Red Bull und der Sport

Lebensgefährliches Marketing eines Energy Drinks

23:47 Minuten
Digital zusammengefügte Sequenz eines Mountainbikers, der über einer Schlucht einen Salto performt.
Extremer Sprung über die Klippe: Bei solchen Events des Konzerns Red Bull spielt die Wirkung auf den Absatz der Brause eine große Rolle. © Getty Images / Tommaso Boddi
Von Günter Herkel · 05.07.2020
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Höher, schneller, weiter: Der österreichische Konzern Red Bull erschafft große Sportevents. Dabei geht es nicht nur um das Austesten von Grenzen, sondern vor allem um die Marke selbst. Doch was extrem wirkt, kann auch tödlich enden.
An die zwei Dutzend Frauen machen sich auf den 2,5 Kilometer langen Parcours am Fuße der Heini-Klopfer-Skiflugschanze in Oberstdorf. Sie sind Teilnehmerinnen am Extremhindernislauf Red Bull All In. Es ist bereits der erste von zwei Zwischenläufen der Frauen. Nur die besten zwölf schaffen es ins Finale. Auf dem Weg dahin müssen 15 Schikanen bewältigt werden. Der Jugendliche Marius ist einer von vielen ehrenamtlicher Helfern. Er achtet darauf, dass die Regeln eingehalten werden.
"Das ist jetzt die Stairladder. Da müssen die Teilnehmer halt an der Innenseite von so Art Leitern hoch und oben dann umgreifen und auf der anderen Seite wieder runter. Man muss einen Holzklotz einmal um einen bestimmten Bereich rumschieben bzw. rollen."

Treffen der Extremsportler

Es herrschen ungemütliche Bedingungen beim 2. Red Bull All In. Das Tauwetter hat den Parcours stellenweise in eine Schlammstrecke verwandelt. Schon nach kurzer Zeit sind die Teilnehmer gezeichnet. Zudem kämpfen sie gegen einen dichten Schneeregen an. Die 27-jährige Sabrina Brinkmann nach überstandener Tortur:
"Ich bin nicht ganz so zufrieden mit mir. Weil meine Hände eiskalt geworden sind und ich Megaschmerzen bekommen hab und dann leider erstmal am ersten Stand fünf Minuten stand, um meine Hände warm zu machen, was bei zwei Kilometern – ja, ärgerlich ist."
Dabei ist Sabrina eine erfahrene Athletin. Bei der letzten Europameisterschafft im Extremhindernislauf, so berichtet sie, wurde sie Dritte in ihrer Altersklasse. An die 550 Hindernisläufer und Hobbysportlerinnen aus zehn Ländern sind angereist, um dreimal die Strecke rund um die Skiflugschanze zu bezwingen.
Was treibt sie an, sich diesen Strapazen auszusetzen? Vanessa Gebhardt, sportliche Sprecherin der Veranstaltung, zugleich Mitarbeiterin der österreichischen Red Bull GmbH:
"Das muss man sagen, das liegt am Red-Bull-Event, das liegt an dem K.O.-System, und das ist was Einzigartiges. Da muss man sagen, das ist ein sehr schönes Ding sich anzusehen, weil da Topathleten an den Start gehen, die wirklich zeigen, was sie können."

Enge Bindung an die Athleten

Auch Leistungssportler aus anderen Disziplinen nehmen an diesem Event teil. Schon zum zweiten Mal mit auf der Piste: Beachvolleyball -Weltmeister und Olympiasieger Julius Brink. Er agiert als eine Art Markenbotschafter für das Energydrink-Unternehmen Red Bull:
"Ich bin aus der aktiven Zeit des Beachvolleyball-Athleten raus. Bin aber immer noch mit der Marke Red Bull stark verbunden, weil ich zum Beispiel im Beachvolleyball verschiedenste Jobs noch übernehme, wo auch Red Bull eine Rolle spielt oder Rechteinhaber ist oder Markenrechte vertritt. Und deshalb passt das natürlich."
Brinks Karriere als Beachvolleyballer wurde maßgeblich von Red Bull gesponsert. Andere Einzelsportler in Diensten des Unternehmens sind oder waren die Skiläuferin Lindsay Vonn, der Fußballer Neymar, der Skispringer Gregor Schlierenzauer oder Sebastian Vettel – solange er noch für den konzerneigenen Rennstall startete. Brink zeigt sich im Rückblick dankbar für den Support:
"Ich habe meine größten Erfolge auch zusammen mit der Marke errungen. Red Bull war für mich n Partner der allerersten Stunde, dem ich viel zu verdanken hab, dass ich meinen Sport überhaupt so ausüben konnte, wie ich es wollte, und von daher lebt die Partnerschaft weiter. Ein klassisches Sponsoring ist das in dem Sinne nicht, weil ich eben kein aktiver Athlet mehr bin."
Zu sehen ist ein Frau in Sportkleidung, die an einem Lauf teilnimmt.
Mitmachen für den Umsatz: Mit seinen eigenen Events bringt sich Red Bull in die Öffentlichkeit.© Getty Images / Red Bull / Dean Treml
Das Sponsoring von Athleten aus klassischen Sportarten ist aber eher eine Randerscheinung unter den zahlreichen Marketingaktivitäten von Red Bull. Hauptsächlich unterstützt der Konzern Sportler in Disziplinen wie Base-Jumping, Wingsuit-Springen, Wellenreiten, Mountainbike und anderen Extrem- oder Fun-Sportarten. Von wegen – Red Bull verleiht Flügel.
"Ich glaube, die haben einen eigenen Markt neu erfunden für Energy Drinks, den dann auch noch sehr hochpreisig an den Markt gebracht und sehr erfolgreich gestaltet. Welches Unternehmen kann das schon von sich behaupten, ein neues Produkt kreiert zu haben und damit lange Jahre sehr erfolgreich zu sein", sagt Philipp Klotz.

Pflege der Marke

Klotz ist Geschäftsführer und Herausgeber von Sponsors, der Hamburger Spezialagentur für alle Sponsorenaktivitäten rund um den Sport. Die wirtschaftliche Bilanz von Red Bull kann sich sehen lassen: Im vergangenen Jahr verkauften die mehr als 12.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 171 Ländern 7,5 Milliarden Dosen. Der Umsatz lag bei mehr als sechs Milliarden Euro, fast zehn Prozent mehr als 2018. Davon, so schätzen Branchenexperten, wandert rund jeder dritte Euro ins Marketing.
Streng genommen ist Red Bull gar kein Getränkehersteller: Die Produktion der populären Brause besorgt ein externer Dienstleister. Kerngeschäft von Red Bull ist die Pflege der Marke.
"Ich glaube, seit Anfängen ist ‚Red Bull verleiht Flügel‘ – das ist der Marken-Claim – extrem konsequent, extrem kreativ", sagt Klotz. "Sie denken immer einen Schritt weiter über die Grenzen hinaus. Und wenn sie es dann aber auch machen, extrem perfekt inszeniert."
Weitaus weniger euphorisch beschreiben Markus Metz und Georg Seeßlen in ihrem Buch "Kapitalismus als Spektakel" den Hype um den kultischen Energydrink. Red Bull, das sei "ursprünglich eine Art Brause mit Koffein und Vitaminen, sowie einem semigeheimnisvollen Zusatzmittel namens Taurin, das jetzt in einer eigenwilligen Werbekampagne einen neuen Markt-Auswuchs hervortreibt. Aufschlussreich schon die Entstehungsgeschichte: Taurin als Wirkstoff in einem Getränk entstammt, wohl wiederum nicht zufällig, einer Kriegsentwicklung: Im Zweiten Weltkrieg wurden die japanischen Piloten damit versorgt, weil man glaubte, dadurch Leistung und Einsatzbereitschaft damit zu erhöhen. Der Slogan ‚Red Bull verleiht Flügel‘ bekommt so eine makabre Nebenbedeutung."
Zu einen haben sie das Produkt, was sie vor allen an junge Leute verkaufen wollen. Und koppeln das eben mit Events, die genau das Publikum anspricht. Action, Fun, Spaß, n Stück weit Risiko, klar. Aber alles das, was eben Nervenkitzel ausmacht. Der Versuch, diese Verbindung herzustellen, ist jetzt erst mal nicht unplausibel, um erfolgreich zu sein", urteilt Oliver Stoll, Sportpsychologe an der Uni Leipzig.
Und der Berliner Sportphilosoph Gunter Gebauer ergänzt:
"Es ist nicht die Flüssigkeit, sondern eine ganze Mythologie, die damit angefüllt ist und die Mythologie wird erzeugt durch bestimmte Sportereignisse und andere Großereignisse, die immer sehr spektakulär sind, die groß aufgehängt werden. Es sind meistens Dinge, die noch nie passiert sind vorher, die angekündigt werden."

Bestmarken sollen gebrochen werden

Wie zum Beispiel der berühmte Stratosphärensprung des Felix Baumgartner. Im Oktober 2012 brach der Salzburger gleich mehrere Weltrekorde, als er aus einer Höhe von 39.000 Metern aus einer an einem Heliumballon hängenden Kapsel sprang und in freiem Fall Schallgeschwindigkeit erreichte.
"Man hat gesehen, der fliegt runter, kommt unten tatsächlich an, fliegt auf den Boden, geht zu Boden, kniet, sozusagen mit einer religiösen Geste. Man hat das Gefühl, er betet in dem Moment, steht wieder auf und dann wird er untersucht. Und hinterher verschwindet er", erzählt Gebauer.
In den meisten auf Höchstleistung ausgerichteten Sportdisziplinen geht es darum, vorhandene Bestmarken zu übertreffen. Ein Rekord wird aufgestellt, irgendwann schafft es irgendjemand, noch schneller, höher, weiter zu laufen oder zu springen.
Das selbst kreierte Event "Red Bull Stratos" erregte weltweit Aufmerksamkeit. Zig Millionen Menschen sahen das Spektakel auf YouTube. Kein Vergleich mit der Reichweite und Werbewirkung konventioneller Marketingstrategien. Sponsors-Geschäftsführer Philipp Klotz:
"Die haben einfach verstanden, wie wichtig Content in unserer heutigen Zeit ist und den selbst zu produzieren, und da sehr attraktive Formate, aber auch Sportler und neue Ideen zu produzieren."
Ein kleines Flugzeug mit Red Bull-Logo dreht kurz vor zwei Heißluftballons ab.
Zwar keine Heliumballons, sondern Heißluftballons: Erinnerungsaktion in den USA an das erste von Red Bull veranstaltete Heißluftballonrennen.© picture-alliance / AP / Red Bull / Chris Tedesco
Normalerweise entfalle der weitaus überwiegende Teil des Sport-Sponsoring auf Standardlösungen, sagt Klotz. Die meisten Sponsoren begnügten sich damit, ihr Logo auf Banden oder auf den Trikots der Athletinnen und Athleten zu platzieren. Das sei aufgrund der Breitenwirkung des Sports zwar auch erfolgreich, aber zugleich an strenge Regeln gebunden.
"Die Regeln heißen: Man darf nur mit so und so vielen Quadratzentimetern auf die Trikotbrust oder auf den Ärmel oder auf die Bande. Da macht Red Bull sich eben seine eigenen Regeln, indem sie eigene Sportarten entwickeln, eigene Formate und eigene Sportler."

Überschaubare Risiken

Was aber will der Konzern mit einem Event der Superlative wie dem Stratosphärensprung feiern? Geht es um die Glorifizierung einer Art von Übermenschentum? Sportpsychologe Stoll plädiert dafür, den Korb etwas tiefer zu hängen.
"Man verkennt dabei die Tatsache, dass das natürlich durch technische Unterstützung gepusht wurde. Es ist nicht so, dass jemand in Badehosen in 38 Kilometer runtergesprungen ist, sondern der war in einem Raumanzug und das wurde alles sehr genau und detailliert berechnet. Das Risiko war überschaubar, wahrscheinlich auch für den Baumgartner."
Eher überschaubare Risiken gehen auch die Teilnehmerinnen bei Red Bull All In an der Skiflugschanze von Oberstdorf ein.
"Ziemlich interessant ist der Ice River, da muss man durch einen Eisbach laufen. Oder – ich weiß jetzt grad nicht genau, wie es heißt, da muss man auf alle Fälle Treppenstufen entlang der Schanze komplett hochlaufen. Das ist auch ziemlich anstrengend", sagt Marius.
Und Freizeitsportler Martin, der bereits zum zweiten Mal dabei ist, ergänzt:
"Dieses ‚All In‘, dieses Konzept finde ich gut, weil man wirklich alles geben muss, sonst kommst du nicht weiter. Wobei ich normalerweise die längere Distanz mache. Aber dies hier ist auch gut."
Geht es um die Berichterstattung über seine Spektakel, gibt sich das Unternehmen durchaus kooperativ. Medienvertreter werden aufmerksam betreut, Gesprächspartner gern vermittelt. Beim Kennenlernbier am Vorabend des Events sind neben den Athletinnen und Organisatoren auch Journalisten willkommen. Sprecherin Vanessa Gebhardt:
"Für 40 Euro eine so wundervolle Kulisse und ein so durchdachtes Rennen zu bekommen, ist einmalig. Da müssen wir sagen, das ist wirklich Red Bull zu verdanken, dass die hier so viel reinstecken und ein wundervolles Event draus machen."

Zugeknöpftes Unternehmen

In eigener Sache zeigt sich der Konzern dagegen eher zugeknöpft. Interviewwünsche werden abschlägig beschieden und selbst auf schriftlich eingereichte Fragen gibt es keine positive Resonanz: "Bitte haben Sie Verständnis, dass wir Ihre Fragen zur Marketingstrategie nicht beantworten können", schreibt per E-Mail Claudia Berger, Kommunikationschefin von Red Bull Deutschland auf eine entsprechende Anfrage.
"Der Grund dafür liegt in unserer Markenphilosophie, die vorsieht, dass wir das Unternehmen und alle direkt damit verbundenen betriebswirtschaftlichen, strategischen oder organisatorischen Aspekte nicht in den Vordergrund stellen wollen. Denn wir meinen, das Licht der medialen Aufmerksamkeit soll jenen vorbehalten sein, die es durch ihre außerordentlichen Leistungen verdienen: den Sportlerinnen und Sportlern, Künstlerinnen und Künstlern und vielen anderen kreativen Menschen, mit denen wir in den verschiedensten Bereichen zusammenarbeiten."
Ein Teilnehmer während eines Events in der Türkei landet mit einer Art Schlitten in einem eisgefrorenen Pool.
Berichterstattung über Spektaktel: gerne, wie etwa über dieses in der Türkei, bei dem die Teilnehmenden in einem eisgefrorenen Pool landen.© picture alliance / Anadolu / Esma Kucuksahin
Im Grunde genommen ist der Konzern kaum auf externe mediale Aufmerksamkeit angewiesen. Er schafft sie selbst. Das Tochterunternehmen Red Bull Media House betreibt den auch in Deutschland empfangbaren Fernsehsender Servus TV. Außerdem gibt man die kostenlose Zeitschrift "Red Bulletin" heraus, ein Hochglanzmagazin mit knalligen Reportagen aus der Eventküche des Unternehmens.
"Hunderte von Millionen, die die in Sportsponsoring investieren, von Formel 1 über Fußball bis hin zu eigenen Events, aber auch eigene Produktionshäuser mit dem Red Bull Media House, die sie gegründet haben – die haben eigentlich neudeutsch formuliert ein eigenes Ökosystem geschaffen, von der grünen Wiese aus", so der Sportpsychologe Stoll.

Kritik von Fußballfans

Gemeint ist der Firmensitz Fuschl am See in der Nähe von Salzburg. In Deutschland sponsert Red Bull unter anderem auch zwei Klubs populärer Sportarten. Zum Beispiel Eishockey. Seit 2013 gehört der EHC München zum Brauseimperium. In den Jahren 2016 bis 2018 gewann der EHC dreimal nacheinander die Deutsche Eishockeymeisterschaft.
Noch spektakulärer die Erfolgsgeschichte im Fußball. 2009 kaufte man dem sächsischen Oberligisten SSV Markranstädt das Startrecht ab. Mithilfe massiver Investitionen gelang in der Folge unter dem Namen Rasenballsport Leipzig innerhalb von sieben Jahren der Durchmarsch in die Erste Bundesliga. Fußballtraditionalisten wie "11freunde"- Chefredakteur Philipp Köster ist diese Entwicklung ein Gräuel:
"Bei Klubs wie RB Leipzig geht es wirklich nur drum, Dosen zu verkaufen. Da geht es nicht drum, den Osten zu fördern, da geht es nicht drum, die Jugend zu fördern, da geht es nicht drum, den Leuten in Leipzig besonders schönen Fußball zu bieten, da geht es wirklich nur darum, die Awareness, wie man in der Werbeindustrie so schön sagt, der Marke Red Bull und dieser ganzen Dosengeschichte zu steigern.
Die Kritik Kösters reiht sich ein in die Klage vieler Fußballfans über die zunehmende Kommerzialisierung ihres Sports durch kapitalstarke Investoren. Dass Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz nicht ähnlich wie Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp ins Fadenkreuz der Fußballromantiker gerät, liegt wohl eher an seinem diskreten Auftreten in der Öffentlichkeit.
Eine größere Gefahr für das Image von Österreichs wertvollster Marke geht aus von den Schlagzeilen über tödliche Unfälle von Extremsportlern. Allein zwischen 2008 und 2017 starben neun Athleten bei Extremsportveranstaltungen, die von Red Bull ausgerichtet wurden. Wie etwa der russische Basejumper Waleri Rosow, der 2017 bei einem Sprung vom Berg Ama Dablam im nepalesischen Himalaja in den Tod stürzte. Oder Eli Thompson, der 2009 bei einem Sprung mit dem Wingsuit ums Leben kam.
"Es wäre nicht korrekt, wenn man sagen würde, dass sie wegen Red Bull starben. Man kann auch nicht sagen, dass sie ohne Red Bull noch am Leben wären. Was wäre die richtige Formulierung: Das sie für Red Bull starben?", so der "Spiegel" Anfang 2017 in einer ausführlichen Reportage über den umstrittenen Sportsponsor.

Das eigene Leben riskieren

Wer trägt die Verantwortung? Der Athlet selbst? Das Unternehmen, in dessen Auftrag gesprungen wird? Handelt es sich hier um Extremsportmarketing ohne Rücksicht auf Verluste? Marketingfachmann Klotz hält dagegen:
"Es gibt auch leider Todesfälle bei der Formel 1. Es gibt leider Todesfälle auch immer wieder bei Radrennen und auch bei anderen Sportarten. Das ist natürlich extrem tragisch und löst tiefe Betroffenheit aus. Ob man in diesen Fällen jetzt Red Bull die Schuld geben kann, entzieht sich meiner Kenntnis."
Schuld und Verantwortung – im Extremsport kommt man um die Erörterung grundsätzlicher ethischer Fragen wohl nicht herum. Sportphilosoph Gebauer hält Differenzierung für nötig.
"Die meisten Menschen, die im Extremsport tätig sind, kalkulieren genau, was sie da tun. Extrembergsteiger wollen nicht abstürzen. Die tun alles, um das zu verhindern. Die denken nicht daran, dass so etwas passieren könnte, und ergreifen alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen, um sich abzusichern."
Für viele der extrem riskanten von Red Bull ausgerichteten Wettbewerbe gelte dies aber nicht, findet Gebauer:
"Hier sind Leute dabei, die Dinge tun, die man nicht absichern kann. Das heißt, das geht gut oder das geht nicht gut. Das bedeutet: Das ist kein Mut mehr, sondern das ist das Riskieren des eigenen Lebens."
Warum aber riskieren Sportler ihr Leben? Und wofür?
"Für eine Marke ganz bestimmt nicht. Und nur für Geld sicher auch nicht. Es ist eher glaube ich der Wunsch danach, über dieses Spiel mit dem Leben so etwas wie entweder Unsterblichkeit oder Übermenschentum zu erreichen", so Gebauer.

Abgeworbene Adrenalin-Junkies

Man müsse nicht gleich Nietzsche bemühen, um dieses Phänomen zu begreifen, findet dagegen Sportpsychologe Stoll. Für extrem risikofreudige Sportler, die im Wettkampf den ultimativen Kick suchen, habe die Psychologie eine eigene Typenbezeichnung entwickelt: die "sensation seeking personality".
"Es gibt in der Tat Menschen, die eine besondere Persönlichkeitsausprägung haben, die wir sensation seeking nennen, und das sind Personen, die in der Tat diesen Thrill and Adventure suchen, weil sie eben sehr häufig auch physiologisch nicht dieselben Wahrnehmungen haben - in besonders wo wir sagen, das sind gefährliche Situationen – also Aufregung, Nervenkitzel usw."
Während beim Normalbürger etwa im Schwimmbad schon der Blick vom Zehn-Meter-Turm Angst und Fluchtinstinkt auslöse, fange beim Adrenalin-Junkie der Spaß erst richtig an.
"In der Öffentlichkeit wird das natürlich anders bewertet", so Stoll. "Diese Menschen machen gern solche Aktivitäten. Dann liegt natürlich nahe, dass sich so ein Unternehmen genau solche Leute sucht und sie dann auch für sich nutzt. Das ist dann wohl eine Win-Win-Situation für beide Seiten, denn die werden auch ganz gut dafür bezahlt."
Im Jahr 2009 erlitten gleich vier Athleten bei vier verschiedenen Red-Bull-Events tödliche Unfälle. Zuletzt verunglückte der Basejumper Ueli Gegenschatz bei einem Sprung vom Sunrise Tower in Zürich. Danach regte sich erstmals öffentliche Kritik am Marketingkonzept des Konzerns.
Red Bull kondolierte kühl auf seiner Homepage: "Wir werden die Arbeit mit unseren vielen Athleten weiterführen und ihnen weiterhin dabei helfen, ihre Träume zu erfüllen und ihre Visionen zu verwirklichen."
"Ich würde es moralisch verwerflich finden, wenn Red Bull Sportler dazu drängt, zu sagen, macht es doch noch risikoreicher, fliegt doch noch näher am Felsen vorbei mit den Suit Wings zum Beispiel", meint Sportmarketing-Experte Klotz. "Darüber habe ich keine Kenntnis, ich habe sowas auch noch nie gelesen. Ich gehe bis dato der Unschuldsvermutung davon aus, dass die Sportler das tun, weil sie sich selbst neuen Herausforderungen stellen und sich ihres Risikos bewusst sind."

Kritik nach Tod von Athelen

Nach dem Todessprung des russischen Basejumpers Waleri Rosows im nepalesischen Himalaya urteilte der Wiener "Standard" Ende 2017 über die lange Liste tödlicher Unfälle von Athleten im Solde von Red Bull:
"Red Bull hatte sie mit gut dotierten Verträgen ausgestattet, die gleichzeitig wohl auch besondere Verpflichtungen vorsahen. Das Unternehmen erwartet Spektakel, es inszeniert seine Sportler in aufwendig produzierten Videos als Helden. Doch auch Helden wie Waleri Rosow sind nicht unverwundbar."
Erneut bemühten wir uns um eine Stellungnahme des Unternehmens. Auf einen differenzierten Fragekatalog antwortete die Kommunikationsabteilung:
"Red Bull pflegt langfristige Freundschaften mit außergewöhnlichen Athleten und unterstützt sie dabei, ihre Träume zu verwirklichen."
Ein Mann klettert an einer Bambusleiter an Klippen hoch, während ein anderer bereits im freien Fall ist.
Wer ist für das Risiko der Athleten verantwortlich? Zum Beispiel beim Klippenspringen in Thailand:aus 25 Metern Höhe.© Getty Images / Red Bull / Dean Treml
Auch die Sportler selbst äußern sich in der Regel eher reserviert zu diesem Thema. Von ethischen Vorbehalten ist da selten die Rede.
"Wir gehen auf'n Berg. Ja, am Wochenende gehen wir immer zusammen auf den Berg. Wir machen Bergläufe zusammen, und sonst, ich mach Fitness – aber ich lauf recht viel, ja."
Martin und Eugen habe es beide in die zweite Runde des Oberstdorfer Red Bull All In geschafft. Hätten sie Lust, auch mal an einem richtig riskanten Wettbewerb des Veranstalters teilzunehmen?
"Ich hätte schon mal Interesse, aber meine Frau sagt nein! Meine Frau erlaubt es nicht."

Makaberer Filmtitel

Beachvolleyball-Veteran und Red-Bull-Markenbotschafter Julius Brink relativiert die Risiken:
"Für mich ist zum Beispiel viel gefährlicher, ein Formel-Eins-Auto zu fahren als zum Beispiel Bungee-Springen oder andere Sportarten mit einem Adrenalinkick zu vollziehen."
Brink setzt auf das Prinzip Eigenverantwortung:
"Am Ende ist es, glaube ich, immer der Athlet selber, der Risiko und Nutzen für sich irgendwo einschätzen muss. Und das im Einklang mit seinem eigenen Empfinden oder Werten oder auch seiner Risikobereitschaft sehen muss."
In der ARD-Doku "Die dunkle Seite von Red Bull" wird detailliert der Fall des US-amerikanischen Basejumpers Shane McConkey geschildert. Er starb 2009 bei einem Stunt für einen von Red Bull produzierten Film. Eine Art Heldenepos über sein Leben. Der Film wurde dennoch fertiggestellt. Untertitel: "You have one life. Live it!"
Am Rande der Berlinale 2013 versucht das ARD-Team, Sophokles Tasioulis, den "Head of Cinema" von Red Bull Media House zum Film "Mc Conkey" zu befragen:
"Dieser Mann ist ja gestorben, als er für Red Bull gesprungen ist, und Sie haben hier die Headline ‚You have one life. Live it!‘ Ist das nicht vielleicht ein bisschen zynisch? – Das ist doch – Shane Mc Conkey! – Richtig! Startet im Wettbewerb, der Film. – Aber der Mann ist tot! - Richtig! - Kein Problem damit? – Das soll das Publikum entscheiden! – Er ist ja nicht der einzige Tote."

Noch die Dose in die Hand gedrückt

An dieser Stelle hält der Manager von Red Bull Media House seine Hand vor die Linse des Kameramanns und bricht das Interview ab. Kritische Fragen, so scheint es, stören nur das Geschäft. Für Sportphilosoph Gebauer hat das Prinzip Selbstbestimmung Grenzen:
"Nicht alles, was nicht erzwungen ist, ist legitim. Man kann Leute dazu animieren, Dinge zu tun, die ihnen das Leben kostet. Dann ist man indirekt dafür verantwortlich, dass die Leute das tun."
Eine moderatere Position vertritt Sportpsychologe Stoll:
"Ich denke mir, dass sich Red Bull durchaus bewusst ist, welches Klientel sie dort anziehen wollen und welche Frontmänner oder -frauen sie dort ins Rennen schicken, damit das auch funktioniert. Ich würde ihnen aber nicht vorwerfen, dass sie intentional Menschen missbrauchen würden, ein so hohes Risiko einzugehen, damit sie sterben oder umkommen, nur damit der Euro oder der Dollar funktioniert. Soweit würde ich da nicht gehen."
Im Finish des 2. Red Bull All in Oberstdorf setzt sich der Belgier Thibault Debusschere knapp vor seinem Landsmann Thomas Buyle durch. Streckenhelfer drücken dem Sieger eine Getränkedose in die Hand. Er wehrt zunächst ab, akzeptiert aber nach kurzer Belehrung durch die Rennleitung. Schließlich werden noch Fotos und bewegte Bilder für den Onlineauftritt von Red Bull benötigt.
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