Rechtsextreme nutzen neue Kanäle

Dierk Borstel im Gespräch mit Ulrike Timm · 20.01.2012
Sie bloggen, twittern und sind auf Facebook präsent: Rechtsextreme entdecken die sozialen Netzwerke für sich. Besonders beliebt: spontan über das Internet verabredete Fackelzüge. Auf diese Weise, so Extremismusforscher Dierk Borstel, sollen neue Zielgruppen erschlossen werden.
Ulrike Timm: Nazi-Flashmobs, blitzschnell übers Netz organisierte Fackelzüge, die ebenso geisterhaft wieder verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. Dierk Borstel ist Politologe und Rechtsextremismus-Experte, er hat sich besonders mit den Netzaktivitäten von Neonazis beschäftigt und besucht uns jetzt im Studio. Schönen guten Tag!

Dierk Borstel: Schönen guten Tag!

Timm: Herr Borstel, haben denn solche Flashmobs die große Aufmärsche schon abgelöst, die ja glücklicherweise nicht mehr so gut funktionieren wie noch vor ein paar Jahren, weil es immer mehr Proteste gibt?

Borstel: Also abgelöst würde ich nicht sagen, aber es ist schon eine Reihenfolge erkennbar. Die letzten Großdemos, also Wunsiedel, Dortmund und Dresden zum Beispiel, wurden ja wahlweise verboten oder waren ziemliche Pleiten für die rechtsextreme Szene. Und die rechtsextreme Szene musste darauf reagieren, vor allem musste sie darauf reagieren, die eigenen Truppen wieder zusammenzuhalten. Und da sind diese kleineren Demonstrationen, die ein enormes Machtpotenzial auch offenbaren, also die zeigen sollen, die Straße, das ist unsere, wir bekämpfen euch, ihr erkennt uns nicht, wir sind doch eine Masse hinter diesen weißen Massen – das ist schon eine Folge dieser sozusagen Pleitenserie der Großdemonstration. Aber abgelöst ist noch zu früh, mit den Großdemos werden wir es weiter zu tun haben, das sollten wir auch nicht vernachlässigen.

Timm: Auf den ersten Blick wirkt das Motto ja gar nicht so martialisch, sondern eher verträumt: Werde unsterblich. Darüber denkt jeder Teenager irgendwann mal nach. Jetzt wird das zum Motto bei den Neonazis – wen zieht das an?

Borstel: Das zieht vor allem natürlich jüngere Leute an, und das hat auch so einen leicht mystischen Charakter. Die erste Gruppe, die das ja organisiert hat, nannte sich ja auch Spreelichter, da war ja auch das Licht drin, also lichte Sonne, werde unsterblich. Das sind ja auch Begrifflichkeiten, die zum Beispiel in der Esoterik, aber auch in Teilen von theologischen Debatten immer wieder auftauchen. Und das sind Jugendliche auf der großen Sinnsuche, die eben nicht nur den politischen Pragmatismus wollen, sondern die auch tatsächlich für sich einen Sinn suchen in ihrem Leben und sagen, also als klarer Rassist – und darum geht’s ja innerhalb dieser ganzen Bewegung – bin ich sozusagen auch etwas Besseres, also ich erkenne mich selber da drin, ich habe ein Ziel, ich werde unsterblich. Also das hat so einen ideologischen Überbau, den gab es allerdings in der rechtsextremen Szene auch immer schon, das wurde manchmal so ein bisschen vernachlässigt. Den gab es ja auch im historischen Nationalsozialismus, wenn man sich mal an Himmler zum Beispiel erinnert und die ganzen Fragen mit Germanentum zum Beispiel, mit der nordischen Mythologie, also auf solcher sozusagen Tradition fußt das Ganze auch und setzt es halt in einer sehr jugendkulturell modernisierten Form neu um.

Timm: Ist die Verbrämung der Trick, denn bei "sei unsterblich" denkt man nicht automatisch sofort an die Nazizeit, an Hitler, an Himmler, an Großmärsche, sondern man denkt auch an einen persönlichen Traum, der ja da furchtbar perfide mit benutzt wird.

Borstel: Ja, selbstverständlich, also das soll auch anschlussfähig sein. Und wenn man zum Beispiel den Gründern dieser Bewegung mal zuhört, dann sagen die auch, also der klassische Rechtsextremismus mit den Kameradschaften, die dann auch ästhetischer geprägt waren, mit den Stiefeln, mit den Glatzköpfen, das hat sich überholt, weil das nicht anschlussfähig war. Also haben die überlegt, welche neuen Formen, welche neuen Begrifflichkeiten, auch positive Begrifflichkeiten, können wir denn finden, um für ihre Bewegung neue Personen auch an sich zu binden und gerade halt auch neue Personen, die internetaffin sind, die jugendkulturell unterwegs sind, also auch eine ganz neue Generation an ein an sich ja sehr altes Theorem anzuschließen. Das war der Sinn dieser ganzen Bewegung.

Timm: Wie sind denn die Netzauftritte gestaltet, um solche Menschen noch besonders anzusprechen und auch erst mal das eigentliche Ziel vielleicht zu verbrämen?

Borstel: Na ja, die Netzauftritte, erst mal sind die hochprofessionell und sie sind eigentlich gar nicht so ausführlich. Frühere rechtsextreme Seiten hatten oft 30, 40, 50 Unterseiten, das finden Sie bei den zentralen Kampagnenseiten heute nicht mehr, sondern die haben kurze, knackige Texte, die direkt ansprechen. Also man wird geduzt, man wird angesprochen – du hast uns gesehen, du hast Fragen, wir beantworten sie dir –, und es sind natürlich, wie es eben auch schon im Vorbericht hieß – hochmoderne Videos einfach und in sehr, sehr schneller Zeit auch ins Internet gestellt. Also man zeigt damit, man geht mit der Zeit, man ist eine moderne Bewegung, und drückt das auch in diesen Seiten aus. Und diese Seiten sprechen natürlich vor allem Jugendliche, junge Leute an, Leute, die auf der Sinnsuche sind, und es sind eben nicht mehr die alten Begrifflichkeiten. Also es ist nicht mehr so der alte Nationalsozialismus, der sofort einem so ins Gesicht sprang und dann irgendwie abschreckend war, sondern man arbeitet zum Beispiel auch mit vielen Fragen – also welche Fragen bewegen dich, was willst du in deinem Leben werden, wie siehst du dieses oder jenes, und wir geben dir Antworten. Und das schafft natürlich neue Anschlüsse und schafft auch neue Debattenkulturen, die dort gepflegt werden.

Timm: Wie weit reichen denn diese neuen Netzwerke ins bestehende rechtsextreme Milieu, das Sie eben so mit "alter Nationalsozialismus" beschrieben haben, wie weit reichen denn diese neuen Netzwerke da schon hinein? Wie verzahnt sich das?

Borstel: Das verzahnt sich relativ eng. Man muss ja auch sagen, dass diese neuen Netzwerke ja sehr internetaffin sind. Und wenn man sich aber die Personen anguckt, die nun diesen Internetauftritt gestalten, sind das Personen, die zum Teil schon seit 20 Jahren in der rechtsextremen Szene unterwegs sind. Also es sind jetzt nicht irgendwie völlig neue Personen, die wir gar nicht kennen oder zu Gesicht bekommen haben. Von daher gibt es eine enge Verzahnung zwischen der realen Präsenz vor Ort, diesen Internetauftritten und dann diesen symbolhaften Auftritten, also in Bautzen, in Stolpen und wie die anderen Orte hießen. Also da gibt es eine klare Schnittmenge, das ist einfach eine neue zusätzliche Form innerhalb dieser pluralistischen verschiedenen Formen des Rechtsextremismus – wo es die Parteien gibt, die Kameradschaften und jetzt eben auch diese neuen Internetauftritte.

Timm: Das gemeinsame Auftreten in einer bestimmten martialischen Kleidung ist ja lange bekannt bei Neonazis. Der Blitzauftritt mit geheimnisvollen, auch schwer definierbaren Masken ist mir zumindest ziemlich neu gewesen. Wie lesen Sie das, wie lesen Sie solche Symbole?

Borstel: Na, ich würde sie auch ein bisschen weiter vielleicht lesen. Also diese Masken haben ja den großen Vorteil, dass man das Gesicht nicht erkennt, also man verschwindet selber im Kollektiv zum Beispiel. Und dieser Kollektivgedanke ist nun wieder im Rechtsextremismus ein sehr wichtiger, weil da geht es um die Darstellung des Volkes oder, wie die Rechtsextremisten sagen, des Volkskörpers. Also man symbolisiert damit sozusagen, dass der Einzelne nicht wichtig ist, sondern man ist Teil einer großen Bewegung. Untertext davon ist natürlich: Hinter einer Maske werde ich nicht erkannt. Das heißt, ich kann auch mehr Sachen sagen, ich werde nicht unbedingt strafrechtlich verfolgt, weil niemand beweisen kann, dass nun gerade diese oder jene Person Folgendes gesagt hat. Also es hat auch mit Repression zu tun.

Es gibt aber auch Anschlüsse, also es gibt Anschlüsse zum Beispiel auch im internationalen Terrorismus. Also die Ersten, die mit genau diesen selben Masken gearbeitet haben, war die ETA, die baskische Terrororganisation. Und diese Videos der ETA sind auch auf den Seiten der Rechtsextremisten zu finden, das heißt, man hat sich da offensichtlich einmal orientiert, wie machen das eigentlich andere im Partisanenkampf, im Revolutionskampf.

Timm: Die Absprache findet eben statt blitzschnell übers Internet – was da einmal drin steht, kommt schwer wieder raus, selbst wenn man Seiten verbietet und zu sperren versucht. Wären solche Auftritte nicht ein gefundenes Fressen für jeden demokratisch gesinnten Hacker, sind die da irgendwie aktiv, solche Seiten zu torpedieren, oder hat man keine Chance?

Borstel: Ich glaube, dass es anders läuft. Also wenn man zum Beispiel mit Aussteigern spricht – wobei, jetzt unmittelbar aus dieser Szene kenne ich jetzt keinen, aber die mit diesen Szenen, mit diesen Personen zu tun haben –, dann ist es nicht so ein klassischer Flashmob, wo man was twittert oder reinschreibt und jeder kann das lesen – es soll ja gerade eben nicht so sein –, sondern das ist eine klandestine Struktur, eine Geheimstruktur. Es sind eher sozusagen vertrauliche Verteiler, viel übers Handy, also mit einer direkten Kommunikation, wo eben Staat und Demokraten und Hacker auch nicht unbedingt rankommen. Also man darf sich das nicht so vorstellen wie die Flashmobs von, weiß ich, Studenten oder von Liebespaaren, die sich küssen wollen oder so, es ist schon eine andere Form. Man soll es eben nicht lesen, und der Überraschungseffekt, der ist eben sehr wichtig. Und das hat ja auch funktioniert. Also offensichtlich haben die staatlichen Stellen keinen Zugriff gehabt zu den Informationen über diese Veranstaltung, das finde ich auch durchaus erschreckend, bei der Anzahl der Menschen.

Timm: Dierk Borstel über neuartige Blitztreffen von Neonazis. Ich danke Ihnen sehr für Ihren Besuch hier im Studio!

Borstel: Danke schön!


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