Regionaler Konsum in Afrika

Zurück zu heimischen Produkten

24:23 Minuten
Eine Obstverkäuferin blickt über die Schulter in die Kamera. Im Hintergrund sind Obststände mit reifen Früchten zu sehen.
Lokale Produkte wie hier auf einem Markt in Abidjan in der Elfenbeinküste werden für Menschen in Westafrika wieder wichtiger. © picture alliance / Anadolu Agency / Mahmut Serdar Alakus
Von Katrin Gänsler · 23.02.2021
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In westafrikanischen Supermärkten gibt es Schokolade aus der Schweiz und Hundefutter aus Belgien. Regionale Produkte hingegen – Fehlanzeige. Das soll sich ändern. Unternehmerinnen und Unternehmer versuchen, heimischen Konsum wieder populär zu machen.
Die Farm von Latifa Baby in der Gemeinde Mountougoula: Von Bamako, der Hauptstadt Malis, dauert die Fahrt hierher rund eine Stunde. Vom Lärm der Stadt ist nichts mehr zu spüren. In den alten hohen Bäumen sitzen Vögel. Nirgendwo fährt ein Auto oder Moped. Latifa Baby hat das fünfeinhalb Hektar große Familiengrundstück sauber eingezäunt und vor fünf Jahren begonnen, daraus ein rentables Unternehmen zu machen.
Beim Spaziergang über die Farm zeigt sie auf lange Reihen kleiner Orangenbäume. Mit Daumen und Zeigefinger drückt sie eine grünlich-gelbe Frucht und nickt zufrieden. Sie können bald geerntet und verkauft werden. Dann bückt sich die 32-Jährige und überprüft, ob die Beete unter den Bäumen noch genügend Wasser haben.

"Hier haben wir Chili gepflanzt, hier Büffeltomaten, und hier Paprikaschoten und Möhren. Hier noch einmal Tomaten. Dort können wir nicht gehen, weil dort ebenfalls Tomaten gepflanzt worden sind. Und auch Rote Bete. Und hinter uns wachsen Papaya", sagt Latifa Baby.
Eine Farm betreiben wollte die Fachfrau für Werbung und Marketing schon immer. Als sie noch zur Schule ging, verbrachte sie die Wochenenden mit ihrem Vater hier. Ihren Lehrern verkaufte sie Gemüse, das sie von den Ausflügen mitbrachte. Ihre Eltern fanden nach der Schule jedoch: Die Tochter müsse erst studieren. Doch in den klimatisierten Räumen der Medien- und Werbeagenturen hielt sie es nicht lange aus. Neben der Arbeit an der frischen Luft wollte Latifa Baby nämlich noch etwas anderes: Lokale Produkte fördern.

Neues Image für heimische Produkte

"Wir stellen gute Produkte her. Dazu gehören beispielsweise unsere Orangen. Doch wenn ich jene aus Marokko sehe, bricht mein Herz: Sie werden für 2,30 Euro das Kilo verkauft, unsere aus Mali aber nur für knapp 50 Euro-Cent. Als Farmerin weiß ich, wie viel Arbeit dahintersteckt. Doch das wird überhaupt nicht gefördert. Es ärgert mich, dass importierte Produkte besser angesehen werden, als das, was wir selbst herstellen."
Dabei galt Mali lange als Kornkammer Westafrikas. Das änderte sich erst mit der immer schlechter werdenden Sicherheitslage. Viele Bauern haben inzwischen Angst vor Überfällen von Banditen, Terroristen und Milizen. Sie lassen ihre Länder brachliegen. Ein Problem ist auch der Klimawandel. Gerade im Norden fällt der Regen immer unvorhersehbarer. Dennoch lassen sich gerade am Ufer des Niger-Flusses gut Getreide und Gemüse anbauen.

"In Mali kann auf mehr als 70 Prozent der Gesamtfläche Landwirtschaft betrieben werden. Darum frage ich mich, warum wir unsere Produkte mehrheitlich einführen müssen. Das war doch früher nicht so. Nahrung wurde vor Ort produziert. Es gab Reis, aber auch lokal hergestellte Kleidung. Baumwolle wurde verarbeitet. Doch heute sind wir gezwungen, diese zu einem niedrigen Preis zu exportieren. Die Kleidung müssen wir dann zehnmal so teuer wieder zurückkaufen. Das ist doch überhaupt nicht logisch."
Eine Frau steht neben einem Bach und gibt zwei Männern Anweisungen.
Latifa Baby von der Farm Latyland erklärt ihren Mitarbeitern, welche Arbeiten als Nächstes anstehen.© Deutschlandradio / Katrin Gänsler
Ein weiterer Grund für den Rückgang der eigenen Produktion und des verarbeitenden Gewerbes ist die mangelnde Unterstützung, gerade für Jungunternehmer. Es braucht Workshops im landwirtschaftlichen Bereich, um die Qualität zu verbessern, meint Latifa. Und: einen besseren Zugang zu Kapital.

Es fehlt an Netzwerken und an Kapital

"Wir brauchen bessere Bedingungen für Kredite. Banken können doch nicht Sicherheiten einfordern, die 20 Mal höher sind als die eigentliche Kreditsumme. Wenn man beispielsweise einen Kredit in Höhe von 30.000 Euro braucht und als Sicherheit ein Grundstück haben muss, das 20 Mal so wertvoll ist, macht das doch keinen Sinn! Dann kann man das Grundstück doch gleich verkaufen. Für viele Jungunternehmer ist das ein großer Stress."
Den hat auch sie anfänglich bei der Vermarktung empfunden - eine weitere Herausforderung. Es gibt auch kaum Netzwerke. Deshalb hat sie sich andere Wege gesucht. Weil Latifa kein Geld für Werbung im Radio oder Fernsehen hatte, fing sie an, Möhren, Kohl und Spinat über Facebook und WhatsApp zu verkaufen. Das hat sie bis heute nicht geändert.
"Zu den Kunden gehören Expats, die Mittelschicht sowie jene, die auf ihre Gesundheit achten. Sie kaufen die Latyland-Produkte, weil wir keine Chemie verwenden. Wir achten auf die Qualität, die wir versprechen."

Im Supermarkt Discount Market in Bamako. Mitarbeiter füllen die Regale auf. Noch immer stammt die Mehrheit der Produkte aus dem Ausland. Der hiesige Leiter Abdoulaye Doucoure kennt die Vorbehalte gegenüber den lokalen Alternativen:
Blick auf die grüne Latyland Farm, mit Papayabäumen und zwei Arbeitern im Bildvordergrund.
Auf der Farm Latyland in Mountougoula wird Obst und Gemüse angebaut.© Deutschlandradio / Katrin Gänsler
"Lokale Produkte sind aus zwei Gründen schlecht angesehen: Die Qualität ist nicht gut und die Verpackung nicht ansprechend. Manchmal kommen die Produkte in einem Sack an, den man lieber wegschmeißen möchte. Das will niemand kaufen. Die Produkte standen in Kartons in den Regalen. Die Kartons musste man erst öffnen, um überhaupt zu wissen, was drinnen ist. Man hat sie versteckt, und das ist nicht gut."

Traditionelle Produkte, neu verpackt

Um für mehr Sichtbarkeit zu sorgen, hat Supermarktleiter Abdoulaye Doucoure angefangen, gezielt mit malischen Produzenten zusammen zu arbeiten. Das Ergebnis lässt sich sehen: Entstanden ist ein großes, hohes Regal mit Angeboten "Made in Mali". Längst stehen hier nicht mehr nur Erdnüsse. Käufer können stattdessen zwischen verschiedenen Reissorten, Getreidearten und unterschiedlichem Mehl wählen. Das Regal lädt zum Entdecken ein.

"Direkt neben der Fleischtheke stehen die Gewürze, die hier in Mali hergestellt werden. Hier ist zum Beispiel Pfeffer, der auch hier abgepackt worden ist. Außerdem haben wir hier Bohnenmehl, aus dem Accras, kleine Teigtaschen, hergestellt werden. Im Angebot haben wir außerdem unterschiedliche Arten von Fonio – das ist eine Hirseart. Hier haben wir eine Packung, die bereits mit Erdnüssen gemischt ist. Das ist ein Fertiggericht, das man nur noch mit Wasser mischen muss und sofort essen kann. In Afrika nennen wir diese Abteilung: das Geheimnis der Frauen."


Neben Qualität und Verpackung ist aber noch etwas anderes wichtig. Lokale Produkte müssen sich von den importierten absetzen und brauchen Wiedererkennungswert:
Ein Mann im blauen Hemdkleid und mit Mundschutz, steht vor einem vollen Supermarktregal in Bamako, Mali.
Abdoulaye Doucoure hat im Supermarkt Discount Market in Bamako ein eigenes Regal für lokale Produkte eingerichtet.© Deutschlandradio / Katrin Gänsler
Lokale Gewürze stehen aneinandergereiht, in Glasflachen verpackt, auf der Theke eines Supermarktes in Bamako, Mali.
Der Supermarkt Discount Market in Bamako bietet unter anderem lokal hergestellte Gewürze an.© Deutschlandradio / Katrin Gänsler
"Wir arbeiten beispielsweise mit einem Unternehmen zusammen, das Les Merveilles du Sahel heißt. Die Inhaberin hat bereits existierenden Produkten eine ganz persönliche Note gegeben. Unter den Vollkornreis hat sie Petersilie gemischt. Natürlich ist das kein Feinkost-Reis, kein Basmati-Reis. Es sind aber die kleinen Dinge, die einen Unterschied machen. Dann gibt es Talaam, ein Unternehmen, das sehr gute Cocktails aus verschiedenen Säften herstellt. Sie sind Bio, haben keine Konservierungsstoffe und halten sich im Kühlschrank zehn Tage lang."

Brei ist nicht gleich Brei

Das Restaurant Mille et une Bouillies in Cotonou – der Wirtschaftsmetropole Benins. In den ersten Stock dringt der Lärm der Autos vom viel befahrenen Boulevard Saint Michel hoch. Die Gäste stört das jedoch nicht, im Gegenteil. Üblicherweise isst man die Bouillie – das ist ein Teller mit Brei – am Straßenrand. Dort ist es viel lauter, wuseliger und staubiger. Vor acht Jahren wollte Adizath Bouko Idrissou das für Benin so typische Frühstück jedoch salonfähig machen. Sie gründete das Restaurant. Im Angebot hat sie heute mehr als 20 Breis aus Mais, Maniok oder Erdnüssen.
"Der aktuell beliebteste Frühstücksbrei hat Mais zur Grundlage. Wir werden gleich eine Kostprobe davon bekommen, die Sie probieren können. Dazu gibt man etwas Milch. Auch isst man Doko, eine Art Krapfen, dazu – oder Pastel. Das sind Teigtaschen. Außerdem kann man Erdnüsse darunter mischen. Beliebt ist auch die aus Maniok hergestellt Tapioka-Bouillie. Beide werden am häufigsten bestellt."

Auch Adizath Bouko Idrissou hat zuvor im Marketingbereich gearbeitet. In der Mittelschicht sind das gefragte und angesehene Jobs. Ihre Familie konnte deshalb nicht verstehen, dass die 37-Jährige lieber lokalen Konsum fördern wollte.
Eine Frau steht neben zwei Tonkrügen und schaut in die Kamera.
Adizath Bouko Idrissou ist Gründerin des Restaurants Mille et une Bouillies in Cotonou.© Deutschlandradio / Katrin Gänsler
"Es stimmt: Am Anfang hat meine Familie nicht akzeptiert, dass ich nach meiner Ausbildung Frühstücksbrei verkauft habe. Das gilt als eine Arbeit für all jene, die sonst nichts schaffen. Bis heute hat sich das nicht geändert. Dabei sind wir tatsächlich die Ersten, die dieser Arbeit ein anderes Gesicht und eine andere Wertschätzung gegeben haben."
Und damit liegt sie im Trend. In Benin ist längst eine Debatte über heimische Produkte entstanden. Nur zwei Häuser weiter hat ein Supermarkt eröffnet, der ausschließlich lokalen Saft, Joghurt, Wein und Saucen verkauft. Ein weiteres Geschäft gibt es einige Kilometer entfernt. Diese Entwicklung verfolgt auch Kundin Florence aufmerksam. Sie hat gerade eine Bouillie gegessen.

Regionaler Konsum schafft Arbeitsplätze

"Das ist ein aktuelles Thema für uns. Hier in Benin fördern immer mehr Unternehmen lokale Produkte, die aus ganz verschiedenen Bereichen stammen. Neben dem Essen gibt es zum Beispiel viele Säfte. Die Vielfalt ist groß. Man bekommt heute alles, was typisch für Benin ist und was man zum Kochen braucht. Das ist ordentlich verpackt, sieht hübsch aus und ist von guter Qualität."
Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb Florence auf lokales Essen schwört:
"Das Lokal gefällt uns gut. Wenn wir lokal essen, dann wissen wir, was es ist und woher die Zutaten kommen. Exportierte Ware nutze ich dagegen nicht so gerne. Auch hilft es lokalen Herstellern, von ihrer Arbeit zu leben."

Adizath Bouko Idrissou hat derzeit zwölf Angestellte. Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie waren es sogar doppelt so viele, die neben dem Restaurant auch im Catering gearbeitet haben. Lokaler Konsum schafft so auch Arbeitsplätze. Das ist wichtig für Westafrika, wo die Bevölkerung jährlich um zwei bis drei Prozent wächst. Mangelnde Jobs und Perspektivlosigkeit sind ein Dauerproblem.


Auch in Togo sind neue Arbeitsplätze entstanden, die auf der Produktion lokaler Produkte basieren. Dafür hat zum Beispiel Daniel Agblévon gesorgt. 2019 hat er seine erste Bäckerei – Glory Bread – eröffnet. Sie liegt im Norden der Hauptstadt Lomé. Agblévon, dessen Mutter bis 2012 eine Bäckerei im Nachbarland Ghana betrieben hat, führt durch die Räume. Es gibt einen großen Backofen, der mit Gas betrieben wird, riesige Schüsseln, in denen der Teig angerührt wird. Auf langen, mit Mehl bestäubten Tischen werden Brote geformt.
Auf einem Tisch steht ein Teller mit Bouillies, einem traditionellen Brei aus geschrotetem oder gemahlenem Getreide, sowie ein Schale mit zwei ausgebackenen Teigtaschen.
Bouillies werden in Benin traditionell mit lokalen Zutaten wie Maniok, Hirse und Erdmandeln hergestellt und zum Frühstück gegessen.© Deutschlandradio / Katrin Gänsler

Die Neuerfindung des Brots

"Das hier ist ein Versuchsbrot. Wir haben es schon vor vier Wochen gebacken. Doch man kann es immer noch essen. Es hängt immer davon ab, wie etwas hergestellt wird. Ich sage immer: Die Bäckereien in Togo sind nicht ehrlich. Sie verkaufen alles Mögliche", sagt Daniel Agblévon.
Pappiges Weißbrot, das nach einem Tag hart ist oder schimmelt, will Daniel Agblévon nicht anbieten. Auch deshalb nicht, weil der Weizen dafür eingeführt werden muss. Er experimentiert lieber mit Zutaten, die er in Togo kaufen kann und die bisher als Abfallprodukte galten.
"Die Menschen haben den Maniok weggeworfen, weil sich kein Unternehmer dafür interessiert hat. Auch der Fonio, das sind lokale Hirse, ist auf den Feldern geblieben, weil es keinen Absatzmarkt gab. Das gilt auch für den Mais, mit dem man immerhin noch die Tiere gefüttert hat. Natürlich brauchen die auch etwas. Wenn man aber etwas wegwirft, das man verarbeiten kann, tut mir das weh. Deswegen lautete mein Ziel: Ich muss all das in einer Bäckerei verarbeiten."


Darüber hinaus will er den Produkten eine ganz besondere Note verleihen, etwa durch Gewürze oder Kräuter.
Ein Mann im weissen Hemdkleid steht gestikulierend vor aufeinander gestapelten Mehlsäcken.
Bäcker Daniel Agblévon verarbeitet in seiner Bäckerei Glory Bread in Lomé Mehl aus Maniok, Fonio und Bohnen. © Deutschlandradio / Katrin Gänsler
"Das Brot hier ist gelb, weil wir Kurkuma dazu gegeben haben. Hier ist eins, in dem Kurkuma und Ingwer ist; in dem wiederum nur Ingwer. Wir backen auch mit Koriander, experimentieren mit Pilzen und Moringa."
Moringa sind Blätter, die üblicherweise in Saucen kommen, zu Pulver gestampft oder als Tee getrunken werden. In Westafrika gilt die Pflanze als Allheilmittel. Im ersten Moment schmeckt sie etwas bitter. Aber das Moringa Brot von Daniel Agblévon ist richtig gut: Es ist krümelig, sehr sättigend und erinnert an ein Nuss-oder Graubrot. So etwas gibt es üblicherweise in der Region nicht zu kaufen.

"Es fehlt an politischem Willen"

Doch obwohl Kurkuma und Moringa beliebt sind und als Superfood gelten, hält sich die Nachfrage immer noch in Grenzen. Selbst in der Hauptstadt ist es schwierig, Verkaufsstellen zu finden, sagt Bäcker Agblévon.
"Bis heute habe ich es nur geschafft, mein Brot in zwei Supermärkten zu verkaufen. Ansonsten backe ich nach Vorbestellung. Man ruft uns an und sagt uns, welche Brote man haben möchte und wie viele. Wir liefern montags aus, und die Brote halten sich dann die ganze Woche über im Kühlschrank."
Das ist überraschend, hatte die Westafrikanische Währungs- und Wirtschaftsunion im vergangenen Jahr sogar den Oktober zum Monat des lokalen Konsums ausgerufen. In den Mitgliedsländern, zu denen neben Togo auch Benin und Mali gehören, hingen überall Plakate. Restaurants entwickelten spezielle Gerichte. Boutiquen versuchten, lokale Künstler zu unterstützen. Für Bäcker Daniel Agblévon ist das allerdings viel zu wenig. Es fehlt noch immer an echtem politischen Willen, sagt er:
"Das wirkliche Problem ist doch, dass man überall darüber spricht. Es heißt: Esst lokal. Aber niemand handelt danach. Seit 2019 habe ich zweimal alle Ministerien angeschrieben, Behörden, internationale Organisationen. Der Rücklauf lag bei zwei Prozent. Niemand ist gekommen, um das Brot zu kosten. Zusammengefasst lässt sich sagen: Alle wollen lokalen Konsum. Aber es passiert nicht genug, damit die Bevölkerung das auch umsetzt."
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