Regierungsteilung - bis heute ein Zankapfel

Von Rolf Wiggershaus · 20.06.2011
Heute kann sich in einem seit mehr als zwei Jahrzehnten wiedervereinigten Deutschland wohl kaum noch jemand Bonn statt Berlin als Hauptstadt des Landes vorstellen. Damals kam es aber zu einer symbolischen Aufladung der Städte Bonn und Berlin.
"Ich rufe auf den einzigen Tagesordnungspunkt unserer heutigen Sitzung: Beratung der Anträge zum Parlaments- und Regierungssitz. Jeder weiß, worum es heute geht: um die Entscheidung in der Frage Bonn-Berlin."

Als Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth am Morgen des 20. Juni 1991 die Plenardebatte des Bundestags in Bonn eröffnete, herrschte eine angespannte Atmosphäre. Bis zuletzt war versucht worden, eine Kampfabstimmung zu vermeiden. Bei einem knappen Ausgang der Abstimmung war zu befürchten, dass das Ergebnis nicht genügend Akzeptanz finden würde. Die beiden großen Parteien und die Bevölkerung waren in der Frage Bonn-Berlin gespalten. Das war angesichts der Geschichte des geteilten Deutschlands nicht verwunderlich.

"Berlin ist keine weiche Stelle und wird es auch nicht werden. Berlin war, ist und bleibt vielmehr die Hauptstadt Deutschlands."

Willy Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin, verkündete das mit besonderer Emphase im Jahr des Mauerbaus 1961. Doch dann wurde gerade zur Zeit seiner Kanzlerschaft Anfang der 1970er-Jahre damit begonnen, das Provisorium Bonn zur "Bundeshauptstadt" auszubauen. Noch im Einigungsvertrag vom August 1990 hieß es, Berlin werde Hauptstadt sein, doch die Entscheidung über den Sitz von Bundestag und Regierung solle später getroffen werden. Um diese aufgeschobene Entscheidung ging es nun in der Plenardebatte im ehemaligen Bonner Wasserwerk, dem Ausweichquartier des Bundestags während der Bauarbeiten für einen neuen Bonner Plenarsaal. Teilung könne nur durch Teilen überwunden werden, hatte Lothar de Maizière gemahnt, Ministerpräsident der kurzlebigen ersten aus freien Wahlen hervorgegangenen Regierung der DDR. Auf diesen Satz beriefen sich viele der Redner. Doch was hatte der CDU-Abgeordnete und Arbeitsminister Norbert Blüm, der den Bonn-Antrag begründete, Berlin zu bieten?

"Wir schlagen vor: Berlin mit Amtssitz des Bundespräsidenten, mit dem Sitz des Bundesrates, der Bundesversammlung, der herausgehobenen Sitzungen des Bundestages, zusätzlicher Dienststellen des Bundeskanzlers und weiterer Mitglieder der Bundesregierung. Bonn als Parlaments- und Regierungssitz."

Damit wurde der Hauptstadt Berlin lediglich eine symbolische politische Funktion für repräsentative Zwecke und besondere Anlässe zugestanden. Kompromissbereiter waren die Berlin-Befürworter, deren Antrag der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse begründete. Ihnen ging es um die Vollendung der Einheit Deutschlands und zugleich um politische Glaubwürdigkeit nach jahrzehntelangen feierlichen Bekenntnissen zu Berlin.

"Was ist das für ein Staatsschiff, in dem alle wirklichen Schwerpunkte im Westen liegen? Frankfurt bleibt Finanzzentrum, Rhein-Ruhr das Wirtschaftszentrum, Hamburg-Bremen Handelszentrum, Stuttgart-München Zentrum technologischer Modernität. Was bleibt für den Osten Deutschlands? Das Problemgebiet? Nein, hier muss eine politisch bewusste Entscheidung für ein Zentrum östlich der Elbe gegensteuern."

Die Berlin-Befürworter forderten eine Grundsatzentscheidung für Berlin als künftigen Sitz "von Parlament und wichtigeren Regierungsfunktionen". Es sollte eine "faire Arbeitsteilung" zwischen Berlin und Bonn geben und für Bonn außerdem Kompensationszahlungen. Nach einem elfstündigen Redemarathon verkündete Bundestagspräsidentin Süssmuth am späten Abend schließlich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung:

"Für den Antrag 'Bundesstaatslösung'/Bonn-Antrag: 320 Stimmen. Für den Antrag 'Vollendung der Einheit Deutschlands'/Berlin-Antrag: 337 Stimmen. Enthaltungen: …" (das Weitere übertönen Jubel und Rufe)

Als Parlament und Regierung im Sommer 1999 umzogen, wurde Berlin damit tatsächliche Hauptstadt des ein Jahrzehnt zuvor wiedervereinigten Deutschlands. Doch im 1994 verabschiedeten Bonn-Berlin-Gesetz ist Merkwürdiges festgeschrieben. In der inzwischen wirtschaftlich prosperierenden "Bundesstadt" Bonn müssen sechs Ministerien ihren Hauptsitz haben und muss es mehr Regierungsmitarbeiter geben als in der wirtschaftlich prekär dastehenden Hauptstadt Berlin. Über Sinn und Unsinn und die Kosten dieser Regierungsteilung wird bis heute gestritten.
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