Refugee Radio Network

Hamburger Radioprojekt hilft Flüchtlingen

Die in Indonesien geborene französische Songwriterin Anggun Cipta Sasmi bei einer Aufnahme
Wie sich als Flüchtling in Hamburg zurecht finden? Radiosender helfen. © FRANCOIS GUILLOT / AFP
Von Knut Benzer · 08.01.2016
An wen kann man sich mit Problemen wenden? Was muss man beachten? Derartige Fragen stellen sich viele Flüchtlinge, die sich in Deutschland erst zurechtfinden müssen. Einen Hamburger Radiosender hat das auf eine Idee gebracht.
Peter Gelsdorf: "Refugee Radio Network ist eine größere Gruppe von Flüchtlingen, und die produzieren hier in Hamburg Sendungen, die dann halt bei, also bei Tide 96.0 und auf'm Freien Sender Kombinat ausgestrahlt werden."
"Bei uns, also bei den beiden Radiosendern, sind sie auch terrestrisch."
Peter Gelsdorf: "Und ich gehe davon aus, dass deswegen die Leute zu uns gekommen sind, weil sie denn halt zusätzlich zur Internetausstrahlung eine Verbreitung über UKW haben."
Peter Gelsdorf: "In den letzten Sendungen hatten wir natürlich viel Syrisch, Afghanisch, die ganzen nordafrikanischen Länder sind sehr häufig vertreten, das ist immer die Sprache von den Leuten, die's gerade betrifft."
Peter Gelsdorf, 47, seit 2004 Leiter des Radio Tide 96.0. Tide ist Bürgerfunk, festgelegt im Medienstaatsvertrag Hamburg-Schleswig-Holstein, Trägerin ist die Hamburg Media School, darüber hinaus fungiert Tide als eigenständiger Rundfunksender. Keine inhaltlichen Vorgaben. Nicht kommerziell, natürlich, die so genannte dritte Rundfunksäule.
Hamburg Uhlenhorst, Mehrfamilienhäuser, eine Frauenklinik, der Hamburger Schulverein, der Kunst- und Mediencampus Hamburg – und darin: Tide. Peter Gelsdorf und das Refugee Radio:
"Sie haben angerufen, ganz klassisch, also es gab 'n ganz normalen Anruf, dann haben wir uns hier getroffen, wie wir das mit allen Gruppen machen, und haben kurz das Konzept besprochen. Und das war in dem Fall sehr klar und es ging sehr schnell, drei vier Wochen lief dann die erste Sendung schon nach dem ersten Gespräch."
Ortswechsel: An der Außenalster vorbei, vorbei am Dammtorbahnhof, dann links, anschließend rechts. Eine enge Treppe hoch.
Werner Pomrehn: "Da hinten über den Dächern geht dann die Sonne unter, und sind hier mitten in Eimsbüttel, zwischen der Schanze und dem Eimsbüttel-Kern, das FSK ist jetzt im kommenden Jahr seit zehn Jahren hier."
FSK heißt nicht Freiwillige Selbstkontrolle...
"Das ist das Freie Senderkombinat, FSK 93,0."
Werner Pomrehn, 60 seit letztem Jahr und seit 16 Jahren beim FSK aktiv, redaktionell und wie das bei 'Freien Radios' üblich ist, in vielem mehr: Bei der Programmzeitschrift, im Nachmittagsmagazin für subversive Unternehmungen und beim Refugee Radio Network.
"Wir arbeiten inhaltlich zusammen, tauschen uns aus und überlegen auch die eine oder andere längerfristige Angelegenheit gemeinsam."
'Freie Radios' sind unabhängige selbstbestimmte, basisdemokratischen Gesellschaftsrundfunk betreibende Radios. Kritisch, Konzept: Gegenöffentlichkeit. Nicht kommerziell, konfliktbereit, Zerreißproben durchaus unterworfen. Beim Freien Senderkombinat wird das Refugee Radio Network produziert und ebenfalls gesendet – zwei Stunden lang, dienstags.
Die Themen? Unterschiedlich. Werner Pomrehn:
"Die Situation ist natürlich eine ganz andere auch derjenigen, die diese Sendung machen, ist eine ganz andere, sie sind Überlebende, sie sind übers Mittelmeer gekommen und natürlich spielt das eine Rolle. Andererseits ist das ja eine gesellschaftliche Situation, der sich allzu lange ja auch verschlossen worden ist, ich erinnere mich noch sehr gut an die ersten Sendungen, wie wir da thematisiert haben, dass es darum gehen müsste, über Bürgerrechte zu sprechen in einem vereinigten Europa, in einer globalisierten Welt, in der die Räume gar nicht mehr abzugrenzen sind."
Willst Du ins Radio?
Das war vor knapp eineinhalb Jahren. Larry Moore Macaulay ist gekommen.
Werner Pomrehn: "Larry, ein Kollege des Refugee Radio Network, die gehen in siebzehn Minuten auf Sendung, heute am Dienstag, werden jetzt von 17 bis 19 Uhr ihre Sendung machen."
Gehen wir mal hinter Larry her... Larry Macaulay ist der Gründer und Chef des Refugee Radio Networks.
Larry Macaulay, 42, kommt aus Jos, mitten in Nigeria und kam 2011 über Libyen und Lampedusa nach Hamburg. 2014. In Libyen hatte Macaulay gearbeitet und musste Libyen verlassen, weil die Nato den Staat bombardiert hatte. Von, sagen wir Tipoli nach Lampedusa sind es 300 Kilometer, von Lampedusa nach Hamburg immer nach oben geradeaus bis Hauptbahnhof 2830 – das ist eine schöne Strecke. Seine Familie? Privatangelegenheit. Warum er Nigeria verlassen hat? Boko Haram. Warum Hamburg?
"Warum Hamburg? Für mich ist Hamburg eine der wenigen Städte in Europa, wenn nicht die einzige, in der ich war, die Menschen wir mir, Minderheiten, die Möglichkeit gibt, sich frei zu äußern, zu einhundert Prozent, ohne Vorurteil oder Nachteil. Als Resultat daraus haben wir unser Radioprogramm Refugee Voices, das erste dieser Art in Deutschland, und wir versuchen, als Flüchtlinge unser Bestes, uns verständlich zu machen, den Flüchtlingen gegenüber und der Gesellschaft."
Macaulay spricht englisch, hat man gehört, er spricht arabisch, wein wenig französisch, ein wenig italienisch, er spricht afrikanische Sprachen, ein wenig deutsch… Alles ist ein bisschen von allem. Macaulay hat Business Administration und Ingenieurwesen studiert, er hat in beiden Berufen gearbeitet und Artikel gegen Islamisten geschrieben, als die UN den Krieg in Nigeria zwischen Christen und Muslimen noch ethnische Konflikte nannte.
"Europa war eingeschaltet als Notwendigkeit, nicht als Ergebnis aus: Ich bin hungrig in meinem Land, ich habe nichts zu essen, Flüchtlinge haben kein Zuhause, das ist Bullshit - ich entschuldige mich, dieses Wort zu benutzen, nehmen Sie es raus. Wir hatten gute Leben. Europa erzählt uns, um Menschenrechte zu kämpfen, dafür kämpften wir, wir verteidigten sie. Und dann kommt Europa und zerstört das, für was wir kämpften und was wir verteidigten. Ich kam nicht, weil ich hungrig war oder kein Dach über dem Kopf hatte. Ich kam, um Sicherheit zu suchen, o.k.? Und um meinen Menschenrechtskampf fortzusetzen."
Seine Sendung beginnt. Keine Gäste heute.
"Wir bringen das Radio zu den Leuten, ich bin häufig unterwegs, das Team ist häufig unterwegs, Veranstaltungen, in Deutschland und im Ausland, so bringen wir die Refugees zum Reden. Manche von ihnen haben nicht die Freiheit, sich zu bewegen zum Beispiel, also gehen wir als Flüchtlinge zu ihnen. Das Vertrauen ist bei uns, weil sie uns trauen – wir sind Flüchtlinge, wir kämpfen den gleichen Kampf für Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit."
Das Team: drei, vier, fünf, sechs Personen. Hinein in ein Flüchtlingsheim? Sie mit Mikrophon oder Kamera erschrecken? Der falsche Zugang.
Küchentischdiskussionen. Und dann die Frage: Willst Du ins Radio? Seit Oktober 2014. Refugee Radio Network ist Information:
"Informationen darüber, was sie machen sollen, tatsächliche Informationen, keine Informationen des Protokolls. Wir bringen sie mit der Gemeinschaft in Kontakt, Theater, Vorlesungen, Bildungsprogramme – das sind die Dinge, die sie tangieren, Aufnahme in die Gesellschaft. Wir helfen nicht mit Mobiltelefonen, das ist nicht unser Geschäft, die meisten haben sowieso eines, wir brauchen ihnen keine SIM-Karten zugeben, die bekommen sie in der Stadt umsonst oder für fünf Euro, das ist nicht das Problem von Flüchtlingen."
Als Macaulay nach Lampedusa kam, händigten Hilfskräfte als Willkommensgruß 1700 Flüchtlingen SIM-Karten aus. Sie konnten sie nicht benutzen.
Aabid Hemidi: "Ich komme aus Syrien, ich bin etwa ein Jahr in Deutschland."
Aabid Hemidi, 31, Englischlehrer. Wo seine Familie ist, weiß Hemidi nicht:
"Nein, als ich Syrien verließ, hatte das sehr schlagartig zu geschehen, wir wurden getrennt. Ich hatte gehofft, sie nachkommen zu lassen, aber unglücklicherweise wurde die Situation in Syrien immer schlimmer. Ich weiß nicht, wo sie sind, ich habe den Kontakt vor annähernd neun Monaten verloren."
Hemidi hörte vom Refugee Radio Network und wandte sich an dessen Mitarbeiter.
"Ja, ich hatte von ihnen gehört und als klar wurde, dass es den keinen Kontakt zu meiner Familie mehr gab, versuchte ich alles, sie zu finden. Die Leute vom Refugee Radio Network versuchten herauszufinden, wo sie war."
Erfolglos. Aber immerhin ein Versuch des Refugee Radio Networks. Aabid Hemidi:
"Wenn jemand nach Deutschland kommt, wird es ziemlich kompliziert. Die Schreibarbeiten, die Schreiberei, die Dokumentation Deiner Vergangenheit. Man sollte meinen, es sei leichter als in meiner Heimat, aber es braucht Zeit, insbesondere, wenn die Sprache fremd ist. Ich spreche deutsch, allerdings nicht solide genug, um diese Schreibereien zu bewerkstelligen. Das Refugee Radio Network war imstande, mir zu helfen und mich durch diesen bürokratischen Prozess zu führen."
Nicht nur das:
"Als ich kam, hatte ich natürlich überhaupt keine Arbeit. Eigentlich war das nicht der Grund, das Refugee Radio Network anzusprechen, der war ja die Suche nach meiner Familie gewesen, doch als sie hörten, dass ich Englischlehrer gewesen war und dass ich darüber hinaus ein wenig deutsch spreche, mehr auf jeden Fall als viele andere, die nach Deutschland kommen, halfen sie mir zusätzlich, eine Art Lehrerjob zu finden. Ich unterrichte die, die gerade eintreffen. Vorzugsweise in deutsch, das ist offensichtlich wichtiger, aber eben auch in englisch, wenn es ihnen hilfreich sein sollte."
Begegnungsort für Flüchtlinge
Wieder beim FSK, beim Freien Sender Kombinat in Eimsbüttel. Mittlerweile kann man ihr Programm in Marburg, Berlin, München, Freiburg hören – überall dort, wo sich ein Sender, ein Mitglied des Bundesverbandes Freier Radios entscheidet, sie ins Programm zu nehmen.
Sammy Ojay ist gekommen. Sammy Ojay, 35, auch aus Nigeria, mit Kind und Frau hier, gleicher Weg: Libyen, Italien - zwei Jahre, Hamburg. Hoffnung darauf, mit der Radiosendung ihren Status zu verbessern, Hoffnung auf Arbeitserlaubnis, vielleicht ein kleines Praktikum, Bewegungsmöglichkeit. Geld verdienen? Samma Ojay wird von Larry Macaulay unterbrochen.
"Geld ist nicht alles im Leben. Verstehen Sie mich nicht falsch. Nein, wir brauchen alle Geld, um unsere Seelen zu pflegen, so was. Aber in dem Kontext dessen, was wir sind, dieses Durchkämpfen, kommt Geld nicht zuerst. Was zuerst kommt, ist Aufmerksamkeit. Ich habe in meinem Leben so viel Geld gesehen, so viel Geld, wie ich in diesem Europa nie wieder sehen werde. Ich bin seit Jahren hier und habe nicht annähernd 5000 Euro gesehen, aber ich habe eine Menge Geld bezahlt, um nach Europa zu kommen.
Die nächste Stufe ist, Anerkennung in der Gesellschaft zu bekommen und die Stereotypen zu verändern: Diese Leute sind gefährlich, diese Leute sind Terroristen. Die Europäer kommen andauernd und fragen uns: Was ist mit Pegida, was ist mit den Nazis? Wir Flüchtlinge haben keine Angst vor Pegida und Nazis, das ist ein deutsches Problem, mit dem sich die Deutschen befassen müssen. Wie kann ich Angst haben? Auf meinem Kopf sind Bomben gelandet, ich bin durch die Sahara gegangen, ich habe das Mittelmeer überquert, ich habe im Dschungel aus Beton in Europa gelebt – wovor sollte ich mich noch fürchten? - Vor nichts."
Keine Zensur, deswegen sind sie hier. Wir machen dieses Radioprogramm, so Sammy Ojay, als Heilungsprozess.
Larry Macaulay: "Flüchtlinge rennen immer weg, sie rennen immer vor irgendetwas weg. Alle bomben unsere Zivilisation weg. Was also wird übrig bleiben? - Nichts."
Stationsprecher FSK: "Schickt uns Euer Feedback, Antworten, Nachrichten über Facebook, Twitter oder über meine E-Mail-Adresse, Telefon, SMS. Wir beantworten sie persönlich, Refugee Radio Network at gmail, Punkt, com. Telefon, Whats-app, SMS..."
Jetzt, meint Macaulay, machen wir ein bisschen Musik, um ein wenig herunter zu kommen. Flüchtlinge hören auch gerne Musik. Wir haben Flüchtlinge, die Musik machen und vorbei schauen, und nächstes Mal, wenn Sie zuhören, werden Sie vielleicht ein paar Interviewgäste hören. Das ist die Idee, er nenne es den Migrantpolitan-mix, so machen wir das.
Ortswechsel nochmal: Auf Kampnagel hat deren Intendantin Amelie Deuflhard den Flüchtlingen einen Begegnungsort zur Verfügung gestellt. Kampnagel: ehemalige Maschinenfabrik in Winterhude, seit mehr als 30 Jahren für zeitgenössische darstellende Kunst genutzt. Vor ein paar Tagen war Eröffnungsparty von Migrantpolitan, mehr als der internationale Refugee-Radio-Music-Mix. Anwesend: Die Intendantin als Vertreterin des Hauses, Larry, Larry Macaulay, Sammy, Sammy Ojay und viele andere. Hörer halt:
Said: "Ich bin Said, ich komme aus Syrien, ich bin jetzt in Hamburg, das ist eine schöne Stadt. Jetzt gerade haben wir einen Deutsch-Kurs. Schönes Radio, das Radio hat geholfen zum Beispiel den Leuten, die Probleme haben oder so; das Radio, das sagt, was es von anderen gehört hat, was für Probleme es gibt bei Flüchtlingen."
Rina: "Ja also, meine Name ist Rina Sachmed, ich komme aus Syrien. Ich habe jetzt bei Radio Refugees Network geredet. Es kann jemand mit dem Radio Kontakt machen und dann das Radio treffen und alles selbst machen. Und das Radio gefällt mir sehr sehr, ich danke Ihnen und dann danke ich dem Radio. Es hat mit mir einen Kontakt gemacht und mir dann geholfen."
Frieden und Menschenwürde, Geschichte aus dem Alltag nicht alltäglichen Lebens, das alltäglich werden will.
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