Regensburger Korruptionsskandal

Suspendierter Oberbürgermeister vor Gericht

Oberbürgermeister der Stadt Regensburg Joachim Wolbergs
Der Regensburger Oberbürgermeister Joachim Wolbergs muss sich ab dem 24. September 2018 bis April nächsten Jahres vor dem Landgericht verantworten. © Imago / Eibner
Von Michael Watzke · 21.09.2018
Regensburg ist ein Sumpf: Momentan geht die Justiz gegen Oberbürgermeister Wolbergs, seinen Vorgänger, Bauunternehmer und weitere Politiker und Stadtbedienstete vor. Wolbergs werden Vorteilsannahme und der Verstoß gegen das Parteiengesetz vorgeworfen.
Die Glocken des Doms dröhnen über der oberpfälzischen Metropole Regensburg. Vom Domplatz bis zum Rathaus sind es gerade mal zwei Minuten. Man folgt einfach dem Touristenbähnchen. Auf dem Spaziergang durch die Fußgängerzone kommt man an einer Buchhandlung vorbei. Im Schaufenster: ein Roman von Anja Wolbergs mit dem Titel "In Liebe, Jana". Anja Wolbergs ist die Noch-Ehefrau des Regensburger Oberbürgermeisters Joachim Wolbergs.
Während man sich noch wundert, steht man schon vor dem historischen Rathaus. Hier regiert seit mehr als zwei Jahren nicht der gewählte Oberbürgermeister Wolbergs, sondern seine Vertreterin Gudrun Malz-Schwarzfischer. Die sagt: "Den Oberbürgermeister Wolbergs gibt’s auch noch. Nur muss der jetzt erstmal das mit seinem Gerichtsverfahren regeln. Das Gericht muss halt entscheiden, ob er da wirklich Fehler gemacht hat oder nicht."

Vorwürfe wegen Bestechlichkeit nicht zum Prozess zugelassen

Das Landgericht Regensburg eröffnet am kommenden Montag ein Verfahren gegen den Regensburger Oberbürgermeister Joachim Wolbergs wegen des Verdachts auf Vorteilsnahme. Die Staatsanwaltschaft wollte Wolbergs ursprünglich wegen Bestechlichkeit anklagen.
Dass es "nur" Vorteilsnahme wurde, ist für Wolbergs Vertreterin und SPD-Parteifreundin Malz-Schwarzfischer ein Grund zur Freude: "Auch für die Stadtverwaltung ist es eine Erleichterung, dass der am schwersten wiegende Vorwurf, nämlich der der Bestechlichkeit, dass der jetzt gefallen ist. Es ist keine Korruptionsaffäre mehr."
Keine Korruptionsaffäre? Stefan Aigner schnaubt bei solchen Aussagen. Schließlich sei auch Vorteilsnahme eine Form der Korruption: "Weil die ganzen Tatbestände zugelassen wurden. Lediglich die juristische Bewertung ist eine andere, die das Gericht vorgenommen hat. Und es ist ja völlig offen, was beim Verfahren herauskommt. Da kann immer noch eine Verurteilung wegen Bestechlichkeit herauskommen. Natürlich kann auch ein Freispruch rauskommen."
Rathaus von Regensburg, Sitz des Oberbürgermeisters.
Rathaus von Regensburg, Sitz des Oberbürgermeisters.© Imago / Becker&Bredel
Stefan Aigner sitzt genau gegenüber vom Rathaus im Hofbräuhaus Regensburg. Genau auf dem Platz, der früher mal der Stammplatz von Hans Schaidinger war, dem Vorgänger von Joachim Wolbergs. Auch gegen Alt-Oberbürgermeister Schaidinger von der CSU ermittelt die Staatsanwaltschaft Regensburg, wie sie in einer Pressemitteilung bekanntgab: "Im Rahmen dieser Ermittlungen wurden mehrere Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Regensburg vollzogen. Wobei auch das Wohnanwesen des Beschuldigten Schaidinger betroffen war."

Bevorteilung gewisser Bauträger offensichtlich

Was ist das für eine Stadt, in der die Justiz gegen den aktuellen Oberbürgermeister, gegen seinen Vorgänger, gegen drei örtliche Bauunternehmer sowie gegen mehrere weitere Politiker und Stadtbedienstete vorgeht? Der Journalist Stefan Aigner, Redakteur des lokalen Internet-Mediums "Regensburg Digital", spricht von einem Sumpf:
"Na klar klingt das nach Sumpf. Und in meiner Bewertung – völlig unabhängig davon, was da jetzt strafrechtlich dabei rauskommt – dass es in Regensburg ein System der Bevorteilung gewisser Bauträger gegeben hat, das sieht doch jeder, der klaren Verstandes ist. Nur hat niemand je ein großes Problem daraus gemacht. Ich hab' Aussagen von anderen Bauträgern, die sagen: In dieser Stadt geschieht jeden Tag Unrecht, aber Du darfst nichts sagen, sonst kannst Du gar nicht mehr mitspielen."
Zumindest einen Regensburger Bauträger hat das Amtsgericht Regensburg bereits zur Rechenschaft gezogen: Thomas Dietlmeier, Gründer des Immobilienzentrums Regensburg, habe einen Strafbefehl wegen Bestechung von Oberbürgermeister Joachim Wolbergs akzeptiert, sagt Aigner: "Immerhin 500 Tagessätze plus ein halbes Jahr auf Bewährung. Und dann gibt's noch einen dritten Bauträger. Da hört man zur Zeit nichts. Das letzte war, dass wohl die Staatsanwaltschaft dort einen Strafbefehl angeboten habe, dann wäre das Verfahren erledigt gewesen. Aber das hat der wohl abgelehnt."

An die 100 Verhandlungstage angesetzt

Im Fall Wolbergs kommt es dagegen ab Montag vor dem Landgericht Regensburg zu einem Mammutverfahren. 70 Verhandlungstage hat Richterin Elke Escher angesetzt, plus 25 Ersatztage. Denn vor Gericht sitzt nicht nur der Regensburger Oberbürgermeister, sondern auch der mächtige Regensburger Bauunternehmer Volker Tretzel, dessen früherer Mitarbeiter Franz W. und der Regensburger SPD-Politiker Norbert Hartl. Der hatte bis Anfang 2017 die SPD-Fraktion im Regensburger Stadtrat geleitet.
Das Gericht teilte am 1.März mit: "Die Kammer [...] gelangte aufgrund einer vorläufigen Tatbewertung nach dem gesamten Akteninhalt zu der Einschätzung, dass ein für die Eröffnung des Hauptverfahrens hinreichender Verdacht [...] im Hinblick auf die Straftatbestände der Vorteilsannahme bzw. Vorteilsgewährung und des Verstoßes gegen das Parteiengesetz vorliegt."
Es geht um mehr als 20 Fälle mit diversen Bauprojekten auf der einen sowie Zuwendungen und Vergünstigungen bei Renovierungen auf der anderen Seite. Beim Verstoß gegen das Parteiengesetz geht es um Spenden von Tretzel an die Regensburger SPD zwischen September 2011 und März 2016. Tretzel soll 475.000 Euro gezahlt haben, gestückelt in kleinen Summen von knapp unter 10.000 Euro. Auf diese Weise waren die Spenden nicht veröffentlichungspflichtig. Joachim Wolbergs bestreitet die Vorwürfe bis heute. Er sieht sich schon jetzt als Gewinner, denn: "Der Beschluss des Landgerichtes stellt fest, dass der Vorwurf der Bestechlichkeit wohl nicht aufrecht zu erhalten ist. Das bedeutet mir sehr viel."
Glaubt der suspendierte Oberbürgermeister an einen Freispruch? Rechnet er vielleicht sogar damit, in sein Amt als Oberhaupt der Stadt Regensburg zurückzukehren? In seiner Presseerklärung lässt Wolbergs das offen.

"Man hat mir noch nie etwas angeboten"

Rückblick: eine überraschende Pressekonferenz im Jahr 2016. Soeben ist bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft Regensburg gegen den amtierenden Oberbürgermeister ermittelt. Wolbergs geht in die Offensive: "Solange ich lebe, hat es nicht einmal den Versuch gegeben, mich kaufen zu wollen. Niemand hat es bisher probiert. Niemand. Man hat mir noch nie etwas angeboten. Niemand."
Diese Behauptung ist zwei Jahre später bereits widerlegt. Denn schließlich hat der Gründer des Immobilienzentrums Regensburg einen Strafbefehl wegen Bestechung von Joachim Wolbergs akzeptiert. Wolbergs behauptete in seiner damaligen Pressekonferenz auch: "Ich habe noch nie in meinem Leben etwas getan, weil jemand etwas gespendet hat."
Diese Behauptung versucht die Staatsanwaltschaft Regensburg im kommenden Prozess zu widerlegen – mithilfe von 65 Zeugen. Die Ankläger wollen beweisen, dass es einen sogenannten "kick back" gab. Das bedeutet: einer zahlt (in diesem Fall ein Bauunternehmer) – der andere tut etwas dafür (in diesem Fall ein Politiker). Allerdings ist es schwierig zu beweisen, dass zwischen Zahlung und Handlung eine direkte Verbindung besteht, denn es gibt viele Wege, diese Verbindung zu verschleiern.

Auch CSU steckt im Regensburger Spendensumpf

Die Ermittlungsbehörden hätten einen Zeugen aus der Branche, sagt Journalist Stefan Aigner. Dieser Informant habe sich von der Kommunalpolitik erpresst gefühlt: "Und das hat dieser Bauträger auch gegenüber den Ermittlungsbehörden ausgesagt. Hat dort auch ein neues System der verdeckten Parteienfinanzierung enthüllt. Beim Wolbergs geht's ja vornehmlich um die Stückelung. Und bei der CSU ist es wohl über Scheinrechnungen gelaufen. Das heißt: es wurde Geld gezahlt für eine nicht erbrachte Leistung. Und dadurch wurden dann Wahlkampfkosten der CSU bezahlt."
Tatsächlich steckt neben der SPD auch die CSU im Regensburger Spendensumpf. Mehrere christsoziale Kommunalpolitiker müssen mit einer Anklage rechnen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht nur gegen den früheren CSU-Oberbürgermeister Hans Schaidinger, sondern auch gegen Joachim Wolbergs' damaligen Kontrahenten im Oberbürgermeister-Wahlkampf, Christian Schlegl. Und sogar der CSU-Kandidat im Landtagswahlkampf, Franz Rieger, ist im Visier der Ermittlungsbehörden.
Man könnte den Eindruck gewinnen, dass in der Regensburger Stadtpolitik alle beim Immobilien-Monopoly mitgespielt haben, die etwas werden oder verdienen wollten. Und Geld ist in der oberpfälzischen Metropole jede Menge da. Die Wirtschaft brummt – und die Immobilienpreise gehen durch die Decke.

Besonders boomende Kommunen gefährdet

Der Journalist Stefan Aigner sagt, dass die beiden mächtigsten Parteien, SPD und CSU, in Regensburg mehr Geld für Wahlkampf ausgegeben haben als in Berlin. Dabei ist Berlin etwa mehr als zehnmal größer: "Die Wahlkämpfe von CSU und SPD waren extrem teuer. SPD über eine Million Euro. Und dass es bei der CSU nur eine halbe Million war, wie es früher geheißen hat, stimmt auch nicht mehr so ganz. Gerade das mit den gestückelten Bauträgerspenden, die man vorher irgendwie vereinbart hat – das scheint ja nach allem, was bis jetzt bekannt ist, über Jahre ganz normal gewesen zu sein. Wenn man darüber redet, heißt es mittlerweile: 'Mei, das macht doch jeder, das ist doch bundesweit so. Da soll man sich mal nicht so haben.'"
Tatsächlich wirft der Wolbergs-Prozess die Frage auf, wie üblich das System Regensburg auch in anderen deutschen Kommunen ist. Im oberbayerischen Ingolstadt wird derzeit in ähnlicher Sache ermittelt. Es scheint, als seien besonders jene Kommunen gefährdet, die durch den Wirtschafts- und Immobilienboom schnell wachsen. Jeder kennt jeden, es lief schon immer so, die Wege sind kurz, und eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.
"Das Wachstum von Regensburg hat ja nicht dazu geführt, dass sich die politischen Entscheidungsstrukturen wesentlich geändert hätten. Es ist immer alles gleich geblieben. Und sowas gibt's mit Sicherheit auch andernorts."
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