackerer Kämpe, soweit ich weiß, ist zu mehr verpflichtet, als seinen Feind herauszufordern und ihn auf dem Feld zu erwarten. Erscheint der Gegner nicht, dann trägt dieser die Schmach und der Wartende den Siegerkranz."
    "Das ist wahr", erwiderte Don Quijote, "So schließ denn die Tür, mein Freund, und lege nach bestem Wissen und Gewissen eine Eideserklärung ab, was du mich hier hast vollbringen sehen, nämlich wie du dem Löwen die Tür geöffnet hast und ich gewartet habe, wie er nicht herauskam, ich weiter wartete, er weiterhin nicht kam und sich des Weiteren wieder hingelegt hat."
    Ironische Doppeldeutigkeit des Romans
    So großartig die humoristische Konstellation des Romans und seine ironische Doppelbödigkeit im Ganzen erscheinen - im Einzelnen wirken die Verprügelungsszenen, in die Don Quijotes hochgesinnte Ritter-Interventionen vor allem im ersten Teil münden, auf heutige Hörer nicht immer witzig. Vladimir Nabokov sprach in seiner Cervantes-Vorlesung gar von "mittelalterlicher Possenreißerei" und einer "Enzyklopädie der Grausamkeit". Keine Frage, abgerissene Ohren und ausgeschlagene Zähne sind öfter mal das Ergebnis von Don Quijotes Niederlagen, aber schmunzeln muss man doch, wenn die Schäden begutachtet werden:
    "Aber komm her mit deiner Hand und taste mit dem Finger nach, wie viele Zähne mit rechts oben im Kiefer fehlen, vorn wie hinten, da plagen mich die Schmerzen." Sancho ging mit den Fingern ans Werk, fühlte ihm auf den Zahn und sagte: "Wie viele Backenzähne hattet ihr denn sonst auf dieser Seite?" "Vier", antwortete Don Quijote, "außer dem Weisheitszahn, und alle heil und kräftig." "Also unten", sagte Sancho, "habt Ihr nicht mehr als zweieinhalb Backenzähne, und oben weder einen halben noch sonst was, da ist alles so ratzekahl wie eine Glatze." "Ich Unglückseliger!" rief Don Quijote (…). Hätten sie mir doch stattdessen einen Arm abgehauen, sofern es nicht der Schwertarm ist. Du musst wissen, Sancho, ein Mund ohne Backenzähne ist wie eine Mühle ohne Stein, und ein Zahn ist wertvoller als ein Diamant."
    Sancho Panzas Mischung aus Einfalt und gesundem Menschenverstand, Egoismus und Anhänglichkeit ist unvergleichlich. Die Erfindung dieses Schildknappen, der sich als Lohn für seine treuen Dienste einen einträglichen Posten als "Gubernator", wie es in der Neuübersetzung schön hochtrabend heißt, also ein Gouverneursamt erhofft, ist ein Geniestreich, weil es Sanchos Perspektive ist, die den vielgeschundenen Ritter erhebt – seine Treue und Anhänglichkeit, sein Sinn für die wahrhaft ritterliche Hochherzigkeit Don Quijotes.
    Die Rezeption des Romans ging einher mit einer vielfältigen Illustrationsgeschichte. Die berühmten Zeichnungen, Stiche, Bilder etwa von Doré und Daumier prägen unser Bild der beiden Helden, des Großen, Langen mit der Lanze auf klapperdürrem Pferd und des Dicken, Kleinen, der ihm in einiger Entfernung auf dem Esel nachfolgt: ein Paar, und zugleich zwei tief einsame Gestalten, die durch eine karge, entleerte Landschaft ziehen.
    Brückners Lesung ist eher an diesen melancholischen Darstellungen als an klamaukhaften Komödienbearbeitungen orientiert. Sie unterläuft die Schadenfreude und die lauernde Humorerwartung, wie sie im zweiten Teil des Romans bereits thematisiert wird. Während die meisten Don-Quijote-Hörbücher, stark gekürzte Hörspiele fast alle, die Komik betonen, wird diese Lesung also eher dem epischen Ernst des Werkes gerecht, findet allerdings auch überzeugende Töne für die burlesken und karnevalesken Momente. Etwa in der herrlich absurden Episode von den zwei Ratsherren, die in den Wald gehen, um einen verschwundenen Esel zu suchen. Die Ratsherren imitieren sehr echt das Eselswiehern, um das Tier aus der Reserve zu locken.
    "Sie trennten sich wie verabredet, doch der Zufall wollte, dass der eine kurz nach dem anderen iahte, sodass sie getäuscht vom gehörten Iah, einander suchten, im Glauben, der andere sei der Esel, und als sie zusammentrafen, sagte der Esellose: "Ist es möglich, Nachbar, dass es nicht mein Esel war, der da iaht hat?" "Nein, ich war es", antwortete der andere. "Da kann ich nur sagen", sagte der Besitzer, "zwischen ihm und einem Esel besteht kein Unterschied, was das Iahen anbelangt, mein Lebtag hab ich nichts Echteres gehört." "Lob und Preis", gab der gewitzte Kopf zurück, "gebühren eher ihm als mir, Nachbar (…). Er setzt hoch an, seine Stimme hält die Sequenz im richtigen Takt und Rhythmus, und die abschließende Tonfolge hat ein so lebhaftes Brio, kurzum, ich gebe mich geschlagen und überlasse ihm Palme und Siegerkranz in dieser seltenen Kunst."
    Ritter und sein Knappe werden sich immer ähnlicher
    Beim Zuhören erlebt man viele Überraschungen mit diesem Werk – zum Beispiel, dass sich der Ritter und sein Knappe, diese gegensätzlichen Archetypen, im Lauf der Zeit immer ähnlicher werden, wie so viele gute Paare. Quijotisierung des Sancho Panza und Sanchifizierung des Don Quijote nennt die Cervantes-Forschung das. Während sich beim Don allmählich die Ernüchterung verstärkt, bis zum traurigen Schlusskapitel, in dem er – endlich einmal ausgeschlafen – dem Rittertum abschwört, entwickelt der bodenständige Sancho immer mehr Sinn für die erlesenen Redensarten und Torheiten seines Herrn. Zu den Höhepunkten gehört jenes Kapitel, wo sich die Rollenverteilung umkehrt und Sancho selbst zum Zeremonienmeister wird, der seinem Herrn eine wenig ansehnliche Bäuerin als zauberhafte Dulcinea vorzuführen versucht. Der entgegnet indes mit ungewohnter Nüchternheit:
    "Ich sehe nichts weiter, Sancho", sagte Don Quijote, "als drei Bäuerinnen auf drei Eseln."
    "Da schlag Gott den Teufel tot!" gab Sancho zurück. "Ist das die Möglichkeit, dass Ihr drei Zelter oder was auch immer, weiß wie der blendendste Schnee, für drei Esel haltet? Bei Gott, wenn das wahr ist, will ich mir den Bart ausreißen."
    Närrisch kämpft Don Quijote gegen Windmühlen und Weinschläuche, weise spricht er über das Goldene Zeitalter, den wahren Adel, die Wahl des richtigen Ehepartners oder über die Frage, ob dem Soldaten oder dem Gelehrten, den Waffen oder der Wissenschaft der höhere Wert zukomme. Das ist auch einem Legitimationsproblem geschuldet: Romane, gar noch mit fantastischen Elementen, Ritterromane also, galten um 1600 als unseriös, unsittlich, unwahr. Auch deshalb fügt Cervantes viele belehrende, tiefgründige und nutzbringende Reden in den Roman ein, und dabei muss der Ritter fest und verständig im Sattel sitzen. Aufs Ganze gesehen, werden in diesem Ritterroman vor allem Wortgefechte geführt. Bisweilen kann man den Eindruck haben, die Abenteuer seien hauptsächlich dazu da, um den beiden Helden wieder reichlich Gesprächsstoff zu geben.
    Tiefkomisch oder todtraurig?
    Im Lauf der Jahrhunderte hat sich sehr viel Tiefsinn an den Roman angelagert. Eine schwebende, unsichere Realität wird dargestellt – und dieses Schwebende, Changierende kennzeichnet auch die Wirkungsgeschichte. Nicht einmal darüber, ob es nun ein tiefkomisches oder todtrauriges Buch sei, konnten sich die Deuter einigen. Die frühen Leser schlugen sich vor Lachen auf die Schenkel, Nietzsche dagegen fand das Werk fast unerträglich bitter. Für Heine war der "Don Quijote" die größte Satire auf die menschliche Begeisterung, für die Schlegels eine erhabene Tragödie des menschlichen Geistes. Lauter große, tiefsinnige Konzepte: das Scheitern des Idealismus in der poesiefeindlichen Welt, das Zerschellen des Traums am Alltag. Vom "Kampf der Innerlichkeit gegen die prosaische Niedertracht des Lebens", sprach der Literaturtheoretiker Lukács.
    Voltaire verstand den Ritter als Karikatur des "Gotteskriegers" Ignatius von Loyola, überhaupt sahen die aufgeklärten Franzosen in dem Roman eine Parodie des spanischen Aberglaubens und des militanten religiösen Fanatismus. Wenn Don Quijote von Fremden verlangt, sie sollten "glauben", "bekennen" und "beschwören", dass Dulcinea die schönste Frau auf Erden sei, ohne sie doch je gesehen zu haben, ansonsten setze es Prügel – dann ist das womöglich auch als Kritik an Formen des religiösen Dogmatismus und der gewaltbereiten Glaubensgewissheiten zu lesen.
    Glaubenskonflikte zu Cervantes Zeiten
    Das Zeitalter, in dem Cervantes lebte, war tief geprägt von erbitterten Glaubenskonflikten zwischen Christentum und Islam, Katholizismus und Protestantismus. Sie schlagen sich auch im Roman nieder. Cervantes verarbeitet seine Erfahrungen als Soldat in der gewaltigen Seeschlacht von Lepanto 1571, bei der die osmanische Armada vernichtend geschlagen und ihm die Hand verstümmelt wurde, sowie seine fünf bitteren Jahre als Geisel muslimischer Sklavenhändler. In der – neben anderen Novellen eingefügten – "Geschichte des Gefangenen" heißt es:
    "Obwohl wir bisweilen, ja fast immer, unter Hunger und Blöße litten, quälte uns doch nichts mehr, als beständig mit anzuhören und anzusehen, was mein Herr für nie gehörte, nie gesehene Grausamkeiten an den Christen verübte. Kein Tag verging, an dem er nicht den einen erhängte, den anderen pfählen oder ihm die Ohren abschneiden ließ, und all das aus so geringem, ja ganz ohne Anlass, dass auch die Türken wussten, er tat es nur aus Lust und Laune, weil es seine Natur war, am Menschen zum Schlächter zu werden. Nur einem spanischen Soldaten ging es besser bei ihm, einem gewissen de Saavedra."
    Bei dem es sich um keinen anderen als den Autor selbst handelt, der hier wie Hitchcock in seinen Filmen mal unauffällig durchs Bild läuft, eines der vielen metafiktionalen Spiele des Romans. Sehr gewitzt, wenn im zweiten Band die Figuren die Authentizität des ersten erörtern und die gefälschte Fortsetzung von Avellaneda kritisieren. Bei allem Spaß: Es hat Cervantes sehr verärgert, dass dieser Plagiator seine Helden usurpierte und eine Fortsetzung der Geschichten veröffentlichte, mit Erfolg, weil er vor allem die drastische Prügel-Komik imitierte. Ein Ansporn für Cervantes, im zweiten Band andere Aspekte herauszuarbeiten, um den Konkurrenten und seinen Flachsinn bloßzustellen.
    Die postmodern verschachtelten Romanarchitekturen unserer Zeit gehen zurück auf die Pionierleistung von Cervantes. Nicht nur, dass Don Quijote die fiktive Wirklichkeit der Ritterromanlektüren in die Wirklichkeit seines Lebens überträgt; diese Wirklichkeit seines Lebens wird im zweiten Teil zur allseits bekannten und bewunderten Fiktion. Wo er auch auftritt, wird er meist freudig begrüßt als legendärer Romanheld.
    "Sag er mir, braver Knappe, ist sein Herr nicht der, von dem man eine Geschichte gedruckt hat, nämlich die ‚Vom geistvollen Hidalgo Don Quijote von der Mancha‘, über dessen Herz eine gewisse Dulcinea von Toboso gebietet?" "Der und kein anderer, werte Dame", erwiderte Sancho, "und der Knappe, der in dieser Geschichte vorkommt oder vorkommen sollte und sich Sancho Panza nennt, das bin ich selbst, sofern man mich nicht in der Wiege, will sagen, in der Druckerei vertauscht hat."
    "All das entzückt mich ungemein", sagte die Herzogin."
    Die Verschachtelung der Wirklichkeitsebenen verändert den Charakter der Abenteuer. Geht deren Initiative anfangs von Don Quijote aus, so werden mit dem wachsenden Ruhm des Ritters die Ereignisse inszeniert, vor allem am Hof des Herzogs, der zur Bühne für ein aufwändig inszeniertes Ritterfestspiel rund um das legendäre Narrenpaar wird.
    Ein Ritterfestspiel
    Ein Ritterfestspiel ist auch dieses Hörbuch. Christian Brückner ist als Vorleser nicht auf amerikanische Lakoniker beschränkt, er liebt ebenso die große sprachliche Gebärde, das Hochfahrende, Rhapsodische, Skurrile. Die Manuskripte, mit denen er ins Studio geht, weisen keine Unterstreichungen und Betonungszeichen auf. Er darf sich die Freiheit erlauben, weil er sich ausgiebig vorbereitet, die Werke wieder und wieder liest. Dank dieser "Einstimmung" kann er dann vorm Mikrofon wie ein Jazz-Musiker ans Material gehen und sich auf den Einfall des Augenblicks verlassen.
    Mit einer vorab eingestellten Sprechhaltung käme man beim "Don Quijote" auch nicht weit. Die Herausforderung für den Vorleser liegt im Changieren des Textes. Die Figuren und die Färbung ändern sich, die Realität gerät ins Rutschen, Dinge stellen sich um. Indem Brückner die Sprechhaltung spontan aus der Situation des Textes hervorgehen lässt, gewinnt er die nötige Flexibilität, um beim "Don Quijote" die Vielfalt der Tonregister zwischen Ernst und Komik, Pathos und Parodie zu treffen. In dieser Offenheit liegt wohl auch das Geheimnis der Lebendigkeit seiner großen Lesungen. Sie wirken auch auf der Langstrecke nicht monoton, obwohl Brückner nicht zu jenen Stimm-Akrobaten und Vielfältigkeitskünstlern gehört, die noch jeder Nebenfigur eine möglichst eigenwillige akustische Maske aufstülpen. Seine Sache ist der epische Ton, der bei allem Gleichmaß vor untergründiger Spannung vibriert – und diese lange halten kann. Fast 50 wunderbare Stunden in diesem Fall.