Region um Bitterfeld

Jobs - aber nicht für jeden

Autobahnabfahrt Sollar Valley in der Region Bitterfeld
Die Solarindustrie zog viele Hoffnungen auf sich - doch Q Cells hat es dann nicht geschafft © dpa / picture alliance / Marc Tirl
Von Delphine Simon · 11.07.2017
Es gibt wieder Arbeit rund um Bitterfeld, ehemals berühmt und berüchtigt für die ostdeutsche Chemie. Das heißt aber nicht, dass Arbeit finden einfach wäre. Denn für die Jobs braucht man in der Regel eine hohe Qualifikation.
"Für die Jugendlichen ist hier eigentlich nicht so viel. Die Gebäude sind leer. Es ist ausgestorben. Die Leute sind eben weggezogen. Wenig Kinder. Es ist so ein bisschen trostlos."
Steffi wohnt in einem Plattenbauviertel. 55 Jahre, arbeitslos. Sie hat einen Ein-Euro-Job. Wie viele in der Region hatte sie auf die Solarindustrie gehofft, auf Q Cells, ein mittelständisches Unternehmen, das mit Solartechnik zu Weltruhm gelangte. Aber der Traum von der blühenden Solarindustrie ist verflogen - nach Asien. Dort wird billiger, zu Dumpingpreisen produziert, bedauert der CDU-Bürgermeister Armin Schenk.
Ehemaliger Firmensitz der Solarfirma Q-Cells in Sachsen Anhalt
Ehemaliger Firmensitz der Solarfirma Q-Cells in Sachsen Anhalt: Ende vieler Hoffnungen© dpa / picture alliance / Hendrik Schmidt
"Für viele Menschen war die Insolvenz und das Ende der Photovoltaik-Entwicklung eine große Enttäuschung. In der Photovoltaik sind gute Löhne gezahlt worden, zum anderen war der Hauptsitz in Bitterfeld-Wolfen. Die Führungskräfte waren in Bitterfeld-Wolfen, da erwartete man auch in der Zukunft hervorragende Steuereinnahmen für die Stadt."
Es ist Markttag: Vor dem Rathaus aus roten Backsteinen hat auch die AfD ihren Stand aufgebaut. Der ehemalige Facharbeiter Adolf hat eigentlich keinen Grund zur Klage; aber er wird AFD wählen.

Einfach vom Markt genommen

"Wir haben Stahlrohre hergestellt, spezielle Sachen. Zehn Jahre nach der Wende hatten wir voll zu tun. Und dann wurden wir politisch und marktwirktschaftlich vom Markt genommen. Da oben hat man uns platt gebügelt."
Das Rathaus von Bitterfeld (fertiggestellt 1865)
Rathaus von Bitterfeld© Deutschlandradio - Frank Ulbricht
Alles ist nicht so schwarz, glaubt Uwe Holt im Industriemuseum. Es gäbe schon Arbeitsplätze:
"Wir haben hier auf dem Standort einige Global Player. Bayer. Wenn Sie bei sich zu Hause eine Aspirin nehmen, kommt die aus Bitterfeld. Jede Aspirin, die sie in Europa verbrauchen, kommt aus Bitterfeld. In einer der modernsten Fabriken der Welt."

Nicht jeder profitiert

Nicht jeder profitiere jedoch von den hoch qualifizierten Jobs, empört sich der ehemalige Facharbeiter:
"Es wurde sehr viel geschaffen. Chemiestandort und und und … viele Kleinbetriebe, aber diese Kleinbetriebe, die dümpeln am Limit rum. 80, 90% dieser Leute arbeiten bloß stundenweise. Die kriegen so wenig Geld, dass sie davon nicht leben können und müssen auf’s Amt gehen und müssen sich noch Unterstützung holen. Das kann doch nicht sein in Deutschland im 21. Jahrhundert."
Ein Industriegebiet Mitte der 60er-Jahre in der DDR
Bitterfeld früher: Zentrum der ostdeutschen Chemie© picture alliance / Klaus Rose
Wegen der Arbeit ist Museumsdirektor Uwe Holz vor 25 Jahren von West- nach Ostdeutschland gekommen, die Jungen indes wollen hier nicht bleiben.
"Eine Tochter studiert in Stuttgart, die andere hat jetzt gerade ihr Abi fertig gemacht und es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie hier bleibt. Es wird im Westen deutlich mehr gezahlt als im Osten. Im IT-Bereich, da können Sie im Westen 20, 25, 30% mehr verdienen."
Stolz zeigt uns Uwe Holz den "Goitsche", den neuen See mit Segelclub, Sandstrand, Cafés, Restaurants und Ferienhäuser. Dieser See war früher eine alte Braunkohletagebaustätte.

Ein See, zum Hinknien schön

"Das ist zum Hinknien schön manchmal. Also am Samstag, Sonntag sind dann auch viele Segelboote unterwegs. Hier können Sie Kaffee trinken oder ein Bier. Hätte man vor 25 Jahren gesagt, dass das so aussehen würde, hätte man gesagt: Tu es fou (Du bist verrückt) complètement."
Natur, die jetzt unter Beton begraben wird, wie AfD-Anhänger Burkhard befürchtet. Auf einem Plakat sind Wolkenkratzer wie in Manhattan rund um einen Baggersee zu sehen.
"Es ist eigentlich ein Naturschutzgebiet und es wird bebaut, bebaut, bebaut, es geht nur noch darum mit der Goitsche Geld zu machen. Und da sind die Leute natürlich auch ein bisschen angesäuert, weil alles über ihre Köpfe hinweg entschieden wird."
Trotz der Unzufriedenheit ist er nicht sicher, ob die AfD bei der Wahl richtig gut punkten kann: Innerparteiliche Streitigkeiten könnten viele Wähler abschrecken.
Die Reihe "Populismus im Aufwind? Deutsch-französische Reportagen" entstand in Kooperation mit France Inter.
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