Rechtspopulismus

Vage Antworten auf rechte Demokratiekritik

Rechtspopulisten im Europäischen Parlament: die Britin Janice Atkinson (UKIP), die Französin Marine Le Pen (Front National), der Niederländer Geert Wilders (PVV)
Rechtspopulisten im Europäischen Parlament: die Britin Janice Atkinson (UKIP), die Französin Marine Le Pen (Front National), der Niederländer Geert Wilders (PVV) © dpa / picture alliance / Olivier Hoslet
Von Martin Steinhage · 22.08.2015
Der europäische Rechtspopulismus setzt sich im Kern aus den immer gleichen Ingredienzien zusammen: Ausländerfeindlichkeit, Islamophobie und die Ablehnung der EU. Ein Sammelband informiert über den Aufstieg rechter Parteien und Bewegungen von Kopenhagen bis Rom.
Der Rechtspopulismus in Europa ist auf dem Vormarsch. Das gilt für prosperierende Länder wie Österreich oder Dänemark ebenso wie für EU-Schwergewichte wie Frankreich und Italien, aber auch für Staaten wie Tschechien oder Ungarn.
Bei allen regionalen Unterschieden und Besonderheiten ähneln sich stets die Ursachen für den Aufstieg der rechten Populisten: Die alte Welt im Krisenmodus schürt seit Jahren die Abstiegsängste vieler ihrer Bürger, von der Unterschicht bis tief in die Mittelschicht hinein.
Auf die Sorgen und Nöte der Menschen haben konservative wie linke Volksparteien keine Antworten, jedenfalls keine, die das europaweite Millionenheer der Verunsicherten erreichen würden. Der österreichische Publizist Robert Misik bringt es in seinem Beitrag auf den Punkt:
"Der Aufstieg des Populismus ist (ja) primär ein Symptom für die geistige Obdachlosigkeit vieler Bürger..." (S. 170)
Ausländerfeindlich, islamophob, europakritisch
Ernst Hillebrand: "Rechtspopulismus in Europa"
Ernst Hillebrand (Hg.): "Rechtspopulismus in Europa"© Verlag J.H.W. Dietz
Im ersten Teil des von Ernst Hillebrand herausgegebenen Sammelbands werden rechtspopulistische Strömungen in zehn europäischen Staaten in Kurzporträts vorgestellt, und es wird deutlich:
Der europäische Rechtspopulismus setzt sich im Kern von Kopenhagen bis Rom, von Paris bis Budapest aus den immer gleichen Ingredienzien zusammen: Ausländerfeindlichkeit im Allgemeinen, Islamophobie im Besonderen sowie eine ablehnende Haltung gegenüber der EU wie Europa insgesamt, verbunden mit einer tiefsitzenden Skepsis oder gar aggressiven Ablehnung gegenüber den politisch Verantwortlichen.
Im zweiten und dritten Teil gehen die meist dem eher linken Spektrum zugehörigen Autoren aus mehreren europäischen Staaten der Frage nach, wie "die Politik" – und da vor allem die linken Parteien – dem Rechtspopulismus erfolgreich begegnen könnten. Dabei bleiben die Antworten sehr vage, wie etwa die von Laurent Baumel, Abgeordneter der französischen Nationalversammlung für die Sozialistische Partei:
"Zunächst einmal müssen Europas Progressive darum kämpfen, den Bürgern wieder ein Gefühl dafür zu vermitteln, dass sie ihr Schicksal selbst in der Hand haben." (S. 119)
Akademiker sind besonders empfänglich
Eine interessante und provokante These stellt René Cuperus, Publizist und Direktor eines niederländischen Thinktanks, auf. Er vermutet, dass in Europa gerade auch Akademiker empfänglich sind für das Gedankengut der Rechtspopulisten:
"Diese Menschen geben vor, kosmopolitisch und universalistisch, für Einwanderung und für den Islam, für die EU und gegen eine Politik des Law and Order zu sein.
Doch viele dieser Einstellungen beruhen zumeist nur auf dem Bemühen um Statusabgrenzung gegenüber den als ordinär und vulgär wahrgenommenen unteren Klassen.
Denn wie kosmopolitisch, proeuropäisch und islamfreundlich ist diese akademische Elite bei genauerer Betrachtung wirklich?" (S. 153 f.)
Rechtspopulismus ist langfristig wirksam
Weitgehend unbeantwortet bleibt die im Untertitel des Buches aufgeworfene Frage, ob denn nun der Rechtspopulismus eine veritable Gefahr für die Demokratie in Europa ist. Politikwissenschaftler Hillebrand ist sich in einem Punkt jedoch sicher:
"Der Rechtspopulismus wird als politisches Phänomen in Europa nicht so schnell verschwinden. Die dem Phänomen zugrunde liegenden Veränderungen sind struktureller Natur und langfristig wirksam.
Zudem droht die wirtschaftliche Malaise in der Eurozone die Legitimität der politischen Systeme weiter zu beschädigen. Populistische Bewegungen von rechts wie von links dürften davon profitieren." (S. 10)
Die AfD, die Alternative für Deutschland, kommt in dem Sammelband im Übrigen ebenso wenig vor wie die Pegida-Bewegung, was verwundert und von vielen Lesern als Mangel empfunden werden dürfte.
Gleichwohl ist das Buch ohne jeden Zweifel lesenswert, bietet es doch einen höchst informativen Überblick über den europaweiten Rechtspopulismus. Dass die analytischen Beiträge keine wirklich überzeugenden Rezepturen anzubieten haben, wie dem rechten populistischen Spuk begegnet werden kann, ist weniger ein Beleg für die Fantasielosigkeit der Autoren als vielmehr für die unheilvolle Komplexität des Themas.

Ernst Hillebrand (Hg.): Rechtspopulismus in Europa. Gefahr für die Demokratie?
192 Seiten, 16,90 Euro
Verlag J.H.W. Dietz, Bonn Mai 2015


Die Zitate stammen aus folgenden Beiträgen:
Seite 170 Robert Misik: Progressive Gegenstrategien gegen den Populismus
Seite 119 Laurent Baumel: Populismus als politischer Hilferuf
Seite 153 René Cuperus: Wie die Volksparteien (fast) das Volk einbüßten – Warum wir den Weckruf des Populismus erhören sollten
Seite 10 Ernst Hillebrand: Die populistische Herausforderung – Eine Einführung
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