Realsozialistischer Spagat

Von Michael Lachmann · 29.03.2007
In der DDR existierten und kollidierten zwei Welten: Die Lebenswelten der meisten DDR-Bewohner hatten mit dem offiziellen DDR-Bild der SED-Führung wenig zu tun. Das Deutsche Historische Museum in Berlin beschäftigt sich in einer Sonderausstellung mit der Wechselwirkung zwischen "Parteidiktatur und Alltag in der DDR", doch der Schau gelingt es nicht, ein tieferes Verständnis des alltäglichen Spagats zu vermitteln.
18 Jahre nach dem Fall der Mauer will das Deutsche Historische Museum in Berlin Unter den Linden mit dieser neuen Sonderausstellung Kontext und Wechselwirkungen zwischen Parteidiktatur und Alltag in der DDR ausloten. Man greift auf eigene Bestände zurück, die der Vorläufer dieses Hauses, das Museum für Deutsche Geschichte der DDR, ursprünglich gesammelt hat – und da liegt das Kernproblem.

In dieses Museum gelangten einst nur dem System genehme Ausstellungsstücke der beschränkten Lesart von DDR-Geschichtsschreibung. Anderes war ausgegrenzt.

Ein Problem, das auch durch DDR-spezifische Leihgaben aus der Bevölkerung nach dem Sturz der SED-Herrschaft an das Museum nicht ausreichend korrigiert werden konnte. Das Leben zwischen Fichtelberg und Ostsee war vielgestaltiger, diffiziler, auch nach innen gerichtet. Zu stark dominiert die SED-Geschichte. Die Zwischentöne des Alltäglichen, und darum sollte es ja gehen, bleiben unterrepräsentiert. Politische Einschnitte, wie das folgende Beispiel, und davon gibt es jede Menge, sind dagegen recht gut dokumentiert.

"Im Auftrag der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik vollziehe ich die feierliche Namensgebung des Eisenhüttenkombinats in Joseph Wissarionowitsch Stalin und die erste sozialistische Stadt in der Deutschen Demokratischen Republik erhält den Namen Stalinstadt."

Die Ausstellung ist thematisch und nicht chronologisch angelegt. Massenorganisationen, Jugend, Ehekredite, Alter, Propaganda, Staatssicherheit und Opposition sind Gegenstand. Leider beginnt die Ausstellung erst mit dem Arbeiteraufstand von1953. Da existierte die DDR schon vier Jahre. Nichts vom ausgeprägten Bürgertum, das von der SED bis 1989 bekämpft wurde. Wenig von der Kirche, Bischof Mitzenheims Ringen mit Ulbricht um Rentnerreisen fehlt, dagegen wird das Klischee vom Einheitskindergarten weiter gepflegt, als ob es keine kirchlichen Kindereinrichtungen in der DDR gegeben hätte. Schüler an Oberschulen trugen Jeans aus dem Westen - bis diese verboten wurden.

Kreuzkantor Rudolf Mauersberger hatte Charisma, das System in dieser Frage in den 60ern auszuhebeln und setzte die Erlaubnis für seine Jungs an der Dresdner Kreuzschule durch. Von der Zwangsreform in der Landwirtschaft zu Gunsten der LPG erfährt der Betrachter gewiss, aber der Raub letzten Eigentums an privatwirtschaftlichen Industriebetrieben, der Liquidierung der so genannten halbstaatlichen Betriebe Anfang der 70er, bleibt ein weißer Fleck. Kuratorin Carola Jüllig in etwas Erklärungsnot:

"Es ist sehr schwer, mit Objekten solche Thesen zu belegen. Ich denke, wir versuchen es durch unsere Texte, durch diese Zitate, wo oft auch diese Strategie, sich zu entziehen, deutlich wird. Die DDR hat aufgehört zu existieren, weil die Bürger ihr die Treue, die Loyalität aufgekündigt haben, ganz massiv. Ich finde, damit ist eigentlich schon die These belegt. Ich denke, man muss an einzelne Objekte gehen, ich finde, dass ist eine sehr schwierige Frage, aber Sie haben natürlich Recht, sie zu stellen, weil die Objekte sind auch Objekte, die Herrschaft transportieren. Jedes Plakat, was in der DDR gedruckt wurde, ist natürlich ein Plakat, was eine politisch-ideologische Aussage hat, die von der Regierung festgelegt wurde."

Privates wird festgemacht an Fleischbrühpaste, einem Fernseher vom VEB Rafena, einem DDR-Stopfpilz, worin da das Typische besteht – unklar. Auch gehören Bestecke, Vitaminpräparate, Joghurtbecher und eine Schrankwand zu den Alltagsauslagen. Und dann wird es wieder staatstragend.

"Es geht hier um die Aktivistenbewegung und wir hatten in der Sammlung diese Skulptur Anni Paatz, Anni Paatz war eine Fischwerkerin aus Rostock und diese Fischfabrik hatte ihr dieses Denkmal gesetzt, die hat ihre Aktivisten in Kunst übersetzt. Auf der anderen Seite sehen Sie einen Kittel von Frieda Hockauf, auch Aktivistin der 50er Jahre im Textilbereich, die auch den berühmten Begriff ‚So wie wir heute leben, werden wir, äh, so wir heute arbeiten, werden wir morgen leben’ und von ihr haben wir einen Kittel in der Sammlung, der dadurch, ähnlich wie die Skulptur, dadurch auch zu einem Gedenkobjekt geworden ist."

Der Beinah-Versprecher bei dem Zitat über die Bestarbeiterin war übrigens ein in der DDR häufig kolportierter Witz. Leider kommt das Thema Witze in der DDR, und davon gab es reichlich, viel zu kurz. Witze gehörten damals zum Alltag. Zum Alltag gehörte auch der Mut von DDR-Bürgern, sich mit dem Prager Frühling 1968 und seinen Reformern zu solidarisieren. Zu den stillen, aber äußerst eindrucksvollen Details der Ausstellung sind deshalb großformatige Schwarz-Weiß-Aufnahmen einer DDR-Bürgerin vom Einmarsch der Russen in Prag zu rechnen. Negative, die sie versteckt hatte und erst nach der Wende entwickeln ließ. Atmosphäre und Stimmung in der DDR bringt auch ein Bild zum Ausdruck, das viele Deutungen zuließ und dessen Maler das Glück hatte, von Fritz Cremer in die Galerie des Palastes der Republik lanciert zu werden. Wolfgang Mattheuers "Guter Tag". Kurator Jörn Schütrumpf:

"Dieses Bild von Mattheuer zeigt eine Familie, die sich sehr selbstbewusst, die sehr sich entschlossen abwendet, aus der Stadt, aus der Gesellschaft. Wie jedes Bild und wie jeder Text in der DDR konnte er immer doppelt gelesen werden. Es gab natürlich auch die Interpretation, dass diese Familie den Höhen des Sozialismus zustrebt. Das war aber nicht Mattheuers Intention, sondern seine Intention war, sich von einer Industriegesellschaft, von einer die Leute auch verschleißenden Gesellschaft, Sie sehen es hier rechts unten, wenn Sie auf den Katalog sehen, sehen Sie rechts am Gartenzaun einen alten Menschen, der nicht weiter kann, der den dreien hinterher schaut. Das ist das eigentliche Spannungsverhältnis, dass die Alten ihr Leben gelebt haben in dieser Gesellschaft irgendwie und es auch beenden werden und diese drei Generationenanordnung, die wir ja dort haben, zeigt also auch dieses sehr entschieden und selbstbewusst wegstrebende Kind, von den Eltern abgeschirmt und zugleich begleitet und das fand ich für DDR ein sehr passendes Symbol und bringt sozusagen die Spannung, die diese Gesellschaft zwischen Individuum und der Gesellschaft selbst hervorgebracht hatte. Jede Gesellschaft hat ihre Spannungen, aber die Spannung in der DDR-Gesellschaft finde ich gut symbolisiert und deshalb haben wir uns auf dieses Bild geeinigt."

Fazit – das Deutsche Historische Museum bleibt leider mit dieser neuen Sonderausstellung hinter eigenen vorangegangenen Ausstellungen zurück. Das umfangreiche Begleitprogramm könnte allerdings mit den Themen "Charisma und Kommunismus", "Berlin als Schaufenster im Kalten Krieg", "Bilder vom Alltag in Film und Fernsehen der DDR" oder "Die Erfindung des Goldbroilers" wertvolle Zugaben liefern.

Service: Die Ausstellung Parteidiktatur und Alltag in der DDR ist vom 30. März bis 29. Juli 2007 zu sehen.