Reflexionen im Freibad und in der Kunsthalle Mainz

Selbstwahrnehmung in Zeiten der Krise

05:41 Minuten
Videoinstallation von Johannes Büttner: Mehrere Bildschirme hängen in einem sehr hohen Raum. Darauf ist ein Männergesicht zu sehen.
Die Ausstellung "Theoretisch geht's mir gut" findet teils in der Kunsthalle Mainz und teils im Taubertsbergbad statt. © LNDW Studio, Courtesy of the Artist
Von Rudolf Schmitz · 04.07.2021
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Auf die Frage "Wie geht es dir?" zu antworten, ist oft nicht einfach – auch nach den Erfahrungen, die wir in der Pandemie gesammelt haben. Die Kunsthalle Mainz hat junge Künstler gebeten, sich das Thema der Selbstbefragung vorzunehmen.
"Wieso bist du so eiskalt? Ich will gehen und komme nicht weg von dir. Ich sollte nicht weinen, aber ich kann nicht anders. Ich rede mir ein, dass ich das alles nicht mehr brauche. Du hast meine Freundlichkeit für Schwäche gehalten. Du sagst, ich bin naiv, nicht streetsmart. Um mich muss man Angst haben. Aber ich fürchte mich nicht."
Ein großer weißer, silbrig glitzernder Vorhang im Foyer der Kunsthalle Mainz wird von Angeberalufelgen auf dem Boden fixiert. Seitlich hängen an silbernen Ketten zwei Lautsprecher, die tagebuchähnliche Selbstreflexionen der Künstlerin Samantha Bohatsch verbreiten. Es geht um die Frage, wer alles über die eigene Person urteilt, was in unseren Beziehungen wertvoll ist und was nicht, warum sich Euphorien so schnell verbrauchen.

Die Genderfrage beherrscht noch immer die Gesellschaft

In Readymade-Tradition geht es weiter, zumindest findet man zunächst nur eine Waschmaschine, sieht dann die bronzierten kleinen Bündelchen, die sich überall an sie heften wie Pilze, wie Parasiten.
Die dänische Künstlerin Benedikte Bjerre kommt mit ihrem zwölf Wochen alten Baby dazu. Sie thematisiere ihre eigene Situation, sagt sie, plötzlich Mutter zu sein und gleichzeitig als Künstlerin zu arbeiten. Und da habe sie eben bemerkt, wie sehr die Genderfrage noch immer unsere Gesellschaft beherrsche.
Die kleinen Bronzebündel? Das seien Babywindeln. Bjerre erklärt: "Für mich sind diese Windeln, die an der Waschmaschine kleben, so etwas wie ein Sinnbild, wie ein Cartoon, wie die Sterne, die jemand sieht, wenn er einen Schlag vor den Kopf bekommen hat. Das Rotieren der Waschmaschine steht dafür, wie sehr sich alles ständig wiederholt, und dass man davon leicht verrückt werden kann."

Schöne neue Welt

Hausarbeit, Mutter sein und Künstlerin bleiben – keine einfache Sache, besonders nicht in Zeiten von Corona. Haben es Männer da einfacher? Sieht so aus. Zumindest in der Videoinstallation von Johannes Büttner, der den männlichen Protagonisten von Business-Coaching, Mindset und Persönlichkeitsentwicklung eine Bühne bereitet. Er interessiere sich dafür, wie die digitale Arbeitswelt und gesellschaftliche Zukunft erzählt werde, sagt er:
"Nämlich dass ich ortsunabhängig arbeiten, sehr viel Geld verdienen und mein Leben so gestalten kann, wie ich das möchte, vom Strand oder von wo auch immer mit dem Handy Geld verdiene. Das klang für mich superverlockend und hat sich dargestellt wie so ein klassisches utopisches Narrativ: Ich kann mich weiter entwickeln, kann das tun, was mir Spaß macht, und bekomme dafür auch noch Geld." Schöne neue Welt – wer's glaubt, wird selig.

Im Schwimmbad wird es tiefsinnig

Das Mainzer Freibad hat Johannes Büttner mit übergroßen menschlichen Körperteilen bestückt, Händen und Füßen, gebogen aus Aluminiumflachstäben. Der Körper als Projektionsfläche, als leere Hülle?
Für Stefanie Böttcher, Leiterin der Kunsthalle Mainz, ist das Schwimmbad der prädestinierte Ort, um Körperkultur, Körperbilder, eine Wahrnehmung mit allen Sinnen zu verhandeln. Und vielleicht auch den Erfahrungen mit der Pandemie nachzuspüren:
"Es ist grade interessant, zu gucken, in welche Richtung das jetzt eigentlich kippt. Kippt das ganz schnell wieder in die Richtung, wo wir waren, und versuchen wir, das jetzt auch aufzuholen? Oder nehmen wir ein bisschen von dem mit, was in den letzten Monaten an Ruhe, an Langsamkeit und an Fokussierung passiert ist und möglich war?"
Die auf den Wiesen des Freibads verteilten Werke drängen sich nicht auf, sorgen aber gelegentlich für Überraschung. Wenn zum Beispiel aus zwei im Baum versteckten Lautsprechern intime Botschaften von Samantha Bohatsch ertönen: "Wir liegen Seite an Seite, unsere Schultern berühren sich. Ich fasse deine Hand und sinke in meine Träume. They say this is like Sodom and Gomorrah. For me it is the best place I could be."
"Theoretisch gehts mir gut" ist ein charmanter und oft gelungener Versuch, der Selbstwahrnehmung in Zeiten der Krise eine Form zu geben.

Die Ausstellung "Theoretisch geht's mir gut" ist noch bis zum 22. August 2021 in der Kunsthalle Mainz und dem Mainzer Taubertsbergbad zu sehen.

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