Regisseur Hollmann über "Stiller Kamerad"

"Das Pferd hat keine Vorurteile"

Szene aus dem Dokumentarfilm "Stiller Kamerad" von Leonhard Hollmann
"Intimer Einblick in die Gedankenwelt von Soldaten" - Szene aus dem Dokumentarfilm "Stiller Kamerad" © Im Film, Agentur + Verleih
Leonhard Hollmann im Gespräch mit Patrick Wellinski · 02.02.2019
Wo das Pferd ist, ist es sicher. Denn Pferde sind Fluchttiere, sagt Regisseur Leonhard Hollmann. Hollmann begleitete psychisch kranke Bundeswehr-Soldaten bei der pferdegestützten Traumatherapie. Sein Dokfilm "Stiller Kamerad" kommt nun in die Kinos.
Patrick Wellinski: Wenn es um Kriegsveteranen geht, dann ist es meist ein Topos aus dem amerikanischen Kino. Regelmäßig sehen wir da in Dokumentar- und Spielfilmen, wie die amerikanische Gesellschaft mit ihren Soldaten umgeht. Aus Deutschland kennen wir das eher nicht, wobei auch hier Soldaten mit traumatischen Belastungsstörungen von Auslandseinsätzen in Afghanistan oder Mali heimkehren und es danach sehr schwer haben, diese Erlebnisse zu verarbeiten. Eine Methode der Bearbeitung zeigt der Dokumentarfilm "Stiller Kamerad" von Leonhard Hollmann. Darin konzentriert sich der Regisseur auf Bundeswehrsoldaten, die an einer sogenannten pferdegestützten Traumatherapie.
O-Ton Frau: Es ist eine verschobene Wahrnehmung, also, sie spüren sich halt nicht mehr. Und dabei können die Pferde helfen, den Menschen wieder in ihr Gefühl zu bringen. Ich möchte, dass du jetzt ihn führst. Merkst du gerade, was bei dir innerlich passiert?
O-Ton Mann: Unsicherheit, ja.
O-Ton Frau: Und dann hört er nämlich auf.
Wellinski: Ein Ausschnitt aus "Stiller Kamerad". Und mit dem Regisseur, Leonhard Hollmann, konnte ich vor der Sendung sprechen. Herzlich willkommen, Leonhard Hollmann, hallo!
Leonhard Hollmann: Hallo!

"Im Hinterkopf: Die Pferde sind der Spiegel deiner Seele"

Wellinski: Was für ein Verhältnis zu Pferden haben Sie eigentlich?
Hollmann: Was habe ich für ein Verhältnis zu Pferden? Also, ich würde mal sagen, früher fand ich Pferde immer sehr verfressen. Ich hatte nie richtig Pferde zu Hause oder so, aber ich bin halt schon ein bisschen auf dem Land aufgewachsen und ich bin auch mal ein bisschen geritten. Aber ich habe Pferde immer für sehr verfressen und auch dementsprechend ein bisschen blöd empfunden, so nach dem Motto 'Sie wollen immer nur fressen und dafür machen sie alles'. Und dann bin ich irgendwann, das ist jetzt so fünf Jahre her, in die Mongolei gereist und habe mir da zwei Pferde gekauft und bin sechs Wochen durch die Steppe geritten.
Und da fing das alles an. Also, da wurde das Thema ein bisschen größer für mich. Da habe ich so das Abenteuer gesucht und hatte aber immer im Hinterkopf den Satz 'Die Pferde sind der Spiegel deiner Seele'. Das habe ich aber nie so richtig deuten können, das habe ich nie, habe ich auch nicht verstanden in den sechs Wochen, sondern ich muss ehrlich zugeben, auf der Reise waren die Pferde schon auch noch mehr so … - es war schön, die Pferde bei mir zu haben und mit ihnen zusammen zu sein, aber sie waren doch irgendwo noch mehr ein Arbeitsgerät vielleicht oder ein Tier, was mich in erster Linie nach vorne bringt und mein Gepäck trägt.
Und dann bin ich zurückgekommen aus der Mongolei und habe dann ein paar Wochen später Claudia Swierczek kennengelernt, die Therapeutin, und dass sie diese Therapie mit den Soldaten macht. So bin ich dann an dieses Thema rangekommen, und das war dann wie eine Einladung, dass ich jetzt diesen Film mache über ihre Arbeit, wo sie die traumatisierten Soldaten, die ja als Soldat auch eher mit Krieg und Angriff zu tun haben, wo sie diese Soldaten mit Pferden therapiert, die wiederum eher Fluchttiere sind und eher keinen Angriff machen. Und ja, so bin ich dann auch an das Thema gekommen.
Wellinski: Genau, das Thema war da, und trotzdem kann ich mir vorstellen, dass in so einer recht intimen Situation, wie sie in dieser pferdegestützten Therapie und Traumabewältigung, dass man als Filmemacher da nicht so ein Fremdkörper ist. Wie lange mussten Sie die Protagonisten, aber auch die Therapeutin überzeugen, zu sagen: 'Ich bin dann jetzt mal da, mit einer Kamera.'

"Konflikt, dass diese Therapie nicht finanziert wird"

Hollmann: So richtig überzeugen war das nicht. Es war eher eine Frage, wie können wir das zusammen machen. Also, ich wollte es unbedingt machen, und es gab natürlich hinter allem noch diesen Konflikt, dass diese Therapie nicht finanziert wird, also, sie wird nicht bezahlt von der Bundeswehr. Und Claudia hat zu der Zeit auch noch viel ehrenamtlich die Soldaten betreut.
Und so war irgendwie das gemeinsame Ziel, mit diesem Dokumentarfilm auch zu zeigen, wie wirksam diese Pferdetherapie ist. Die Soldaten, die da bei Claudia waren, hatten alle das Dilemma hinter sich oder waren auch noch da drin, dass sie schulmedizinische Therapieansätze hinter sich hatten oder auch alternative Therapieansätze, die ihnen aber alle nicht so geholfen hatten. Und zwei von den drei Protagonisten aus dem Film waren schon alle Programme durchgelaufen und waren quasi austherapiert. Und die haben dann, nachdem sie die Hoffnung eigentlich schon aufgegeben hatten und sich teilweise auch mit dem Thema Selbstmord schon beschäftigt hatten, den Weg zu Claudia gefunden, die es dann als Erste geschafft hat, denen quasi wieder eine Perspektive zu geben mit den Pferden.
Wellinski: Sie sind ja aber auch direkt bei der Therapie. Also, ich meine, es gibt ja unterschiedliche Stränge, Sie haben das schon dargestellt, das ist auch der Komplex der Bundeswehr, darüber reden wir auch gleich. Was ich mich frage: Diese Soldaten, die dann ja auch im Zentrum des Films stehen, die Sie zeigen, die haben ja dieses traumatische Erlebnis bei einem Auslandseinsatz gehabt. Und Sie entscheiden sich am Anfang des Films, kurz eine Aufnahme aus so einem Auslandseinsatz zu zeigen, und dann ist es aber nicht mehr präsent. Warum war Ihnen das wichtig?
Szene aus dem Dokumentarfilm "Stiller Kamerad" von Leonhard Hollmann
"Pferdetherapie hat ihnen geholfen, nachdem ihnen vieles nicht geholfen hat" - Szene aus dem Dokumentarfilm "Stiller Kamerad" © Im Film, Agentur + Verleih
Hollmann: Weil auch für die Soldaten ist es nicht mehr präsent – es ist natürlich präsent im Kopf, aber nicht mehr in diesen klaren Bildern. Am Anfang wollte ich überhaupt nicht diese Bilder drin haben. Und dann habe ich aber diese Aufnahme gefunden und habe gedacht, eigentlich ist es schön, wenn der Zuschauer den gleichen Weg geht wie die Soldaten in der Therapie. Und deswegen ist der Film auch so, wie er ist, dass auch das Publikum eigentlich die Therapie erlebt, zum einen als Beobachter, zum anderen aber auch, für mein Empfinden, an sich selbst.
Weil die Themen, die wir da sehen, zwischen Pferden und Soldaten, sind auch unsere Themen, vielleicht nicht mit der starken oder krassen Traumatisierung, dass wir auf jemanden geschossen haben, aber die Frage nach Schuld oder nach Abschiednehmen, das sind alles auch unsere Themen. Und da ist auch viel bei den Filmfestivals die Resonanz gekommen, dass die Menschen halt berührt waren, weil sie ihre Themen darin wiedergefunden haben.

"Ein großes, warmes Tier, was auch gut riecht"

Wellinski: Was meinen Sie, wie würden Sie das beschreiben, wie funktioniert diese Therapie? Was ist die Idee dahinter, was erleben die Soldaten im Kontakt mit den Pferden?
Hollmann: Also die Idee hinter der Therapie ist erst mal, dass da ein Pferd ist oder mehrere Pferde. Und das Pferd für sich ist erst mal ein ganz großes, warmes Tier, was auch gut riecht, würde ich jetzt auch so sagen, würden viele andere auch sagen wahrscheinlich. So, und dann steht da erst mal dieses große Pferd und es ist kein Angriffstier, ich brauche nicht davon ausgehen, dass mich das Tier angreift quasi. Und solange das Pferd bei mir steht, weil es ja ein Fluchttier ist, kann ich davon ausgehen, dass es ein sicherer Ort ist quasi. Und das Nächste ist, wie läuft diese Therapie ab, wie spiegeln sich die Pferde oder wie spiegelt sich unsere Seele in den Pferden. Und das ist dann eben da, wo Claudia Swierczek, die Therapeutin, mit den Klienten, mit den Soldaten auf die Koppel geht und einfach guckt. Also, die Pferde, man muss sich das so vorstellen, da bewegen sich neun, zehn Pferde frei auf der Koppel, die sind nicht in einem geschlossenen Stall oder in Boxen, wo sie rausgeholt werden, sondern die sind die ganze Zeit frei auf der Koppel. In einem Setting geht die Therapeutin mit dem Soldaten auf die Koppel und sie beobachten einfach, was passiert in der Pferdeherde, was passiert mit einem einzelnen Pferd. Und dann wird das in Worte gefasst, was da passiert. Und dieses Bild, was dann beschrieben wird, triggert bei dem Klienten – Soldaten, Soldatin – dann ein Bild. Und dann beginnen sie, über dieses Bild zu sprechen.
Und zum Beispiel fängt jetzt ein Pferd an, wegzurennen und wild durch die Gegend zu galoppieren, dann könnte das erst mal das Bild sein, ich fühle mich gerade daran erinnert, wie ich wegrennen wollte, als eine Explosion da war. Das heißt, der Klient sagt nicht, heute rede ich über das und das Thema, sondern die Pferde zeigen ein Bild, und dann fängt der Klient an, daraus sein eigenes Bild hervorzurufen und darüber zu sprechen.
Wellinski: Das ist ja überhaupt ein sehr spannendes Bild, wenn man sich den Soldaten vorstellt, der in einer Herde arbeitet und durch diese traumatische Erfahrung aus der Herde quasi ausgeschlossen ist, jedenfalls sich so fühlt, und dann über den Kontakt mit den Pferden wieder in die Herde reingelassen wird. Also, es funktioniert auch auf so einer gewissen Art und Weise als vertrauensbildende Maßnahme.
Hollmann: Total, genau! Ich glaube, es entsteht auch viel Vertrauen zwischen dem Pferd und dem Soldaten dadurch, dass das Pferd auch keine Fragen stellt quasi, sondern es ist einfach nur da. So gesehen hat es auch keine Vorurteile oder sonstiges und das ist eines der wichtigen Dinge für die therapeutische Wirkung.
Wellinski: Sie sprechen ja auch mit den Soldaten, es gibt Interviews mit denen, die wirklich sehr intim sind zum Teil, aber auch sehr nahegehen. Hatten Sie das Gefühl, dass, dadurch, dass Sie dabei waren bei der Therapie, die Soldaten sich da öffnen und auch Dinge sagen, wie Sie es schon erwähnt haben mit den suizidalen Gedanken, mit dem Frust mit der Bundeswehr, sie sind ja letztendlich zum Teil auch kalt fallengelassen worden, so empfinden sie das, das Dasein der Kamera, dass das noch eine gewisse Öffnung hervorgebracht hat?
Regisseur Leonhard Hollmann
Regisseur Leonhard Hollmann© Im Film, Agentur + Verleih
Hollmann: Also, ein wichtiger Punkt ist eben, glaube ich, die Motivation, an dem Film mitzuwirken, dass sie anderen Kameraden zeigen wollten, diese Therapie hilft, und wir müssen dafür sorgen, dass sie anerkannt wird. Ob nun mit Claudia Swierczek oder mit anderen Therapeuten, aber Pferdetherapie hat ihnen geholfen, nachdem ihnen vieles nicht geholfen hat. Ich glaube, wir haben am Anfang auch darüber gesprochen, und es kam auch immer wieder vor, dass während der Therapiesitzungen die Claudia Swierczek gefragt hat: 'Ist es okay, dass jetzt die Kamera weiterläuft, ist es okay, dass Leo jetzt hier so nah dran ist?' Und es wurde immer verneint und es ist irgendwie gelungen, da die Therapiestunden nicht zu beeinflussen. Natürlich kann ich nicht 100 Prozent sagen, was in den einzelnen Köpfen vorgeht, ob sich da jemand jetzt verstellt oder so, aber für mein Gefühl war das nicht der Fall. Das war immer sehr ehrlich, und ich glaube, der Film hat einen sehr, wie sie schon sagen, intimen Einblick in diese Gedankenwelt von den Soldaten eröffnet.

"Ein totaler Kontrast zwischen Krankenhaus und Pferdekoppel"

Wellinski: Wie überrascht waren Sie dann, dass die Bundeswehr mit ihren Veteranen letztendlich so umgeht, wie sie umgeht? Was mich an Ihrem Film vielleicht am meisten geschockt hat, war eine Aussage eines Ihrer Protagonisten, der sagte, wenn ich zu einem Militärarzt gehe, dann ist das kein Verhältnis Arzt-Patient, sondern Vorgesetzter und Untergebener – und das nach dieser traumatischen Beziehung. De facto schließt so eine Konstellation Hilfe aus, die ist da nicht da.
Hollmann: Ich würde sagen, sie schließt in dem Fall Hilfe aus, weil es gibt sicherlich auch andere Soldaten, die sich nicht daran stören. Und das ist genau so wie dieses System Krankenhaus, es ist natürlich ein totaler Kontrast zwischen Krankenhaus – Sauberkeit, Hygiene, Linoleumboden, weiße Wände, diese Krankenbetten – und der Pferdekoppel. Und trotzdem wird es immer welche geben, die sagen, das hilft mir mehr als die Pferdekoppel oder das hilft mir mehr als die Natur oder was auch immer.
Szene aus dem Dokumentarfilm "Stiller Kamerad" von Leonhard Hollmann
"Diese Therapie hilft, und wir müssen dafür sorgen, dass sie anerkannt wird" - Szene aus dem Dokumentarfilm "Stiller Kamerad" © Im Film, Agentur + Verleih
Ich glaube, das ist wichtig, das auch mal bewusst zu machen, weil diese Systeme, die gibt es natürlich schon sehr lange. Und diese Systeme – dieses immer mehr Verwissenschaftlichen – führt, glaube ich, auch dazu, dass wir vieles vergessen: zum Beispiel, auch mal wieder rauszugehen, in die Natur zu gehen und auch mal darauf zu achten, wie uns allein das schon befreien kann oder unseren Geist auch wieder freier machen kann. Und nicht in diesem engen Raum zu sein, um da über Themen zu sprechen, die mich bewegen. Das fällt mir vielleicht in der Natur leichter als vor dem Vorgesetzten in einem geschlossenen Raum.
Wellinski: "Stiller Kamerad" heißt der Dokumentarfilm von Leonhard Hollmann, ab Donnerstag wird er in den deutschen Kinos zu sehen sein, davor war der Regisseur bei uns zu Gast. Herr Hollmann, vielen Dank für das Gespräch!
Hollmann: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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