Rechnet sich der deutsche Film?

Prämiert, ignoriert und unterfinanziert

Das Filmteam von "Toni Erdmann" um Schauspieler Peter Simonischek (M.), Regisseurin Maren Ade (3. v. r.) und Schauspielerin Sandra Hüller (2. v. r.).
Das Filmteam von "Toni Erdmann" um Schauspieler Peter Simonischek (M.), Regisseurin Maren Ade (3. v. r.) und Schauspielerin Sandra Hüller (2. v. r.). © picture alliance / dpa / Hubert Boesl
Von Jörg Taszman · 07.02.2017
Der Erfolg von "Toni Erdmann" tut dem gesamten deutschen Kino gut. Aber macht das schon die vielen Defizite der hiesigen Filmbranche wett? Eine Zustandsbeschreibung und ein Ausblick zur Berlinale.
"Sag mal, spinnst du? Willst du mich fertig machen oder was? Papa ich rede mit dir!"
"Also wenn es um Ihren Vater geht, da bin ich nicht der Richtige. Aber wenn Sie Ihr Charisma ausbauen wollen, oder wenn Sie merken, dass Sie anfangen zu telefonieren, obwohl niemand dran ist, dann können Sie mich gerne kontaktieren. Jederzeit."
Und wieder "Toni Erdmann", DIE deutsche Film-Lokomotive im Jahr 2016 und ein Film, der die deutsche Filmbranche in seltener Einmütigkeit vereint. Egal ob Filmförderer, Produzenten oder Journalisten: Alle jubeln.
Egal ob der Film einfach nur gut, frisch und überraschend anders ist oder wirklich das große Meisterwerk des neuen Jahrtausends, der Erfolg tut dem gesamten deutschen Kino gut. Aber macht ein Film, dazu aus dem Arthouse-Bereich, der in Deutschland einen bescheidenen Marktanteil von etwa 12 Prozent am großen Kinokuchen hält, schon die vielen Defizite des deutschen Kinos wett?
Das Kinojahr 2016 schrieb enttäuschende Zahlen. Nur noch knapp 120 Millionen Zuschauer kamen in die deutschen Kinos. Das war ein Minus von etwa 15 Prozent. Obwohl Deutschland das größte Land Europas ist, gehen Italiener, Briten oder Franzosen nicht nur viel lieber in ihre eigenen Filme, auch die absoluten Zahlen liegen in Großbritannien bei über 168 Millionen und in Frankreich, der Nummer 1 in Europa, bei über 200 Millionen Kinobesuchern. Auch der Marktanteil für den einheimischen Film fiel auf unter 20 Prozent. In wesentlich kleineren Nachbarländern wie Polen oder Tschechien ist dieser Marktanteil höher, in Dänemark liegt er sogar bei 33 Prozent. In der Top 100 der Kinocharts in Deutschland belegt "Toni Erdmann" mit über 800.000 Zuschauern übrigens nur Rang 40!
Nur drei deutsche Filme schafften es überhaupt in die Top 20. "Willkommen bei den Hartmanns", der erfolgreichste deutschsprachige Film des Jahres, mit 3,5 Millionen Zuschauern auf Platz 5, "Bibi und Tina - Mädchen gegen Jungs" auf Platz 12 und "Der geilste Tag" auf Platz 15. Hollywood dominiert in Deutschland mehr als anderswo den Massengeschmack. Neun von zehn Filmen in der Top 10 kommen aus den USA.

Die Filmabgabe zahlen Kinobesucher und DVD-Käufer

Wenn Europa mit den übermächtigen amerikanischen Filmen überhaupt mithalten kann, liegt das am System der Filmförderung. Deutsche und europäische Produzenten wären sonst nicht in der Lage, die nötigen Gelder für die Produktion von Filmen aufzutreiben. Ohne Filmförderung kämen vermutlich nur wenige, entweder rein auf Kommerz ausgerichtete Filme oder vom Fernsehgeschmack dominierte Produktionen auf die Leinwände. Die Filmförderung ist in Deutschland einerseits regional: Die Bundesländer fördern Filme mit eigenen Geldern und anderseits national mit der FFA, der Filmförderungsanstalt. Ihr Vorsitzender Peter Dinges führt in die Fördermaterie ein:
"Wir sind verantwortlich für die Förderung des deutschen Kinofilms. Darüber hinaus sind wir eine Wirtschaftsförderung mit einem kulturellen Nebenschwerpunkt. Denn Kultur und Wirtschaft lassen sich beim Film bekanntermaßen nicht trennen. Die FFA finanziert sich nicht aus Steuermitteln, sondern wir finanzieren uns über eine sogenannte Filmabgabe, die jeder Kinobesucher, Fernsehzuschauer, Home-Entertainment-Fan über den Erwerb einer DVD oder aber durch seinen Kinobesuch an die FFA leistet."
Die Einnahmen pro Jahr schwanken. In erfolgreichen Jahren sind es 100 Millionen Euro, in weniger erfolgreichen Jahren dagegen nur um die 70 Millionen. Genauere Zahlen kommen von Manuela Stehr. Sie ist Produzentin und Vorstandsmitglied beim X-Filme Verleih in Berlin:
"Richtige Filmförderung haben wir in Deutschland 390 Millionen. In Frankreich 830. Jetzt haben wir 80 Millionen Einwohner, die aber nur 60, das kommt noch dazu. Also nur um einmal einen kleinen Vergleich zu ziehen zu unserem Nachbarn."
Barbara Sukowa, Josef Hader, Maria Schrader, Aenne Schwarz, Andre Szymanski und Lenn Kudrjawizki bei der Premiere des Kinofilms "Vor der Morgenröte" im Delphi Filmpalast, Berlin.
Barbara Sukowa, Josef Hader, Maria Schrader, Aenne Schwarz, Andre Szymanski und Lenn Kudrjawizki bei der Premiere des Kinofilms "Vor der Morgenröte" im Delphi Filmpalast, Berlin.© imago stock&people
Manuela Stehr und X-Filme haben gleich zwei der erfolgreichsten Arthouse-Filme des Jahres mit Frankreich produziert. François Ozons "Frantz" und Maria Schraders "Vor der Morgenröte". Frankreich ist nicht nur für Arthouse-Freunde das Schlaraffenland des europäischen Kinos. Dort gibt es professionellere Strukturen, viel mehr Protektionismus, deutlich mehr Geld und vor allem eine größere gesellschaftliche Akzeptanz, die sich durch viel mehr Zuschauer ausdrückt. Peter Dinges von der Filmförderungsanstalt kennt den französischen Markt sehr gut:
"Wenn wir Frankreich ansehen, dann sehen wir ein 70 Jahre altes System, das natürlich im besten Sinne beschützend angelegt ist für seine Filmemacher, mit sehr viel Geld kreiert und auch gesellschaftlich von einer Akzeptanz, wie wir sie in Deutschland natürlich nicht in der Art und Weise haben. Hinzu kommt, dass seit den 70er-Jahren eine Aufbauarbeit betrieben worden ist mit französischem Starkult, mit Schauspielern, mit der Markenbildung des französischen Films, wie es in Deutschland, dem damaligen Westdeutschland, der BRD nie stattgefunden hat."
Die FFA hat mit Frankreich auch mehrere bilaterale Förderprogramme auf den Weg gebracht. Davon profitierten auch die deutschen Produzenten Benny Drechsel und Karsten Stöter von rohfilm, die unter anderem "Der junge Karl Marx" koproduzierten, der seine Weltpremiere auf der Berlinale erlebt und vom Verleih Neue Visionen Anfang März auf über 300 Leinwänden in den deutschen Kinos startet.
"Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Die Bourgeoisie und das Proletariat."
"Und, zufrieden Karl?"
"Was hätte ich denn tun sollen? Den Mund halten? Mich zensieren lassen? Mich mit Anspielungen begnügen? So wie ihr das macht?"
Neun Millionen Euro hat diese französisch-belgisch-deutsche Koproduktion gekostet, und das Geld aus Deutschland kam sehr lange nicht. Der in Paris lebende und aus Haiti stammende Regisseur Raoul Peck, der in den 70er-Jahren an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin studierte, war schon kurz davor, das Projekt nur auf Französisch zu drehen. Dann sprang jedoch mit der MDM, der Mitteldeutschen Medienförderung endlich ein deutscher Förderer ein. Später kam auch noch die Bundesförderung hinzu. Karsten Stöter ist einer der beiden deutschen Produzenten:
"Der Unterschied zwischen Länderförderungen und Bundesförderungen ist, dass im wesentlichen die Bundesförderungen freies Geld sind. Das heißt, ich kann es überall einsetzen. Ich kann es in Deutschland einsetzen. Ich kann es aber auch im Ausland einsetzen. Die Länderförderung dagegen legt ein starkes Augenmerk darauf, dass es wirklich in ihrer Region ausgegeben wird. Es kommt also nicht wirklich auf den kulturellen Aspekt an, sondern wie viel Geld wird wirklich in unserer Region ausgegeben."
Auch wenn der "Der junge Karl Marx" in Paris, Brüssel und Manchester spielt, wurden große Teile der Produktion im sächsischen Görlitz gedreht, weil das Geld von der MDM kam, die die Fördergelder der Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen verwaltet. So sind die Produzenten gezwungen, entweder in den Bundesländern zu drehen, die fördern oder dort die Postproduktion stattfinden zu lassen und Teammitglieder zu engagieren, die aus der betreffenden Region kommen. Eine Vorbedingung für eine Kinoprojektförderung ist oft auch, dass sich ein deutscher Verleih bereit erklärt, auf Drehbuchbasis den Film in die Kinos zu bringen. Das war im Fall von "Der junge Karl Marx" Torsten Frehse von Neue Visionen Filmverleih:
"Es ist bei einigen deutschen Filmförderungen eine Voraussetzung, dass der Film einen Filmverleih haben muss. Zum einen kann man es verstehen, weil die Förderungen sagen, wozu sollen sie für die Schublade produzieren, wenn der Film nicht einmal in die Kinos kommt. Auf der anderen Seite sagen wir manchmal: Dann entscheidet doch einfach selbst. Ihr seid doch die Experten. Dann verlagert doch nicht die Entscheidung, ob die Filme gut sind oder nicht, auf uns."

Filmförderung ist kompliziert und bürokratisch

Anhand dieses Beispiels an nur einem Film wird deutlich, wie langwierig, kompliziert und bürokratisch die deutsche Filmförderung ist. Und es gibt natürlich nicht nur die Projektförderung für Filme, die noch gedreht werden müssen, sondern auch die Verleihförderung, die den Kinostart manchmal auch Marketingkosten und den DVD-Start eines Filmes unterstützen. Die Verleihförderung bei "Der junge Karl Marx" fällt mit 50.000 Euro relativ bescheiden aus.
Wie essentiell und vielfältig die FFA Filme unterstützt, lässt sich ganz gut am Beispiel von "Toni Erdmann" demonstrieren. Man unterstützte die Phasen Pre-Production und Produktion mit weit über 400.000 Euro. Der Verleih bekam für Marketing und zusätzlich als Verleihförderung 375.000 Euro, und es gab zusätzliche Gelder für die DVD- und VOD-Auswertung. Insgesamt unterstützte die FFA also "Toni Erdmann" mit einer Gesamtsumme von 927.070 Euro.
Nun ist Filmförderung in Deutschland im Erfolgsfall zurückzuzahlen. Ab wann ist der Film dann für einen Verleiher wie Neue Visionen ein Erfolg? Torsten Frehse:
"Wenn ein Film richtig gut läuft, dann muss die Förderung ja zurückgezahlt werden. Die Förderung ist ja kein Geschenk, sondern ein bedingt rückzahlbares Darlehen, und wenn ein Film wirklich gut läuft, dann wird erst einmal die zurückgezahlt. Und dann gilt ja ein Film eigentlich schon als wirtschaftlich. Für uns macht es eigentlich gar keinen Unterschied, ob der Film, nachdem er die Förderung zurückgezahlt hat, besonders gut läuft oder noch mal besser läuft oder ganz schlecht läuft. International gibt es viele Verträge, die sind fifty/fifty cost of the tops, das heißt, als erstes werden die Vorkosten wieder eingenommen und danach wird der Gewinn 50/50 geteilt. Beim deutschen Filmgesetz ist es so, dass der Verleiher höchstens 35 Prozent kriegen darf."
Torsten Frehse spricht damit ein Problem an, dass deutsche Produzenten bevorteilt und die Verleiher benachteiligt. So ist es lukrativer, für einen deutschen Verleiher wie Neue Visionen eine französische Komödie wie "Monsieur Claude und seine Töchter" zu verleihen, weil man vom Gewinn immerhin die Hälfte abbekommt und nicht nur ein Drittel. Eine weitere Schwäche des deutschen Filmförderungsdschungels ist die gut gemeinte Föderalität mit den berüchtigten Regionaleffekten. Positiv ist sicherlich, dass Produzenten mehrere Möglichkeiten haben, ihre Filme zu finanzieren. Wirtschaftlich ist das jedoch nicht, wenn man gezwungen ist, sein Geld dort auszugeben, wo die Förderer sitzen. Das betont auch Karsten Stöter, der viele internationale Koproduktionen in Deutschland dreht:
"Die Ausländer haben mit diesem von den regionalen Filmförderern eingeführten System natürlich ein großes Problem. Die können das oft nicht verstehen, dass wir, wenn wir in einem Film vier Länderförderer haben, vier verschiedene Regionen bedienen müssen und es manchmal dann zu einem logistischen Meisterwerk werden muss, was wir dann im Produktionsbüro leisten müssen, weil man jede einzelne Betriebsausgabe auf verschiedene Länder aufteilen muss, was manchmal wirklich nicht im Sinne des Projektes ist und auch nicht im Sinne des Budgets."
Das führt auch zu einem Standortnachteil, wenn es darum geht, große und teure internationale Produktionen oder Koproduktionen nach Deutschland zu holen. In Ländern wie Tschechien oder Ungarn funktioniert ein ganz einfaches Steuer-Abschreibungsmodell. Der Produzent bekommt über 25 Prozent seiner Vorkosten wieder vom Staat zurück. Manuela Stehr bringt präzise auf den Punkt, warum das in Deutschland so nicht funktioniert:
"Es gibt hier nicht wie in Frankreich einen Zentralismus, der sagt, das wird jetzt so und so gemacht, sondern hier müssen die einzelnen Länder mitreden. Und die einzelnen Länder − deshalb haben sie auch ihre kleineren oder größeren Länderfilmförderungen − haben natürlich das Interesse, dass bei ihnen und nur dort vor Ort etwas passiert. Deshalb findet man da nicht soviel Zuspruch in den Ländern und deshalb ist es politisch schwer umzusetzen, weil vernunftmäßig, rechnerisch, logisch im Konkurrenzkampf zu unserer Umgebung und natürlich Studio Babelsberg nach vorne, liegt das natürlich alles auf der Hand."
Hinter der Kamera sieht man unscharf eine Puppe, die Marlene Dietrich in ihrer Rolle der Lola in "Der blaue Engel" darstellt, sowie andere Requisiten.
Eine Defa-Filmkamera steht im Requisitenlager auf dem Filmstudiogelände Babelsberg in Potsdam , aufgenommen am 27.09.2011. © dpa
Babelsberg vor den Toren Berlins. Hier haben einst die großen Regisseure in der Weimarer Republik gedreht von Fritz Lang über Ernst Lubitsch und Friedrich Wilhelm Murnau. Hier feierte auch der Tonfilm seine ersten Erfolge und mit Marlene Dietrich und Josef von Sternbergs "Der blaue Engel" wurde aus Deutschland Filmgeschichte geschrieben. Noch heute stehen im Potsdamer Ortsteil die größten deutschen Filmstudios. Der Geschäftsführer von Studio Babelsberg Carl Woebcken steht in der Marlene-Dietrich-Halle:
"Als letztes waren wir hier mit 'Jim Knopf und die Lokomotive' und haben hier den Palast von Mandala nachgebaut. Im Moment hört man ja hallt es sehr. Die Studios sind leider leer, aber ich hoffe, dass es bald wieder voll ist mit Sets."
Babelsberg ist die größte deutsche Studioanlage mit über 20 Filmstudios nur für Kinoproduktionen. Zu den großen Hollywoodfilmen der letzten Jahren, die hier gedreht wurden, gehörten u.a. "Inglorious Basterds" von Quentin Tarantino mit einer ganzen Riege deutscher Charakterdarsteller um Christoph Walz, Daniel Brühl, August Diehl oder Alexander Fehling, die seitdem regelmäßig in internationalen Produktionen mitwirken. Als einer der letzten deutschen Regisseure war Wolfgang Petersen mit "Vier gegen die Bank" in Babelsberg, baute aber nur ein kleines Set und blieb kurz. Viele deutsche Produzenten scheuen die großen Filmstudios. Das ist natürlich auch eine Kostenfrage:
"Es ist natürlich ein enormer Wirtschaftsfaktor für die Region und für Berlin, weil die ganzen Crews darauf arbeiten können, also nicht nur die Crews, auch die filmtechnischen Betriebe, die ihre Leistungen hier erbringen, haben natürlich alle Personal. Insgesamt sind das 80 Prozent und wenn 100 Millionen ausgegeben werden, sind das 80 Millionen Personalkosten. Das ist ein Unterschied zu zwei Millionen. Also der typische deutsche Film hat ja ein Budget von zwei bis drei Millionen und da fangen wir eigentlich noch nicht an. Wir fangen erst an bei zehn Millionen Euro, weil sich dann in der Regel erst eine Struktur ergibt, mit der so ein Studio Sinn macht."

Kaum Genrewerke im deutschen Kino

Insgesamt mangelt es dem deutschen Film vor allem an Geld. Die Budgets sind im internationalen Vergleich eher niedrig und so kann sich das deutsche Kino kaum Genrewerke wie Action-, Katastrophen- oder Historienkino leisten. Wie steht es um die Finanzierung? Passen wir uns bereits dem Weltmarktrend an? Das sehen Produzenten wie Karsten Stöter und Manuela Stehr, der Förderer Peter Dinges und der Studiochef Carl Woebcken ambivalent und unterschiedlich.
Peter Dinges: "Und so sind, wenn ich mir mal die Durchschnittsbudgets der letzten Jahre so angucke, die Durchschnittsbudgets in Deutschland gestiegen und zwar immer mehr."
Carl Woebcken: "Die meisten deutschen Filme drehen ja an Originalschauplätzen und nicht im Studio, weil das wie gesagt einfach zu teuer ist."
Peter Dinges: "Mittlerweile sind wir bei den Langfilmen bei einem Budget von über 6 Millionen Euro angekommen. Das ist ein europäischer Spitzenwert."
Karsten Stöter: "Wenn wir uns mit Frankreich vergleichen ist der deutsche Film unterbudgetiert. Ja."
Carl Woebcken: "Ein Studiobetrieb wie unserer, der kann von deutschen Produktionen nicht überleben. Da müssten wir das Studio einstampfen."
Manuela Stehr: "Im Prinzip gibt es viel zu wenig Geld für Filme, weil sie sich total wirtschaftlich und effektiv auszahlen für ein Land."
Auch wenn die Kulturstaatsministerin, also das BKM, und Institutionen wie die FFA naturgemäß die staatliche Unterstützung schon deshalb für ausreichend halten, weil sie in den vergangenen Jahren erhöht wurde, kann der deutsche Film auf Dauer international so nicht mithalten. Die zu niedrigen Budgets führen dazu, dass Produzenten an Drehtagen sparen, man keine Zeit für Proben hat und sich aufwändige Bauten oder Dreharbeiten in Filmstudios nicht leisten kann. Deutschland hat im Vergleich zu Frankreich einfach keine wirkliche Filmindustrie. Filmberufe sind nicht geschützt, und es werden in vielen Bereichen viel zu niedrige Löhne gezahlt. Nur durch ein Heer von schlecht oder gar nicht bezahlten Praktikanten lassen sich die Defizite nicht auffangen.
Welche Filme funktionieren in welchen Märkten? Peter Herrmann von German Films, der Organisation, die deutsche Filme im Ausland fördert, weiß mehr:
"Es gibt die Komödien, die deutschen, die sich in der Regel schlecht exportieren. Diese Filme werden in ein paar Ländern, im ehemaligen Ostblock geschätzt, aber sonst nicht so sehr. Es gibt das sehr künstlerische Arthouse. Da ist dank 'Toni Erdmann' jetzt eine andere Situation, aber da war der deutsche Film nicht ausreichend vertreten, nach meiner Meinung für das, was hier gemacht wird. Und es gab früher einmal einen Crossover-Bereich, und der ist in den letzten Jahren ziemlich verschwunden. Das ist richtig."
Ein Erfolgsrezept für den deutschen Film im Ausland gibt es nicht. Bedenken muss man einfach die Unterschiedlichkeit der einzelnen Märkte. Weder in den USA noch in Großbritannien oder Skandinavien werden Filme synchronisiert. So laufen deutsche Filme in diesen Ländern nur mit Untertiteln. Das führt dazu, dass nur ein gebildetes, kulturaffines Publikum sich ausländische Filme in fremden Sprachen anschaut und so eher zum Arthouse-Film tendiert.
Nina Hoss als Nelly Lenz in einer Szene des Films "Phoenix".
Nina Hoss als Nelly Lenz in einer Szene des Films "Phoenix".© picture alliance / dpa / Christian Schulz / Piffl Medien GmbH
In Frankreich kamen in den letzten Jahren vor allem Filme gut an, die deutsche Vergangenheit aufarbeiteten. Überraschenderweise liefen "Phönix" von Christian Petzold, "Im Labyrinth des Schweigens" von Giulio Ricciarelli oder "Westen" von Christian Schwochow in Frankreich erfolgreicher als bei uns. Auch andere Genres punkten. Peter Dinges verfolgt genau, wie das deutsche Kino im Ausland funktioniert:
"Ich glaube, dass der deutsche Export auf mehreren Merkmalen beruht. Und wenn sie nach Osten gucken und nach Russland gucken, dann sehen sie ein ganz anderes Filmprofil, das dorthin exportiert wird. Til Schweiger ist beispielsweise in Russland ein Superstar und auch deutscher Humor überschreitet die Grenze Richtung Osten vielleicht einfacher als die nach Westen. Trotzdem empfinde ich es als eine absolute Adelung des deutschen Films, wenn ich sehe, dass sich deutsches Arthouse nicht nur beschränkt auf Frankreich mittlerweile weltweit exzellent verkauft."
Sicherlich hat sich die Akzeptanz des deutschen Arthouse-Kinos verbessert und die Verkäufe haben zugenommen. Man darf dabei jedoch nicht vergessen, dass Titel wie "Toni Erdmann" beispielsweise in Osteuropa, wo der Film bereits läuft beim Publikum auf wenig Interesse stoßen. In vielen Ländern bleibt Arthouse, wie in Deutschland ja auch: Nische. Aber wenn Osteuropa schon nicht unsere Arthouse-Filme goutiert und man in Ungarn und Tschechien eher auf "Fackju Göthe" steht, so sind diese Länder für das deutsche Fernsehen aus ganz anderen Gründen wichtig.
Oliver Hirschbiegel, der mit "Der Untergang" dem deutschen Kino einen der größten kommerziellen Erfolge weltweit bescherte, dreht im Dezember 2015 in Prag die historische Miniserie "Der gleiche Himmel" ab. Bei der Berlinale in diesem Jahr wird sie nun erstmals einem großen Publikum präsentiert. Ende März laufen die drei Teile dann im ZDF. Die Grenzen zwischen Kino und ambitioniertem Fernsehen werden immer fließender. Und die Budgets steigen. Oliver Hirschbiegel:
"Unser Budget ist ja weit über dem, was man normalerweise hat für eine deutsche Serie. Das darf man nicht vergessen. Es ist natürlich im Vergleich zu den amerikanischen Serien immer noch ein Fliegenschiss. Die hätten mal locker das Doppelte. Aber ich glaub, ich hab das ganz clever gemacht. Bei 'Der Untergang' habe ich letztlich auch nicht viel Geld gehabt. Das war sehr knapp. Das waren damals etwas über 12 Millionen Euro. Für einen sehr komplexen Film. Da haben wir schon ganz schön was auf die Beine gestellt."

Ein Glücksfall für deutsche Serien

"Der gleiche Himmel" führt in das geteilte Berlin 1974 und ist ebenso Spionagegeschichte wie Familiendrama. Die Hauptrollen spielen Tom Schilling und Ben Becker als Ost-Romeo und West-Führungsoffizier. "Der gleiche Himmel" ist nach "Deutschland 83" wieder ein internationaler Hit für die Produktionsfirma Ufa-Fiction mit dem Vorsitzenden Geschäftsführer Nico Hofmann. Die Miniserie wurde bereits in über 100 Länder verkauft, unter anderem nach Frankreich und Italien verkauft und Netflix hat sich die englischsprachigen Rechte gesichert. Als nächstes folgt bei Ufa-Fiction die Fortsetzung von "Deutschland 83" mit neuen Partnern. Und im Fernseh- und Serienbereich steigen die Budgets in Deutschland auch deshalb schneller, um mit der europäischen und vor allem amerikanischen Konkurrenz mitzuhalten, wie Nico Hofmann ausführt:
"Wenn man diese Konkurrenz ernst nimmt, muss man in eine gewisse Betragshöhe für die Produktion kommen. Das ist auch der Grund, warum wir in Partnerschaft mit RTL und Amazon jetzt gegangen sind für die Fortsetzung von 'Deutschland 83', weil wir fast von einer Verdoppelung des Etats jetzt sprechen können. Das ist auch notwendig, wenn Sie so eine Serie international starten. So ein normales Serienprodukt liegt zwischen 600.000 und 800.000 Euro pro 45 Minuten. Und wir liegen jetzt bei der neuen Staffel Deutschland deutlich über 1,1 ... 1,2 Milionen. Das ist ein erheblicher Preisunterschied."
"Deutschland 83" war ein Glücksfall für deutsche Serien und wurde international clever vermarktet. Zunächst erschien "Deutschland 83" in den USA, löste damit einen internationalen Hype aus. Auch der Soundtrack mit Songs von Fehlfarben über Nena bis hin zu City trug viel zum Flair der Serie bei:
"Ich habe mir Bonn irgendwie anders vorgestellt. Wo machen die denn hier ihre Paraden?"
"Lektion Nummer 1: Fall nicht auf, stell keine Fragen und versuche bloß nicht, den Helden zu spielen. Von jetzt an isst du Brötchen, nicht Schrippen zum Frühstück. Plaste ist Plastik. Die Kaufhalle heißt Supermarkt."
Der Produzent von "Deutschland 83" ist Jörg Winger, der gemeinsam mit seiner Frau Anna Winger auch das Drehbuch schrieb. Jörg Winger ist auch Geschäftsführer von Ufa-Fiction und begeisterter Serienfan. Er erklärt die wesentlichen Unterschiede zum Kino:
"Ich sehe Deutschland am Beginn einer Welle von Qualitätsserien, die wir durchaus produzieren können. Warum hat das bisher nicht stattgefunden? Ich glaube, das liegt daran, dass einmal die Rolle des Autors in Deutschland anders bewertet wird als in den anderen europäischen Ländern oder in den heißen Märkten für Serien, dass in Deutschland der Regisseur immer noch als der kreative Kopf einer jeden Produktion eigentlich gesehen wird, während in Hollywood aber auch Skandinavien eine klare Unterscheidung gemacht wird zwischen Kino, wo der Regisseur den Hut auf hat, und Serie, wo der Produzent-Autor, oder der schreibende Produzent den Hut trägt. Das heißt nicht, dass der Regisseur nicht eine wahnsinnig wichtige Rolle hat, aber er ist eben nicht derjenige, der die Serie kreiert."
Eröffnung der "Neuen Berliner Straße" in der neuen Außenkulisse des Studio Babelsberg in Potsdam
Eröffnung der "Neuen Berliner Straße" in der neuen Außenkulisse des Studio Babelsberg in Potsdam © dpa / picture alliance / Bernd Settnik
Nicht nur Ufa-Fiction setzt auf Serienformate, sondern auch klassische Kinoproduzenten wie X-Filme. Regisseur Tom Tykwer hat zusammen mit zwei weiteren Regisseuren mit "Babylon-Berlin" die wohl bisher größte und teuerste, deutsche Serie aus dem Boden gestampft, die laut "Spiegel" fast 40 Millionen Euro gekostet hat. Es ist eine ungewöhnliche Kooperation zwischen der ARD und dem Bezahlsender Sky. Gedreht wurde übrigens in den Studios in Babelsberg. Dort ist der Geschäftsführer Carl Woebcken nun in der Tischlerei, einer der vielen Produktionsstätten, und redet über das neue Außenset der Berliner Straße. Dort wurden ganze Straßenzüge aus dem Berlin der 20er-Jahre aus Styropor und anderen Leichtmaterialien nachgebaut:
"Ja, nachdem die alte Kulisse ausgelaufen war, die war in die Jahre gekommen, haben wir aber ein Projekt gebraucht, mit dem wir eine neue Außenkulisse starten können. Das hat schon ein Jahr gedauert, bis dann Tom Tykwer kam und X-Filme mit dem Projekt Berlin-Babylon. Und Uli Hanisch, der Filmarchitekt, der hat dann eine Konzeption gemacht für die Straße, bei der man dieses historische Berlin der 20er-Jahre von verschiedenen Facetten zeigen kann und Architekturen. Und Babylon-Berlin war sozusagen der Anlass und das Projekt, mit dem wir wieder eine neue Außenkulisse errichten konnten."
Und so sorgt ein Fernsehformat dafür, dass die Filmstudios in Babelsberg hoffentlich wieder rosigeren Zeiten entgegen sehen. Carl Woebcken rechnet natürlich damit, dass die Außenkulisse der Berliner Straße auch Hollywood wieder anzieht. Die Kulisse lässt sich auch leicht auf New York umbauen. Derzeit liegt die Auslastung der Studios in Babelsberg nur bei 25 Prozent. Das ist auf Dauer nicht ausreichend. Die Zukunft des Kinos oder von Filmstudios liegt also in neuen Konzepten, neuen Denkmodellen. Dabei müssen Kino, Fernsehen und Serie neue symbiotische Partnerschaften eingehen. Filmproduzenten und Kinoverleiher sollten auch die Chancen sehen, die sich ergeben. Warum laufen erfolgreiche Miniserien wie 'Deutschland 83' oder demnächst 'Der gleiche Himmel' nicht auch im Kino ? Hier müssten auch Filmförderungen umdenken und zusätzliche Anreize schaffen, damit Fernsehproduktionen nicht nur deshalb nach Prag auswandern, weil es dort Förderung gibt.
Karsten Stöter: "Ich glaube, dass es von Produzenten-, Autoren-, Regisseur-Seite durchaus der Wille da ist, wenn man jetzt die richtigen Strukturen auf Sender und Förderebene schafft, dann sind da ganz große Chancen, was den deutschen Film in der nächsten Zukunft anbelangt."
Mehr zum Thema