Rebekka Kricheldorf: "Lustprinzip"

Zwischen Tag und Nacht, Jugend und Erwachsensein

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Cover: "Lustprinzip" von Rebekka Kricheldorf.
Dieser Roman steckt voller gut beobachteter Details, sagt unsere Kritikerin. © Deutschlandradio / Rowohlt Verlag
Von Meike Feßmann · 12.03.2021
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Vom Wunsch nach dem wilden Leben und der Sorge, dass das ewige Feiern doch sinnlos sein könnte: Rebekka Kricheldorf, bislang als Dramatikerin bekannt, erzählt in ihrem rasanten Romandebüt "Lustprinzip" vom Berlin der 1990er-Jahre.
"SCHLAFEN? WIESO?", fragt Rainald Goetz in "Rave". Das könnte Larissa, die sich Mitte der 1990er-Jahre in Berlin die Nächte um die Ohren schlägt, sofort unterschreiben. Alles scheint möglich, die Mieten sind billig, eine Fabriketage gibt es für 150 Mark. Und weil die Studentin ihre Wohnung im Nordkiez von Friedrichshain alleine bewohnt, stranden Freunde und ominöse Bekannte bei ihr. Bis sie genug hat und sie wieder vor die Tür setzt.
Ihre neueste Mitbewohnerin hat sie selbst aufgegabelt, direkt von der Straße, wie einen "Hund aus dem Tierheim". Schließlich wollte sie schon immer eine gute Freundin haben. Neben all den Männern, die mit ihren verschiedenen Schattierungen von Coolness und Trunkenheit durch den Roman torkeln, sind Lilys Wutausbrüche ein guter Kontrapunkt.

Wunsch nach dem wilden Leben

Als Dramatikerin will die 1974 in Freiburg geborene Rebekka Kricheldorf die Komödie erneuern. Sie hat mehr als 30 Stücke geschrieben, unter anderem für das Staatstheater Stuttgart und das Deutsche Theater Berlin. "Lustprinzip", ihr erster Roman, ist eher tragisch als komisch grundiert, auch wenn man beim Lesen durchaus auf den Begriff Nummernrevue kommt, um den schnellen Szenenwechsel, die griffigen Dialoge und das Springen zwischen den Figuren zu charakterisieren.
Er erzählt aus dem Zwischenreich zwischen Tag und Nacht, Jugend und Erwachsensein, vom Wunsch nach dem wilden Leben und von der Sorge, dass es sinnlos sein könnte, immer nur zu rauchen, zu trinken und zu vögeln.
"Für alle, die wir unterwegs verloren", lautet die Widmung. Es gibt in der Tat einige junge Männer, die auf der Strecke bleiben: Timo, der "Begabteste" aus dem gleichen "Provinzkaff", der als Künstler nach Berlin zieht und sich in einem besetzten Haus erhängt. Lennard, der kurz als Journalist arbeitet, über Punk, Artaud und Werner Schwab schreibt, nach Mexiko will und sich trotz einer Entziehungskur zu Tode trinkt. Und da gibt es noch Janek, hoffnungsvolle Lichtgestalt, gleichfalls aus "Kleinkackhausen".
Ihm begegnet die Ich-Erzählerin zufällig in der Berliner U5, kurz bevor er für ein Jahr nach Indien geht. Auf einer herausgerissenen Seite von Kerouacs "Desolation Angels" notiert sie ihre Adresse. Er will sich melden, sobald er zurück ist.

Verstand und Begehren

In der Uni, dem "Bildungsbunker", bekommt sie Panikattacken. Lieber liest sie im Bett Flaubert, Ginsberg und Bataille oder pilgert mit einer Freundin ins ferne LCB zu einer Lesung von Michel Houellebecq. Sie beobachtet gern verschiedene "Baggermaschen", von der "intellektuellen Überwältigungsstrategie" bis hin zu den Verführungskünsten von Eric, der am Tresen der "Bar ohne Kühlschrank" abhängt und mit demonstrativer Ignoranz alle Frauen rumkriegt, auch die Erzählerin.
So "unwürdig" Lily das Ganze findet, so klar ist sich Larissa, dass Verstand und Begehren oft verschiedene Wege gehen. Als sie es mit Mirko, einem Jura-Studenten, versucht, der vor dem Küssen fragt, ob er das dürfe, fühlt sich der Sex an wie ein "Bad in warmer Eselsmilch".
"Lustprinzip" ist ein Roman mit vielen gut beobachteten Details. Am szenischen Zugriff, an der Bedeutung von Orten und Figuren merkt man, dass die Autorin vom Theater kommt. Alles muss gesehen werden und sofort zünden. Auch wenn die Gattung des Romans größere Spielräume zur Verfügung stellt: Es passt zum Stoff und ist als Mixtur geglückt.

Rebekka Kricheldorf: "Lustprinzip"
Rowohlt, Berlin 2021
238 Seiten, 20 Euro

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