Regenwald aus Menschenhand

Von Lutz Reidt · 18.05.2008
Weltweit wird alle zwei Sekunden eine Stück Regenwald von der Fläche eines Fußballfeldes vernichtet. Um der Zerstörung des Regenwaldes und damit auch dem Schwund zahlloser Tier- und Pflanzenarten zu begegnen, haben philippinische und deutsche Forstwissenschaftler das Konzept des "Rainforestation Farming" entwickelt.
Beschwerlich ist der Weg den steilen Hang hinauf. Begleitet vom Zirpen der Zikaden geht es vorbei an mächtigen Bananenstauden und einem undurchdringlichen Gewirr meterhoher Bambusstangen, das einen schummerigen Dschungel formt in der klebrig-feuchten Schwüle der Tropen auf der Philippinen-Insel Leyte, unweit des Äquators.

An den Stämmen alter Kokosnusspalmen rankt Rattan empor, dem spärlichen Licht entgegen. Die Morgensonne hat Mühe, durch das dichte Blattwerk zu dringen.

Für Paciencia Milan ist dieser Dschungel etwas Besonderes, denn er ist erst zwölf Jahre alt. Es ist ein "Regenwald aus Menschenhand":

"Dieser Wald ist eine Rainforestation-Farm. Hier fördern wir ausschließlich heimische Pflanzen, vor allem wertvolle Tropenholzbäume. Heimische Pflanzen deshalb, weil wir unsere Biodiversität schützen wollen, also die Vielfalt der Pflanzen und Tiere, die von Natur aus hier leben. Diese Farm gehört Macario, der als erster unser Konzept umgesetzt hat. Er hat heimische Tropenholzbäume inmitten seiner alten Kokosnuss-Palmen angepflanzt, und auch Obstbäume, weil wir ihm rieten, durch den Verkauf von Früchten sein Einkommen zu steigern."

Die Biologin Pacienca Milan ist Präsidentin der Leyte State University. Gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Hohenheim in Stuttgart haben die philippinischen Forscher das Konzept des "Rainforestation Farming" entwickelt.

Anders als bei einer Plantage ist es hier das Ziel, einen möglichst naturnahen Tropenwald zu schaffen. Und das auf Flächen, die vormals abgeholzt und brandgerodet wurden. Oder wo im günstigsten Fall Kokosnuss-Plantagen stehen, die nichts mehr einbringen.

So wie bei Romano Macario. Der Waldbauer ist heute stolz auf den ersten "Regenwald aus Menschenhand", der oberhalb seines Hauses aufwächst. Im inseltypischen Visaya-Idiom, das durchsetzt ist mit englischen und spanischen Wortfetzen, schildert Macario, wie er mit seiner Rainforestation-Farm von den letzten intakten Tropenwald-Resten von Leyte profitiert, ohne ihnen zu schaden:

"Die meisten meiner Bäume tragen ja noch keine Früchte. Also gehe ich hinauf in die Berge, in den Urwald. Dort wachsen die Mutterbäume, die mir die Sämlinge für meinen Wald schenken. Alles, was ich brauche, finde ich dort oben. Das packe ich dann in Plastiktüten und bepflanze damit später die nächste Brachfläche. Und so habe ich die renaturierte Fläche schon auf fast zwei Hektar erweitert."

Romano Macario findet in seinem "Regenwald aus Menschenhand" bereits seltene Tierarten, die aus den intakten Bergwäldern zugewandert sind. So turnt wieder ein äußerst seltener Halbaffe in den Wipfeln umher, der Kobold-Maki. Eine Fledermaus-Art, der Goldkopf-Flughund, wurde schon gesichtet, ebenso der schwarz-gelblichweiß befiederte Tariktik-Hornvogel, der weltweit nur in der philippinischen Inselwelt vorkommt.

Macario sieht manchmal kleine Gruppen dieser Nashornvögel mit ihren markanten Schnäbeln in fruchttragenden Bäumen umhersausen. Claus-Peter Hutter von der "Stiftung Euronatur" fördert das Rainforestation-Projekt. Für den Tropenwald-Experten ist dieses Prinzip auch übertragbar auf andere Weltregionen, wo Tropenwälder wachsen. Und stets sollte dabei der weitgehend intakte Dschungel vor Ort Vorbild sein:
"Das heißt eben, dass dieses Rainforestation-Farming möglichst dem natürlichen Regenwald nahe kommt. Das wird man nie 100-prozentig nachahmen können, aber wir sehen hier auch anhand der wissenschaftlichen Untersuchungen, die zum Beispiel die Universität Hohenheim zusammen mit der Leyte State University durchgeführt hat, dass eben die Arten wieder zurückkehren. Viele dieser Arten haben überhaupt keine deutsche Namen, die haben nur wissenschaftliche Namen und manche bekommen hier auch während der Untersuchungen erst ihre Namen, weil sie neu entdeckt werden. Das sind verschiedene Ochideen-Arten; in den Flüssen, die hier den Hang runter kommen, sind neue Fisch-Arten entdeckt worden; Reptilien, Käfer, Schmetterlinge - also wenn immer wir Wissenschaftler ins Gebiet ´reinschicken, werden neue Arten entdeckt."

Mittlerweile dringt das Mittagslicht der Tropensonne vehement durchs hellgrüne Dach der Bambusstangen. Den Boden bedecken Gewürzpflanzen wie Kardamom und Vanille sowie Schatten liebende Ingwer-Sträucher. Darüber wachsen weit ausladende Wildbananen und stolze, alte Kokosnuss-Palmen, Mango-Fruchtbäume und junge Hartholzbäume.

So sieht sie aus, die Alternative zu eintönigen Plantagen in Monokultur. Wichtig ist vor allem, die lokale Landbevölkerung einzubinden und am Erfolg teilhaben zu lassen, sagt Paciencia Milan von der Leyte State University:

"Der Schutz der Umwelt ist längst in den Köpfen unserer Waldbauern, weil wir für das Rainforestation-Farming geworben haben. Auch die philippinischen Ureinwohner helfen uns, diese Idee auf den anderen Inseln zu verbreiten. Und das Beste war, als vergangenes Jahr sogar die philippinische Regierung verkündet hat, künftig nur noch einheimische Pflanzen bei der Wiederaufforstung auf den Philippinen verwenden zu wollen."

Regenwälder aus Menschenhand wachsen inzwischen auf 30 Rainforestation-Farmen und bedecken insgesamt rund 12.000 Hektar auf den Philippinen. Der Anfang zur Renaturierung abgeholzter Regenwälder ist gemacht in der klebrig-feuchten Schwüle der Tropen auf Leyte, unweit des Äquators.