Reformvorschläge des IOC

"Der Sport steht nicht im Mittelpunkt"

IOC - Olympia Ringe
IOC - Olympia Ringe © picture alliance / dpa / Martial Trezzini
Moderation: Korbinian Frenzel · 08.12.2014
Das IOC stimmt über die "Agenda 2020" ab. Die Reform zur Vergabe der Olympischen Spielen wird von zwei ehemaligen Medaillengewinnern unterschiedlich beurteilt: Harald Schmid hält die Spiele für zu aufgebläht, Wolfgang Maennig ist anderer Meinung.
Wolfgang Maennig, 1988 Olympiasieger im Rudern und heute Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Hamburg, bewertet die Reformvorschläge von Thomas Bach für die Vergabe von Olympischen Spiele positiv. Mit seinen Reformvorschlägen habe das IOC eine "erhebliche Beweglichkeit" nachgewiesen, sagte Maennig im Deutschlandradio Kultur:

"Wenn Sie die Reaktion des IOC vergleichen mit anderen Institutionen, die Akzeptanzprobleme haben oder nicht mehr den Nachhall haben (...), dann ist das, was das IOC gemacht hat, enorm."
Maeenig kritisierte allerdings, dass in dem Reformentwurf die Zahl der Athleten auf 10 500 Personen beschränkt werden solle:

"Alles wächst in dieser Weltwirtschaft: Die Bevölkerung wächst, die Zahl der Sport treibenden Menschen, die Zahl der Leistungssport-Menschen wächst, die Weltwirtschaft wächst – nur die Zahl der olympischen Athleten, die ist einzementiert bei 10 500. Das finde ich nicht richtig."
"Das Gigantische schreckt viele Bewerber ab"
In den Reformvorschlägen stehe der Sport nicht im Mittelpunkt, kritisierte Harald Schmid, ehemaliger Leichtathlet und auch Olympiamedaillengewinner:

"Es geht immer um das Drumherum, um das weitere Aufblähen der Olympischen Spiele. Und eigentlich ist es genau das Umgekehrte, was man schaffen muss."
Die Olympischen Spiele müssten kleiner und überschaubarer werden, forderte Schmid. Sie sollten den Sport gezielt in den Mittelpunkt stellen. So müsse man unter Umständen auch auf den großen Ausbau von Sportstätten verzichten:
"Es ist dieses Gigantische, was viele Bewerber auch abschreckt. Was man an Vorleistungen bringen muss."
Lesen Sie hier das ganze Interview:
Korbinian Frenzel: Sotchi war nicht schön. Die Olympischen Spiele Anfang des Jahres haben bei uns allen einen bitteren Beigeschmack hinterlassen, nicht des Sports wegen, sondern wegen all der Dinge drum herum: eine Milliarden teure Schau in einem Land, das der Welt politische Sorgen bereitet ohne Ende. Wäre es nur der eine Fall, gut, darüber könnte man hinwegsehen. Aber all diese Dinge drum herum, die Mega-Investition, das große Geschäft, die Eingriffe in das ganze Leben einer Region, all das ist mittlerweile so massiv, dass eigentlich keine Stadt in einem demokratischen Land überhaupt noch bereit ist, Olympia auszutragen. Dass das ein Problem ist, das hat man immerhin erkannt, auch im internationalen Olympischen Komitee. Ihr Chef, der Deutsche Thomas Bach, hat jetzt einen Reformkatalog vorgelegt, über den das IOC spätestens morgen abstimmen wird. Bevor wir hier im Sender darüber streiten, erfahren wir von Holger Kühner, was die Kernpunkte dieser Reform sind.
((Einspielung Kühner))
So sehen sie also aus, die Reformvorschläge für die Vergabe von Olympia. Kann diese Reform die Olympische Idee retten? Darüber streiten wir jetzt. Sie kann es nicht, weil sie nicht weit genug geht. So sieht es Harald Schmid, Leichtathlet, Olympiamedaillengewinner 1976 und 1984, seither kritischer Begleiter der Olympischen Bewegung und des IOC. Einen schönen guten Morgen, Herr Schmid!
Harald Schmid: Hallo, guten Morgen!
Frenzel: Dieser Reformvorschlag ist ein großer Sprung, sagt dagegen Wolfgang Maennig, 1988 Olympiasieger im Rudern, heute Professor für Wirtschaftspolitik an der Uni Hamburg, mehrfacher Olympia-Gutachter. Auch Ihnen einen guten Morgen, Herr Maennig!
Wolfgang Maennig: Guten Morgen!
Frenzel: Herr Maennig, fangen wir mal bei Ihnen an, sie sind der, der es positiv bewertet. Großer Sprung – warum?
Maennig: Na ja. Das IOC hat doch schon erhebliche Beweglichkeit nachgewiesen. Es hat natürlich Akzeptanzprobleme, aber wenn Sie die Reaktionen des IOC vergleichen mit anderen Institutionen, die Akzeptanzprobleme haben oder nicht mehr den Nachhall haben, sagen wir mal, Gewerkschaften weltweit oder auch die großen Volksparteien, und deren Reformanstrengungen, die ja praktisch gegen Null gehen, dann ist das, was das IOC gemacht hat, enorm. Und man muss sagen, sie hat das auch sehr geschickt gemacht. Das IOC hat weltweit jedem Bürger das Recht gegeben, Eingaben, Vorschläge zu machen. Es sind zigtausende von Vorschlägen gekommen, und diese sind in 14 Arbeitsgruppen aufgearbeitet worden, und jetzt zusammengefasst worden zu 40 Verbesserungsvorschlägen. Dass nicht alle Wünsche, vielleicht auch nicht alle meine Wünsche erfüllt worden sind. Aber der Sprung insgesamt ist enorm.
Frenzel: Dann hören wir mal die andere Seite, Herr Schmid. Das klingt doch alles gar nicht so schlecht. Was ist Ihr Problem mit dieser Olympia-Reform.
Schmid: Na ja, also das klingt wirklich nicht schlecht, und es ist auch ein guter Ansatz. Es dauert nur ziemlich lange, bis es umgesetzt wird, und ich habe immer das Gefühl, der Sport, um den es wirklich geht, der steht nicht im Mittelpunkt, sondern es geht immer um das Drumherum, um das weitere Aufblähen der Olympischen Spiele. Und eigentlich ist es genau das Umgekehrte, was man schaffen muss.
Frenzel: Wie kann man das denn schaffen? Wenn Sie jetzt konkret an das IOC denken, wenn die da heute und morgen zusammenkommen in Monaco, was wären denn konkrete Schritte, die in dieser Reform fehlen?
Schmid: Man müsste wirklich etwas alles kleiner machen und überschaubarer und den Sport ganz gezielt in den Mittelpunkt stellen und unter Umständen auch auf einen großen Ausbau von Sportstätten und so weiter verzichten. Ich stelle mir das immer vor, wie wäre es, wenn ein Olympischer Endlauf jetzt über 100 Meter in einem kleinen Stadion, das zwar auch acht Bahnen hätte, stattfinden würde? Es gäbe auch einen Olympiasieger. Es würde sich eigentlich nichts ändern. Es ist dieses Gigantische, was viele Bewerber auch abschreckt, was man an Vorleistungen bringen muss. Es ist zwar jetzt ein Ansatz, dass das IOC sagt, wir wollen das einfacher und leichter machen, aber es ist immer noch eine Riesenhürde. Und wenn man sieht, was in Sotchi dort in die Natur gestellt wurde – man weiß nicht, was man überhaupt heute damit anfangen soll.
Frenzel: Herr Maennig, ist das illusorisch, was Herr Schmid da sagt?
Maennig: Ich denke auch, dass das, was in Sotchi passiert ist, der Olympischen Bewegung schwer geschadet hat, denn diese 52 Milliarden, die geistern immer so rum, als wären das wirklich olympische Kosten. In Wirklichkeit hat der russische Staat sich entschieden, eine ganze Region vollkommen neu zu entwickeln, Straßen neu anzulegen, Bahnhöfe zu bauen und Ähnliches. Das hat mit Olympia wenig zu tun oder nichts zu tun. Das hat geschadet. Das kann die Öffentlichkeit nicht auseinanderhalten. Die Organisationskosten liegen bei zweieinhalb bis drei Milliarden Euro für Sommerspiele. Die sind finanzierbar durch die Einnahmen. Es kann durchaus sinnvoll sein, dass man vieles kleiner macht. Ich denke tatsächlich auch, dass man darüber nachdenken kann, ob dieses Olympiastadion wirklich so groß sein muss, ob das Schwimmstadion so groß sein muss. Man muss allerdings eines sagen: Schon jetzt ist der Kampf um die Tickets sehr hart. Ich bin selber jemand, der gerne zu Olympischen Spielen fährt. Es ist sehr schwer, an Tickets heranzukommen, das wird dann noch schwerer. Und ich möchte gleich in eine Richtung gehen. Wenn dieses Downsizen und dieses Kleinermachen vielleicht auch noch angewendet würde auf die Sportler, dann wäre das sicherlich falsch. Ich halte es übrigens, und das ist eine meiner Kritiken an dem Programmentwurf, der jetzt diese Neuerungen zusammenfasst, für falsch, dass es limitiert wird auf 10.500 Athleten. Alles wächst in dieser Weltwirtschaft. Die Bevölkerung wächst, die Zahl der Sport treibenden Menschen wächst, die Zahl der Leistungssportmenschen wächst. Die Weltwirtschaft wächst. Nur die Zahl der olympischen Athleten, die ist einzementiert bei 10.500, und das finde ich nicht richtig.
Frenzel: Aber wir haben ja alle wahrscheinlich noch diese schönen Spiele von Lillehammer in Erinnerung, Anfang der 90er-Jahre, die wirklich bescheidene Spiele waren. Wäre denn so etwas heute überhaupt noch möglich, auch mit diesen Reformen, wenn sie sich denn durchsetzen wollten, oder ist das heute zu klein für Olympia? Muss es größer sein? Herr Maennig.
Maennig: Ich denke, das wäre möglich. Das wäre jetzt wieder möglich. Ich glaube, das ist auch genau das, was das IOC vor Augen hatte, dass solch stimmungsvolle Spiele oder Orte wieder eingeladen werden sollen, sich wohlfühlen sollen und nicht die Angst haben sollen, dass sie, sagen wir mal, Sotchi nacheifern müssen.
Frenzel: Herr Maennig hat gerade anfangs diesen Prozess, diese Transparenz so gelobt. Herr Schmid, gehen Sie da mit, sagen Sie immerhin, das Verfahren zu dieser Reform war gut?
Schmid: Vielleicht teilweise war es ein Ansatz, der wirklich für die Zukunft Wirkung zeigen kann. Aber wenn wir es noch mal sehen jetzt, es heißt die Agenda 2020. Bis da alle Beschlüsse umgesetzt werden – und wir wissen nicht, ob das alles gelingt –, vergehen wahrscheinlich sechs bis acht Jahre, zwei olympische Perioden. Ob da wirklich was so schnell zustande kommt. Vielleicht, wenn Deutschland sich dann mal um die Olympischen Spiele bewirbt, haben die dann diese Startvoraussetzungen. Ich sehe das einfach nicht, dass das so schnell geht, weil ich auch diese Wege des IOC kenne, und einfach alles immer langsam von sich geht.
Frenzel: Wenn wir mal über diese Wege des IOC sprechen – jetzt liegen also diese Reformvorschläge in Monaco vor. Glauben Sie denn, Herr Maennig, dass es dafür eine Mehrheit geben wird?
Maennig: Ja, davon bin ich fest überzeugt. Ich bin auch überzeugt, dass praktisch alles angenommen wird. Vielleicht wird es an der einen oder anderen Stelle eine Umformulierung geben, aber Thomas Bach hat ja schon klar gemacht, dass es ein Mosaik ist, was sich hier zusammensetzt, und dass sie wichtig sind, jeder einzelne, um die Gesamteffekte zu erzielen. Ganz kurz noch zu dem Tempo: Es ist richtig. Rio 2016 hat nichts mehr von diesen Reformvorschlägen. Rio ist sozusagen wahrscheinlich das letzte Opfer von einer verfehlten Politik, die vielleicht mal mit Barcelona '92 anfing, als man gedacht hat, dass Olympische Spiele dafür da seien, ganze Städte umzuwandeln. Aber schon für Tokio 2020 wird es wahrscheinlich möglich sein, eigene Sportarten zusätzlich vorzuschlagen, die den Präferenzen der nationalen Bevölkerung besonders entsprechen. Und damit kann schon Tokio profitieren. Und spätestens für 2024 und '22 wird es ja doch erhebliche Erleichterungen geben.
Frenzel: Herrn Maennig muss ich, glaube ich, an dieser Stelle nicht fragen, aber an Sie die Frage, Herr Schmid, wünschen Sie sich denn Olympia auch mal wieder in Deutschland, unter diesen Bedingungen, wie sie herrschen, selbst, wenn sich diese Reform durchsetzen sollte?
Schmid: Ja, ich habe mir jetzt schon die Diskussion ein bisschen – die habe ich etwas beobachtet im Vorfeld für dieses Olympia-Bewerbung Deutschlands. Und ich frage mich auch, genau was will Deutschland erreichen mit dieser Bewerbung? Das müsste eigentlich allen ganz klar sein vorher: Wenn es darum geht, eine Stadt, Hamburg oder Berlin, besser mit Infrastruktur zu versorgen, um zu begründen, welche Recht man alle einhalten kann dazu, oder was man dabei gewinnen kann. Ich weiß nicht, ob das wirklich die Botschaft ist, die der Sport an ein Land oder in die Welt senden sollte. Irgendwie müsste es klar sein, warum will Deutschland Olympia. Was wird das für einen Gewinn für unsere Gesellschaft bedeuten. Und das ist irgendwie für mich das Allerentscheidendste, wenn sich Deutschland für dieses große Ereignis bewerben will.
Maennig: Aber Harald, wie – es ist doch einfach. Warum war die Fußballweltmeisterschaft 2006 gut für uns?
Frenzel: Warum war sie das?
Schmid: Na, ich will jetzt Fußball nicht mit Olympia vergleichen. Ich möchte einfach klar sehen, das ganz klar deutlich machen, dass eine eindeutige Botschaft dort hinausgehen muss. Und diese Diskussion, warum es gut sein könnte oder nicht und so weiter. Was kann nur die Botschaft sein, die der Sport sendet? Er muss ein Land für den Sport in Bewegung setzen.
Frenzel: Wir merken auf jeden Fall: Zwei Männer, zwei Leidenschaften für Olympia. Wir lassen Sie einfach noch mal in der Telefonleitung, dann können Sie weiter streiten. Wir machen jetzt hier erst mal weiter im Programm von Deutschlandradio Kultur. Wolfgang Maennig, herzlichen Dank an Sie ...
Maennig: Danke Ihnen!
Frenzel: ... und auch an Harald Schmid für dieses Gespräch!
Schmid: Ja, Danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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