"Rechtsextremismus steht in der Mitte der Gesellschaft"

Moderation: Katja Schlesinger · 08.11.2006
Im Westen Deutschlands sind rechtsextremistische Tendenzen stärker ausgeprägt als im Osten. Das ist das Ergebnis einer Studie der Universität Leipzig, die im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellt wurde. Nach Angaben von Oliver Decker, einem der Autoren, gibt es zwar in Westdeutschland mehr Menschen mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild. Dies trete aber in der Öffentlichkeit nicht so deutlich zutage, weil viele von ihnen demokratische Parteien wählten. Im Osten werde eine rechtsextreme Einstellung eher durch Handlungen, etwa durch Gewalt nach außen getragen, sagte Decker im Deutschlandradio Kultur.
Katja Schlesinger: "Die Welt zu Gast bei Freunden", so hieß das Motto der Fußballweltmeisterschaft in diesem Jahr und tatsächlich, viele Gäste haben uns Deutsche weltoffen, friedlich und gastfreundlich wahrgenommen. Keine Rede mehr von den no-go-areas über die vorher so viel diskutiert wurde. "Deutschland ein Sommermärchen", so heißt dann auch der Film zur Fußball-WM, der gerade in den Kinos läuft. Aber es stellt sich die Frage, war das gastfreundliche Deutschland vielleicht wirklich nur ein Sommermärchen? Die NPD sitzt nun auch in Mecklenburg-Vorpommern im Landtag, rechtsextreme Gewalt hat in diesem Jahr drastisch zugenommen. Wie rechtsradikal sind die Deutschen also wirklich? Wie groß ist die Gefahr? Das haben Wissenschaftler der Universität Leipzig untersucht im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung und heute wird die Studie vorgestellt. Im Studio ist jetzt einer der Autoren der Studie, Oliver Decker. Guten Tag.

Oliver Decker: Guten Tag.

Schlesinger: Herr Decker, nach Ihrer Studie haben 8, 6 Prozent aller Deutschen ein geschlossenes rechtsradikales Weltbild. Im Osten sind es 6,6 Prozent, im Westen 9,1 Prozent. Im Osten also weniger als im Westen. Wie passt das zusammen, mit den Wahlerfolgen der NPD zum Beispiel in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern?

Decker: Wir haben tatsächlich nicht ganz die Werte, die man sonst erwarten würde bei den Ergebnissen, die aber durchaus auch plausibel sind, denn wir haben auch festgestellt, dass die Rechtsextremen, auch die mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild, zu einem großen Teil die demokratischen Parteien wählen und zwar die großen Volksparteien CDU und SPD. Dadurch fällt es im Westen in der Regel nicht so auf. Der Großteil der Rechtsextremen wählt nicht NPD oder DVU, je nach dem, sondern die wählen demokratische Parteien.

Deswegen haben wir dieses Phänomen bisher im Westen wahrscheinlich noch nicht so wahrgenommen, obwohl schon lange bekannt ist, dass sehr viele Dimensionen des Rechtsextremismus, der rechtsextremen Einstellung auch in Westdeutschland viel deutlicher ausgeprägt sind als in Ostdeutschland und, was wir auch schon lange wussten, dass es einzelnen Bundesländer gibt, die hinsichtlich auch spezifischer rechtsextremer Einstellungen, sich zum Beispiel mit Mecklenburg-Vorpommern messen können.

Schlesinger: Zum Beispiel?

Decker: Bayern hat einen Anteil an Ausländerfeindlichkeit, der genauso ausgeprägt ist, wie Mecklenburg-Vorpommern.

Schlesinger: Nun sagt des Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner, der Schwerpunkt rechter Gewalt liege im Osten. Muss generell ein Unterschied gemacht werden zwischen einem rechtsextremen Weltbild und dem Schritt hin zur Gewalt?

Decker: Ja, Sie haben völlig recht, wir unterscheiden generell zwischen Einstellung und Handlung. Die Einstellung und die Handlung müssen nicht zusammenhängen. Beim Rechtsextremismus sagen wir, es gibt eine rechtsextreme Einstellung, die haben wir untersucht und es gibt rechtsextreme Handlungen, dazu zählen wir natürlich auch Wahlverhalten und es gibt rechtsextreme Gewalt. Und da können wir sagen, ja, die tritt im Osten deutlicher hervor, die ist deutlich mehr zu beobachten, allerdings, muss ich jetzt auch dazu sagen, die haben wir in der Studie nicht untersucht. Wir haben uns auf rechtsextreme Einstellungen beschränkt.

Schlesinger: Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück, an den Anfang der Studie im Grunde genommen. Wie genau definieren Sie Rechtsextremismus?

Decker: Wir haben eine operante Definition, das heißt, dass wir vorher ein Instrument entwickelt haben in einer Expertenkonferenz, einen Fragebogen entwickelt haben, der Bereiche abfragt, die wir als Elemente des Rechtsextremismus definiert haben. Das ist Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, das sind Nationalismus oder Chauvinismus, Sozialdarwinismus, die Verherrlichung des Nationalsozialismus, also Nazi-Deutschlands, und die Zustimmung zu einer rechtsgerichteten Diktatur. Diese Dimensionen, haben wir gesagt, sind Elemente, also Unterdimensionen des Rechtsextremismus und wir haben jeweils Fragen zu diesen Dimensionen entwickelt und geschaut, wie ist die Zustimmung zu diesen Aussagen. Das sind Aussagen wie " die Juden haben etwas eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns" und wir haben dann die Probanden gefragt, stimmen Sie dieser Aussage zu oder lehnen Sie diese Aussage ab? Und diejenigen, die allen Aussagen - das sind insgesamt 18- zu allen Dimensionen zustimmen, die bezeichnen wir als Rechtsextreme mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild.

Schlesinger: Und Sie haben so konkret gefragt?

Decker: Ja, das verwundert jeden. Das macht es ja auch umso brisanter. Wir dürfen nicht vergessen, die Werte, die wir im Wesentlichen jetzt auch mit vorstellen, das sind Zustimmungswerte, die sind schon eklatant hoch bei der Ausländerfeindlichkeit 30 Prozent.

Schlesinger: Das heißt, rechtsextremes Gedankengut ist kein Randphänomen. Ihrer Studie ist ja auch überschrieben mit dem Titel " Vom Rand zur Mitte".

Decker: Genau, wir haben festgestellt, dass der Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft steht. Der Begriff Rechtsextremismus ist in dem Punkt irreführend, weil er suggeriert, es gäbe eine Mitte, von der sich der Extremismus abgrenzen lässt. In unserem Zusammenhang überdeckt er etwas, nämlich dass es nicht ein Problem der Ränder ist, sondern einer der Mitte und wir haben das auch gemerkt, wenn man zum Beispiel fragt nach Gewerkschaftsmitgliedern, nach Parteipräferenzen, nach Kirchenzugehörigkeit, dass dort auf keinen Fall weniger, auf einigen Dimensionen sogar mehr extremistische Positionen eingenommen werden, also wirklich in der Mitte der Gesellschaft die Positionen mehrheitsfähig sind und akzeptiert sind.

Schlesinger: Ich möchte noch eine weitere Zahl anführen, ein weiteres Ergebnis Ihrer Studie: 26 Prozent wünschen eine einzige, die Volksgemeinschaft verkörpernde Partei. Wie kommt man zu solch einem Ergebnis - auch durch eine konkrete Frage?

Decker: Das ist die Frage die wir gestellt haben, das ist die Aussage. Die Problanden werden gefragt, ...

Schlesinger: ... das heißt bei einem Viertel der Deutschen hat die Erziehung zu demokratischem Denken nichts gebracht, hat hier nicht gefruchtet? Denn das ist doch die Aussage, dass sie kein Mehrparteiensystem wollen.

Decker: Ja, man kann sagen, dass hier sich auch ein Scheitern bestimmter Erziehungsinstitutionen zeigt und ich denke, dass hängt auch damit zusammen, dass es nicht viel bringt, Demokratie als Inhalt zu lehren, wenn Demokratie nicht auch erfahrbar ist. Wenn man nicht erfahren hat, dass Demokratie funktioniert, dann bringt es auch nichts, wenn in den Schulbüchern drinsteht, dass Demokratie funktioniert, auch die Schule muss demokratisiert werden, viel stärker, als das bisher passiert ist.

Wichtig ist in dem Zusammenhang auch, dass das Bewusstsein und die Erkenntnis, wie eng dieses Denken einer Volksgemeinschaft, die ein Interesse hat und das dann von einer Partei vertreten werden kann, dass da gar kein Bewusstsein existiert, wie anti-demokratisch dieses Denken tatsächlich ist und es gibt einen Hinweis auch darauf, wie schwierig es ist, auszuhalten, also dass Demokratie auch etwas ist, was ausgehalten werden muss, dass es unterschiedliche Interessen gibt, die sich nicht sofort auf einen Nenner bringen lassen und dass das aber etwas ist, was vielen Menschen fremd ist und da gibt es tatsächlich dann auch Defizite.

Schlesinger: Ich möchte trotzdem noch einmal kurz auf Ihre Verfahrensweise bei der Fragestellung eingehen. War das eine von Angesicht zu Angesicht durchgeführte Befragung?

Decker: Das sind Interviews, die geführt worden sind, mit 5.000 Probanden.

Schlesinger: Und dort haben Sie die Frage gestellt, "Wünschen Sie sich eine einzige, die Volksgemeinschaft verkörpernde Partei " und ein Viertel der Leute hat ja gesagt?

Decker: So ist es. Also ich verstehe Ihr Erstaunen ...

Schlesinger: ... Ich bin wirklich verblüfft.

Decker: Also das geht jedem so, der die Fragen liest. Auch die Frage, was ich eben schon erwähnt habe, "die Juden haben etwas Besonderes an sich und passen nicht zu uns". Das sind Aussagen, die die Zustimmung der Leute im Angesicht mit dem Interviewer finden, das heißt, die halten das für etwas, was man sagen kann. Das skandalisiert das noch etwas mehr. Und das bedeutet auch, es gibt gar kein, wenn man so will, Problembewusstsein, also es ist eine legitime Position.

Und hier muss man sagen, das ist eine Verantwortung der demokratischen Parteien und in dieser Phase, in der wir uns befinden, muss eine inhaltliche Abgrenzung gegenüber rechtsextremen Parteien dringend vollzogen werden und in zukünftigen Aussagen müssen sich die Vertreter wirklich sehr genau überlegen, ob sie durch weitere populistische Übernahmen von rechtsextremen Aussagen bloß in der Idee, die Wählerschichten an sich zu binden, diese legitimieren. Denn wie soll man klar machen, dass das anti-demokratische Inhalte sind, wenn sie von Vertretern demokratischer Parteien genauso vertreten werden?

Hier muss eine ganz klare inhaltliche Abgrenzung vollzogen werden, ansonsten ist es absehbar, dass die rechtsradikalten Parteien, die rechtsextremen Parteien auch den Einzug in viel mehr Landtage schaffen und auch perspektivisch ganze Landstriche übernehmen. Das ist ja deren Strategie.