Regietheater

Der Dauerstreit um die Werktreue

05:16 Minuten
Portrait von Max Reinhardt an seinem Schreibtisch.
Mit dem Theatermacher Max Reinhardt begann das Ringen um das Regietheater und die Rolle des Textes. © AKG Images / ZANDER & LABISCH
Von Michael Laages · 13.06.2020
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Im "Regietheater" wird seit 100 Jahren darum gerungen, wie stark in den Text eingegriffen werden kann. Im Juli eröffnet in München eine Ausstellung darüber, konzipiert von der Theaterwissenschaftlerin Claudia Blank. Der Katalog dazu ist schon erschienen.
Wie Väter und Söhne im ewigen Streit zwischen Beharren und Erneuern sieht die Theaterwissenschaftlerin Claudia Blank die Urahnen der Debatte um das Regietheater am Beginn des vorigen Jahrhunderts. Die Leiterin des Münchner Theatermuseums hat das Buch "Regietheater" verfasst, das sich den Entwicklungen in Deutschland und Österreich widmet und eine im Juli beginnende Ausstellung begleitet.
Max Reinhardt, der große Visionär und Illusionist aus Wien in diesen ersten Jahren der neuen Zeit, trennte sich in beiderseits schmerzhaften Schritten vom gebürtigen Hamburger Otto Brahm, dem fundamentalen Förderer des Naturalismus an den Theatern der deutschen Hauptstadt im Kaiserreich, erst als Kritiker und dann als Intendant am Deutschen Theater.

Veränderte Auffasung von Regie

Brahm holt Reinhardt nach Berlin. Und jenseits der Generationenfrage verändert vielleicht zum ersten Mal die Auffassung von Regie den Weg, den das Theater nun zu nehmen beginnt. Denn was wird dem hingebungsvollen Phantasten Reinhardt entgegen gehalten von fuchsteufelswilden Kritikern? Dass er "die Dichtung" verrate, dass er stattdessen doch immer nur Bilderwelten von unbegrenzter Phantasie entwickeln wolle. Im Grunde ohne Rücksicht auf Dichtung und Dichter. Ein Robert Wilson seiner Zeit?
Der Regisseur und dann bald auch Theaterleiter Reinhardt feiert allerdings recht schnell durchschlagende Erfolge und argumentiert offensiv. Der edle alte Wein müsse in neue Schläuche; Staub und Patina gehörten gefälligst weggewischt. Er wolle die Texte der Alten spielen, als wären sie Leute von heute und deren Werke wie heute geschrieben.

Auf Ochsentour bis nach Berlin

So engagiert auf das Hier und Jetzt bezogen, postuliert seit jeher und auch heute jeder und jede, dass das Material von anno dazumal in der Gegenwart verhandelt werden darf und soll und muss.
Mit dem Vorwurf, das Wort nicht beim Wort zu nehmen, avanciert Reinhardt zum Sprecher der Moderne seiner Zeit, wird aber sehr bald schon überholt von einem nur fünf Jahre jüngeren Kollegen: Leopold Jeßner, aus Königsberg stammend und auf der sogenannten "Ochsentour" durch tiefere Tiefen deutscher Provinz nach Berlin gelangt, kontert Reinhardts überquellende Opulenz durch konsequente Kargheit in den Bildern. Er tritt aber mit ähnlich offenem Visier der konservativen Forderung entgegen, immer nur "Diener" des Dichterwortes zu sein.
Am besten "diene" doch wohl dem Text wie dessen Erfinder, wer den gedanklichen Kern eines Theaterstückes so klar und deutlich (und notfalls auch drastisch) wie möglich herausarbeite und zuallererst darauf die eigene Energie verwende. Der Weg ist da nicht mehr weit zu Peter Zadek, der selbstbewusst bekundet, dass ihn an einem Text für das Theater - einem aus längst vergangener Zeit - vor allem das interessiere, was ihm selbst, dem Zeitgenossen, berichtens- und darstellens- und beschwörenswert erscheint. Da heult sie auf bis heute, die Fraktion der Werk-Getreuen.

Gründgens Pamphlet für die Werktreue

Jeßners zentraler Protagonist in Berlin ist übrigens als Schauspieler Fritz Kortner, und auf Jeßner folgt als Intendant Gustav Gründgens. Beide, Kortner und Gründgens, werden zu den wichtigsten Antipoden im Westdeutschland der Nachkriegszeit, weit weg von Berlin, in München und Düsseldorf. Gründgens legt 1952 gar das "Düsseldorfer Manifest" vor, ein knappes, scharfes Pamphlet für die Werktreue und gegen den Regisseur als Mitautor.
Claudia Blank webt die Generationenfäden weiter und zeigt etwa Peter Stein in der Abnabelung vom "Lehrer" Kortner. Oder Claus Peymann und Peter Zadek, die auf unterschiedliche Weise für die neue Generation nach 1968 stehen.
Das Buch ist ein Füllhorn, die Autorin verliert sich aber gern mal in mäandernden Diskursen. Sie unterwirft die Protagonisten aber immer wieder der biographischen Reihenfolge nach den zentralen Fragen der Forschung: Wie haben sie geprobt? Welche Ausbildung haben diese Regisseure selber durchlaufen? Welche Karrierewege haben sie eingeschlagen? Und manchmal stellen sich dann wie nebenbei die Fragen, die das ganze, reich bebilderte Buch voran treiben:
Wie hielten sie es mit dem Text, dem "Dichterwort"? Welche Rolle haben sie sich selber und der Regie zugeschrieben im Prozess der Inszenierung? Welches Recht haben sie sich genommen, wenn es um das Theater geht? Claudia Blanks Katalogbuch stellt diese Fragen immer wieder und beantwortet sie klar: Jedes Recht, wenn es dem Theater dient!

Claudia Blank: Regietheater. Eine deutsch-österreichische Geschichte
Henschel-Verlag 2020
208 Seiten, 38 Euro.


Das Buchcover die Namen der Regisseure, mit denen sich Claudia Blank in "Regietheater" auseinandersetzt in einer Negativ-Schrift auf schwarzem Grund.
© Henschel/Deutschlandradio
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